Überall werden Menschen von Maschinen ersetzt. In der Kolumne unserer Community-Autorin Nathalie Weidenfeld konkurriert die Protagonistin mit dem Navigationsgerät.
„Wir haben doch das Navi“
Mein Mann und ich sitzen im Auto. Es ist 19:25 Uhr und wir sind auf dem Weg zu Freunden. Leider sind diese Freunde aufs Land gezogen. Irgendein Dorf mit dem Namen „Dipfelfing“.
„Ich hole die Karte aus dem Kofferraum“ sage ich.
„Nicht nötig“ sagt mein Mann. „Wir haben doch das Navi.“
Er drückt auf ein paar Knöpfe. Aus den Boxen schallt eine weibliche, bestimmte Stimme:
„Bitte geradeaus fahren und nach 100 Meter links Richtung Autobahn abbiegen.“
„Mir wäre trotzdem wohler, wir holten zur Sicherheit die Karte aus dem Kofferraum“ sage ich.
„Bitte geradeaus halten und nach 100 Meter links Richtung Autobahn abbiegen“, wiederholt das Navi eingeschnappt.
„Wusstest du, dass 90 Prozent aller Unfälle im Flugverkehr nur darauf zurückzuführen sind, dass Menschen nicht auf Maschinen gehört haben?“
„Wir fahren aber nicht mit dem Flugzeug, sondern mit dem Auto“
„Sei nicht albern“, sagt er.
Verliebt in eine Computerstimme
Ich schaue beleidigt aus dem Fenster und denke an den Film, in dem ein Mann sich in eine Computerstimme verliebt und am Ende mit ihr eine Affäre hat. Während ich aus dem Fenster schaue, unterhalten sich Heinrich und das Navi.
Navi: „Jetzt rechts abbiegen“
Heinrich: „Gerne … ja, wie du meinst … schau, jetzt fahre ich rechts ab.“
Navi: „Nach hundert Metern geradeaus halten.“
Heinrich: „Geradeaus, was? Aber natürlich.“
Ich könnte kotzen. In einem Artikel von einem gewissen Dr. Finkelstein habe ich einmal gelesen, dass 51 Prozent aller Männer mindestens einmal fremdgegangen sind. Meistens sind die Geliebten dabei sowohl physiologisch als auch psychologisch völlig anders als die Ehefrauen.
Nach einer halben Stunde erreichen wir einen Wald. Es ist 19:54 Uhr.
„Sag mal sollten wir nicht schon längst angekommen sein?“, frage ich und werfe dem Navi einen bösen Blick zu.
„An der nächsten Abbiegung bitte links halten“, sagt das Navi daraufhin schnippisch.
Mein Mann sieht irritiert nach links. Da aber keine Abbiegung in Sicht ist, fährt er geradeaus weiter.
Damit aber ist das Navi wie es scheint nicht einverstanden.
Hat die Maschine hier das Sagen?
„An der nächsten Kreuzung zurückfahren“, herrscht sie Heinrich an.
„Was für eine Kreuzung? Hier gibt es keine Kreuzung“, sage ich.
Heinrich fängt an zu schwitzen.
Es ist 20:10 Uhr. Das Navi, das eben noch fünf Minuten zum Ankunftsort gezeigt hat, zeigt jetzt 45 Minuten an.
„45 Minuten“, rufe ich aus, „das ist doch wohl ein Witz!“
„Jetzt rechts halten“, sagt das Navi süffisant und zeigt nun eine weitere Stunde und 25 Minuten Fahrzeit an.
„Rechts?“, schreit Heinrich verzweifelt. „Aber da ist doch gar nichts …“
Ob sich das Navi dafür rächt, dass Heinrich seine Ehefrau, also mich mit ins Auto genommen hat? Vielleicht will sie uns bis zu einem tödlichen Abhang lotsen. Man denke nur an Fatal Attraction, wo die heimliche Geliebte des Mannes am Ende sowohl seine Frau wie auch ihn umbringen will.
Heinrich sieht in den Rückspiegel.
„Wir müssen etwas verpasst haben“, sagt Heinrich und fährt sich nervös durch die Haare.
„Jetzt links abbiegen!“, herrscht das Navi ihn an.
Heinrich zuckt zusammen.
Das Navi zeigt jetzt 3 Stunden und 50 Minuten Fahrtzeit an.
„Heinrich bitte, hör nicht auf sie“, bettle ich.
Verzweifelt blickt Heinrich zwischen mir und dem Navi hin und her.
Das Ultimatum
Dr. Finkelstein schreibt, dass die meisten Affären so viel Stress auslösen, dass erhöhter Cortisonspiegel im Blut nachgewiesen werden kann. In diesen Situationen so Finkelstein, sei ein Ultimatum zuweilen die letzte Möglichkeit.
„Ok“, sage ich. „Wenn du nicht sofort aufhörst dem Navi zu folgen, steige ich aus!“
Die Ankunftszeit beträgt nun 17 Stunden und 53 Minuten.
Plötzlich macht es einen Ruck. Das Auto hält an.
Heinrich blickt geradeaus. Schweißperlen stehen ihm auf der Stirn.
„Bitte zurückfahren und an der nächsten Abbiegung …“
Jetzt dreht Heinrich das Gerät ab. Er blickt starr auf die Straße vor ihm.
Nach einer Affäre, sind meist alle Parteien psychisch am Ende. Erschöpfung, Enttäuschung und innere Leere sind dabei die typischen Reaktionen.
Ich sehe Heinrich an.
Finkelstein schreibt auch, dass es nach einer Affäre keinen Sinn hat, den Partner mit Vorwürfen und Schuldzuweisungen zu beladen. Wenn man der Beziehung eine neue Chance geben will, sei Vergebung der Schlüssel.
„Ich bin so verwirrt“, sagt er.
„Ich weiß“, sage ich und tätschle ihm die Hand.
Die erstaunliche Wirkung von Affären
Im Übrigen behauptet Finkelstein, dass meist nur deshalb fremdgegangen wird, weil der Betrüger mit dem fremden Partner etwas erleben will, das er zu Hause nicht bekommt.
„Bitte! Jetzt! Aussteigen!“, sage ich nun im gleichen ruhigen und bestimmten Tonfall wie das Navi. „Und! Die! Landkarte! Aus! Dem! Kofferraum! Holen!“
Heinrich steigt aus und holt die Landkarte.
„Jetzt! Losfahren! Ankunftszeit! In! 15! Minuten!“, sage ich.
Heinrich fährt los.
„Auf! Der! Straße! Bleiben! Und! Auf! Deine! Ehefrau! Hören!“, sage ich weiter in der abgehackten Navi-Stimme.
Heinrich lächelt. Und gehorcht.
Affären können unter Umständen einen absolut positive Wirkung auf eine Beziehung haben. Sagt zumindest Dr. Finkelstein.
Titelbild: Depositphotos.com
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