Unser Community-Autor Claudius versucht, sich bewusst und gesund zu ernähren. Komischerweise wundert das viele Menschen: Ist eine gesunde Lebensweise nicht eigentlich Frauensache?
„Nicht, dass du noch vom Fleisch fällst …“
Als ich vor drei Jahren Vegetarier wurde, bekam ich verschiedene Reaktionen, von Neugier bis Argwohn. Besonders verwundert war ich aber von der Tatsache, dass sich gerade im älteren Verwandtenkreis viele fragten, warum ich denn jetzt eine Diät machen wolle. Typische Bemerkungen: „Aber du musst doch gar nicht abnehmen!“, oder: „Nicht, dass du noch vom Fleisch fällst…“ Woher kommt diese Assoziation?
Das Bild vom gesunden, kräftigen und genüsslich an seiner Wildschweinkeule kauenden jungen Mann hält sich offenbar hartnäckig in den Köpfen der Leute und das zu einer Zeit, in der man in der Öffentlichkeit immer mehr gendergerechte Formulierungen sieht und in der bereits viele Geschlechtsstereotype hinterfragt werden. Verhaltensvorschriften wie „Männer dürfen nicht weinen“ sind inzwischen zum Glück zu großen Teilen überholt; trotzdem ist das Bild der Gesellschaft vom typischen und somit richtigen Mann noch immer mit deftigen, fleischhaltigen Mahlzeiten und großen Portionen verbunden. Eine andere Verknüpfung, die nach wie vor fest besteht, ist der regelmäßige Alkoholkonsum, besonders von männlichen Studenten.
Living on the Straight Edge
Ich persönlich verzichte seit knapp zwei Jahren generell auf Alkohol, Zigaretten und Co. Nicht weil ich Hochleistungssportler bin und ein Trainingsplan mir das vorschreibt, sondern weil ich gesundheitsbewusst leben möchte. Seit Anfang des Jahres versuche ich mich zudem vegan zu ernähren, also zusätzlich auf
Milch, Eier und andere tierische Produkte zu verzichten. Umgangssprachlich bezeichnet man jemanden als „Straight Edge“, der sowohl keine Drogen als auch kein Fleisch zu sich nimmt. Entstanden ist der Begriff durch eine amerikanische Jugendbewegung aus dem Bereich des Hardcore Punks in den 1980er Jahren, speziell durch einen gleichnamigen Song, der von einem drogenfreien Leben handelt.
Es ist keineswegs so, dass ich durch meine Einstellung negatives Feedback erlebt habe oder jemand meine Beweggründe nicht nachvollziehen kann. Denn dass Alkohol ein Nervengift ist, hat sich inzwischen herumgesprochen und auch die negativen Folgen vom Rauchen werden auf jeder Zigarettenschachtel anschaulich dargestellt. Die Gruselgeschichten von eingepferchten Tieren aus Massenbetrieben, die mit Antibiotika vollgestopft werden, hat man auch im Hinterkopf, wenn man sich Chicken-Nuggets vom Discounter kauft.
Ist Männern ihre Gesundheit egal?
Dennoch habe ich ab und zu das Gefühl, dass diese Art von gesundheitlicher Vorsorge bei Frauen eher erwartet und akzeptiert wird. Das mag ein Relikt aus früheren Zeiten sein, als Alkoholkonsum für Frauen unschicklich, und Trinkfestigkeit eine angesehene männliche Eigenschaft war. Auch heute gibt es nachweislich Geschlechtsunterschiede im Gesundheitsverhalten und diese
betreffen nicht nur die durchschnittlich knapp fünf Jahre höhere Lebenserwartung der Frauen.
Männer nehmen seltener an gesundheitsfördernden Maßnahmen teil und sind über Gesundheitsrisiken schlechter informiert. Diese Studien beziehen sich natürlich auf Erwachsene mittleren bis hohen Alters; wenn ich mich allerdings in meinem Umfeld umsehe, dann sind es auch bei den 18- bis 24-Jährigen mehr Frauen, die wenig bis gar nicht trinken, vegetarisch oder vegan leben und Experimente mit anderen Drogen ausgelassen haben.
Typisch Frau, typisch Mann?
Ich glaube, dieses Problem entsteht vor allem durch die Zuordnung von vermeintlich geschlechtsspezifischen Verhaltensweisen und Wesenszügen. Es passiert schnell, dass eine alkoholabstinente Person, die außerdem aus ethischen Gründen kein Fleisch isst, mit Eigenschaften wie Weichheit versehen wird: man verträgt weder den Alkohol, noch den Tod eines Tieres. Schon wird das Ganze als „typisch weibliche“ Charaktereigenschaften verbucht. Trifft das gleiche aber auf einen Mann zu, passt das für viele Menschen nicht in ihr Weltbild.
Andersrum gilt das Gleiche: Erzählt eine Person vom Rausch am letzten Wochenende, während sie vor einem Bier und einer Currywurst sitzt, dann stellt man sich diese Person eher als männlich vor und ist nicht verwundert über das Verhalten. Eine Frau wird in dieser Situation vielleicht eher negativ wahrgenommen werden, als maßlos oder unverantwortlich. In meinem Freundeskreis erlebe ich auch immer wieder, wie Frauen von Schuldgefühlen sprechen, wenn sie zum Beispiel eine ganze Tafel Schokolade gegessen haben. So etwas habe ich von einem Mann noch nie gehört.
Kurz gesagt: Das Vermeiden von Gesundheitsrisiken gilt nach wie vor nicht als weiblich. Alles was „weiblich“ ist, ist damit per se das Gegenteil von männlich und sollte von Männern vermieden werden, wenn sie ihre Maskulinität nicht in Frage stellen wollen. Gerade diese Denkweise erschwert es Männern, mehr für ihre Gesundheit zu tun. Viele stehen vor dem Problem, sich in ihrem Verhalten (unbewusst) danach auszurichten, was als männlich angesehen wird und zu vermeiden, was sie zu weiblich wirken lässt.
Lasst die Männer Smoothies trinken!
Ich möchte wirklich niemanden verurteilen, der aus Geselligkeit Alkohol trinkt, zum Genuss Fleisch isst oder auf Partys raucht. Aber ich würde mir wünschen, dass es ebenso selbstverständlich ist, wenn jemand beim Smalltalk beiläufig sagt, dass er oder sie statt Bier lieber ein Wasser trinken und vom Buffet bitte keine Würstchen mitgebracht bekommen möchte, sondern eine Portion von dem veganen Kichererbsensalat. Auch wenn diese Person ein Mann ist.
Ich bin zuversichtlich, dass in den kommenden Jahrzehnten die Lebenserwartungs-Schere zwischen Mann und Frau kleiner wird und hoffentlich auch die geschlechtsspezifischen Verhaltensvorschriften weiter verschwinden. Und wenn Männer dann Yoga und Saftkuren machen dürfen und Frauen ohne schlechtes Gefühl die extra große Pizza mit Käserand bestellen können, dann hören wir vielleicht auf, uns in veraltete Kategorien hineinzuzwängen und finden endlich heraus was wir wirklich möchten und welches Verhalten am ehesten unserer Persönlichkeit und nicht unserem Geschlecht entspricht.
Titelbild: Depositphotos
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