Es wird Zeit, Flagge zu zeigen – ein Sprichwort, welches bedeutet, dass man zu seiner Meinung steht. Das dachte sich auch Martin Neuhof als er mit seinem Langzeitprojekt Herzkampf startete. Hauptberuflich ist er Fotograf, doch ein Mal die Woche nimmt er sich frei um seine Stimme gegen den Rechtspopulismus in seiner Heimat Leipzig und deutschlandweit zu erheben.
Eine Plattform gegen den Rechtsruck
Martins Projekt Herzkampf zeigt Menschen, die sich in verschiedensten Bereichen engagieren und sich aktiv gegen Rassismus, Homophobie und rechte Meinungen einsetzen. Jeden Mittwoch erscheint eine neues Portrait und damit eine Vorstellung der Person und ihrem Engagement. Seine „Herzkämpfer*innen“ haben den Schritt schon geschafft, aktiv zu werden und zu ihrer Meinung zu stehen.
Auch Martin ist seit einigen Jahren aktiv – wenn auch spontan und ungeplant. 2014 gründete er von seinem Schreibtisch aus „No Legida“, um sich gegen die Leipziger Pegida Organisation zu wehren. Innerhalb kürzester Zeit hatte er 10.000 Fans auf Facebook. Er stellte sich ein Team zusammen, um seine spontane Aktion stemmen zu können.
In seiner Heimatstadt ist er schon in seiner Jugend sehr oft mit Rechtspopulismus in Kontakt gekommen und wehrt sich deswegen bis heute. Mit „No Legida“ gab er Menschen eine Stimme, die nicht mit dem Rechtspopulismus in Leipzig und der Umgebung einverstanden sind und bis heute kann er nicht mehr einfach nur zu sehen, sondern muss aktiv bleiben. Weitere Projekte von ihm waren „101 Helden“ und „Leipziger Bettgeschichten“. Nun fotografiert er Frauen und Männer, die ihren eigenen Kampf austragen und eine Inspiration für noch nicht aktive Menschen sind. Herzkampf ist eine Plattform für Menschen, die sich gegen den Rechtsruck einsetzen und für ihre Meinung einstehen.
Wie er zu dem Projekt kam, wieso jede*r engagiert sein sollte und warum Aktivismus so wichtig ist, erzählt er im Interview.
Gab es einen Anstoß oder Auslöser, weswegen du gesagt hast, du möchtest aktiv sein?
„Gefühlt habe ich die ganze Zeit Auslöser, wenn ich Nachrichten lesen und merke was in meinem Umkreis und in Sachsen passiert. In der Retroperspektive war die Gründung von ,No Legida’ 2014 ein ausschlaggebender Punkt. Da wurden wir dann überall eingeladen, saßen auf einmal mit dem Bürgermeister an einem Tisch und haben darüber geredet, wie man ,Legida’ verändern kann. Als es ,Legida’ dann nicht mehr gab, hatte ich immer das Gefühl, dass ich was machen muss, dass ich mich auch als Fotograf positionieren muss. Über meine Social-Media-Accounts habe ich auch angefangen mein politisches Interesse kundzutun, mich zu positionieren und zu sagen,„Hey, hier in Sachsen haben wir gerade ein großes Problem, warum erheben so wenige die Stimmen?’ Und dann kam es zu dem Herzkampf-Projekt.”
Wie bist du auf die Idee gekommen, Menschen zu fotografieren, die engagiert sind?
„Bei mir stehen die Leute im Mittelpunkt, die ich fotografiere. Sie sind gefühlt zehn Mal wichtiger als ich als Fotograf, weil sie die Projekte machen. Bei mir kommen die Ideen meistens so: Ich stehe unter der Dusche, da lenkt dich nichts ab. Dann kommt mir da ein Gedanke zu einem Projekt, ich versuche den zu verfeinern und weiterzuspinnen. Anfang 2018 ging es dann los, ich habe das Logo beauftragt, die Webseite gebaut und Mitte 2018 den ersten Herzkämpfer veröffentlicht.”
Dein erster Herzkämpfer, den du fotografiert und interviewt hast, war Jürgen Kasek. Mit ihm zusammen hast du „No Legida“ gegründet. Wie findest du die anderen Menschen für deine Bilder?
„Man kann jemanden auf meiner Internetseite vorschlagen oder sich selber bewerben. Ich probiere dann zu checken, was die Agenda von der Person ist, was macht die Person, funktioniert das für mein Projek? Dann bringt mich meist eine Person zur anderen. Das hat jetzt bei der Leipziger Buchmesse zum Beispiel super funktioniert. Ich habe Zoë Beck von #verlagegegenrechts fotografiert und gefragt, ob sie noch andere Leute kennt, die zur Buchmesse hier sind. Da hat sie mir eine Liste mit Leuten geschrieben und vier von dieser Liste habe ich fotografiert. Es ist natürlich immer ein gutes Netzwerk nötig am Ende.”
Du hast viele Menschen mit ganz unterschiedlichen Projekten fotografiert, von Jugendarbeit über Body-Positivity bis hin zu diverser Musik ist alles dabei. Gab es dabei eine Person oder ein Projekt, das dich ganz besonders beeindruckt hat
„Es ist schwer, eins raus zu picken, weil Aktivismus in ganz verschiedene Richtung gehen kann. Aktivismus kann sein, dass ich was sage, wenn bei einer Familienfeier ein blöder Spruch fällt. Wenn du da nichts sagst und stillschweigend vor dich hindenkst, dann stimmst du mehr oder weniger zu. Es gibt mehrere Menschen, die aktiv sind und mich beeindrucken. Zum Beispiel gibt es hier ein Leipzig jemanden, der schon vor der Wende aktiv war, gegen Rechts auf die Straße gegangen ist und den ich bis heute auf jeder Demo sehe – das finde ich total beeindruckend, wenn man eine so lange Zeit durchhält.
Dann gibt es noch eine andere Person, Tobias Burdukatt. Er hat ein Dorf der Jugend in Grimma, einem Nazi-Nest, großgezogen. Das heißt, er hat eine Insel geschaffen, wo sich die Jugend aus dem Dorf treffen kann, die nicht gerade eine rechte Meinung hat und sich austauschen kann. Tobias ist da mehr oder weniger ein Einzelkämpfer, weil alle weggegangen sind und nur er geblieben ist – das finde ich auch sehr beeindruckend, er selbst hat aber auch gerade sehr zu kämpfen damit sein Projekt weiter bestehen kann. Wenn ich jetzt alle meine Herzkämpfer*innen durchgehe, könnte ich dir zu jedem erzählen, was ich beeindruckend finde – sonst würde ich sie auch nicht fotografieren.”
Sind diese Geschichten, die du zu jeder Person erzählen kannst und was sie leisten, dein Anreiz hinter dem Projekt?
„Ja, zum Beispiel fahre ich immer zu den Leuten in die Städte und gehe mit ihnen ein, zwei Stunden spazieren. Dann redest du mit denen und die zeigen dir Ecken wo was passiert ist oder die für die Person wichtig sind und das ist der Wahnsinn. Ich gehe mit Leuten durch den Ort, die sehr viel Mut haben, weil sie sich gegen andere wehren. Und dieser Kontrast, ich laufe mit aktiven Menschen herum und sehe gleichzeitig Nazi-Aufkleber, ist für mich hart zu sehen. Ich bin unendlich dankbar für den Aktivismus, gerade in diesen Brennpunkten.”
Möchtest du diese Menschen, die den Mut haben etwas zu sagen, mit deinem Projekt unterstützen?
„Ich möchte mit dem Projekt zeigen, dass jeder aktiv sein kann. Bei Herzkampf ist jung dabei, ist alt dabei, großer Aktivismus, kleiner Aktivismus. Also so verschiedene Projekte und sie fangen alle bei dir selbst an. So oft höre ich aus meinem Umfeld ,Ich finde super cool, was du da machst, aber ich selber könnte das nicht’. Ich sage dann immer ,Natürlich könntest du, weil jeder kann was machen.’ Du musst es vielleicht nicht zu deiner Lebensaufgabe machen, aber du kannst im Kleinen anfangen und etwas bewirken. Mein Plan ist es gerade, kommt ein wenig darauf an wie viel Geld ich sammeln kann, die Portraitbilder in verschiedenen Städten auszustellen. Das ist natürlich mit einem großen Risiko verbunden, weil ich weiß, ich präsentiere die Bilder dort, wo die allgemeine Meinung nicht ist, dass sie das Projekt cool finden. Aber ich glaube man muss auch in diese Städte gehen, um den aktiven, engagierten Leuten vor Ort ein bisschen Mut zu machen, ihnen zeigen, dass es auch andere gibt wie sie, die sich gegen den Rechtsruck wehren.”
Welche Personen geben dir Mut oder bewunderst du?
„In meinem Umfeld eigentlich alle, die auch politisch aktiv sind. Ich habe immer ein wenig das Gefühl, ich bin politisch, ich habe eine Meinung, aber ich durchdringe noch nicht alles. Wenn Leute mir dann Dinge erklären, in einen Kontext setzen können oder mich auf etwas aufmerksam machen, bewundere ich sie dafür. Mir hilft das weiter für meinen eigenen Weg oder meine eigenen Gedanken. Und natürlich jeder, der sich für eine schöne, bunte Welt einsetzt – das klingt sehr abgedroschen, aber das ist wichtig und richtig.”
Es hört sich so an, als hättest du in deinem Umfeld jede Menge inspirierende, aktive Menschen, die alle in dein Projekt passen.
„Am liebsten würde ich jeden Tag jemanden vorstellen, weil es gibt super viele Menschen, die man portraitieren kann und die es wert sind, fotografiert zu werden. Ich denke, dass ich das Projekt länger machen werde, weil es mir ein gutes Gefühl gibt. Natürlich schluckt es Zeit, aber mittlerweile habe ich meine Woche so getaktet, dass ich mir die Zeit nehmen kann und das finde ich einfach enorm wichtig.”
Du führst mit den Leuten vor deiner Kamera zusätzlich noch ein kleines Interview und jeder bekommt die gleichen Fragen gestellt.
„Genau, dieselben Fragen sind ein bisschen das Konzept dahinter, damit man eine Vergleichbarkeit herstellen kann. Was wünscht sich jemand aus Hamburg? Was wünscht sich jemand aus Pirna oder Bautzen? Oder was wünscht sich ein*e Politiker*in im Vergleich zu jemanden, der sich um Geflüchtete kümmert? Das ist ein himmelsweiter Unterschied teilweise und das, finde ich, ist gerade das Spannende.”
Eine deiner Fragen ist: „Was ist dein derzeitiges Lieblingslied?”. Hat Musik eine bestimmte Bedeutung für dich?
„Ich habe die Frage drin, weil ich auf Spotify eine Herzkampf-Playlist erstellt habe. Wenn man sich die Playlist mal anhört, dann ist es echt lustig, weil da sind so unterschiedliche Lieder dabei, aber von der Message her sind alle sehr ähnlich. Teilweise zeigt es auch, was sich jemand wünscht.”
Was ist dein momentanes Lieblingslied?“
„,Ruhe’ von Feine Sahne Fischfilet passt gerade sehr gut. Die Band besingt Aktivist*innen, die sich fast aufgeben und nicht an sich selbst denken. Das passt auch perfekt zu dem Projekt und zu den Leuten, die ich fotografiere.”
Eine weitere Frage von dir: „Was würdest du an der aktuellen Situation ändern wollen?”
„Ganz akut würde ich gerne eine Regierungsbeteiligung von der AfD verhindern. Davor habe ich sehr Angst, denn wenn das passiert, dann haben hier viele Vereine oder Kulturträger Probleme mit Förderungen und ähnlichem. Ansonsten wünsche ich mir ganz allgemein, dass man keine Unterschiede mehr macht zwischen Geschlecht, Sexualität, Religion. Dass sich die Leute einfach in Ruhe und Frieden leben lassen. Dass dieser ganze Neid und Missgunst einfach verschwindet, weil das ganz viele Menschen kaputt machen.”
Was würdest du Menschen mit auf den Weg geben, die noch einen letzten Anstoß brauchen, um aktiv zu werden?
„Der allererste Schritt ist der schwerste – außer man macht es so unbedacht wie ich und gründet einfach eine Facebook-Seite. Vielleicht schafft ihr es ja zusammen, den ersten Schritt zu gehen, denn zusammen ist es oft leichter als allein. Wenn du schon jemanden kennst der aktiv ist, dann kannst du da vielleicht einfach mal mitgehen, guckst, ob das was für dich ist. Ich denke das ist das wichtigste: Jemanden suchen mit dem man das gemeinsam machen kann. Weil Aktivismus funktioniert alleine auch immer ganz schlecht.”
Viele Menschen sind schon aktiv, kämpfen, geben nicht auf – und sind von Martin fotografiert worden. Vielleicht inspirieren sie auch dich, um für deine Herzenssache einzustehen und aktiv zu werden. Hier findest du sechs Herzkämpfer*innen mit einem Auszug aus ihrem Interview. Viele weitere mit allen Fragen und Antworten findest du auf der Internetseite Herzkampf, bei Twitter, Facebook oder Instagram.
Tobias Burdukat arbeitet im „Dorf der Jugend“ in Grimma. Dort baut er mit vielen Helfer*innen Häuser und bietet Jugendlichen einen Ort wo sie ihre Freizeit verbringen können. Es entsteht eine Konzert-Location, ein Basketballplatz, eine Halfpipe, ein Café und vieles mehr.
Für was kämpfst du?
„Another world is possible. Freiheit für mich, was bedeutet, dass alle in Freiheit leben müssen, also Freiheit für alle!”
Paula Charlotte Kittelmann fotografiert Menschen für ihre Serie „pure bodies“. Dafür retuschiert sie keine Augenringe oder bearbeitet die Bilder. Ihre Botschaft: Akzeptiere dich so wie du bist, du bist schön.
Welche Menschen / Einzelpersonen bewunderst du?
„(…) Frauen wie Frida Kahlo, Paula Modersohn-Becker, Niki de St. Phalle oder Lou Andreas-Salomé – starke Frauen, die sich auf ihre Art und Weise kritisch mit den Ihnen von der Gesellschaft aufgedrückten Rollen und Übergriffigkeiten und/oder Macht von Männern auseinandergesetzt haben.”
Dr. Karamba Diaby ist Mitglied im Bundestag und im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung. Er ist auch Mitglied des „Landesnetzwerk Migrantenorganisationen in Sachsen-Anhalt“ und war beim Bundeszuwanderungs- und Integrationsrates Vorsitzender.
Wann hat dein Kampf begonnen?
„Bereits als Student war ich im Senegal aktiv und wollte Ungleichheiten, die es in den Lebensverhältnissen gibt, nicht akzeptieren und habe mich dort politisch engagiert.”
Marianne Thum arbeitet seit drei Jahren im Verein AG Asylsuchende Sächsische Schweiz-Osterzgebirge e.V. und leitet gemeinsam mit einer Kollegin das Internationale Begegnungszentrum in Pirna.
Was würdest du an der aktuellen Situation ändern wollen?
„Es gäbe soviel zu ändern, dass eine neue Welt her müsste. Bezogen auf die aktuelle Situation im Verein AG Asylsuchende e.V. würde ich gern ändern wollen, dass es eine institutionelle kontinuierliche finanzielle Förderung für diese wichtige gesellschaftliche Aufgabe gibt.”
Gregor – Sayes – Zocher rappt über politische Themen unter dem Namen Sayes. Er gibt Rap-Workshops und erhofft sich, dass sich dadurch mehr Mensch sich trauen zu rappen und noch mehr Vielfalt und Diversität in die Musikszene bringen.
Welche Menschen / Einzelperson bewunderst du?
„Es gibt eine Vielzahl von Menschen, die ich bewundere, besonders in meinem engen Freund*innenkreis. Allerdings reagiere ich auch sehr empfindlich auf die Idee eines Vorbilds, da ich mir vielmehr Autonomie und Individualität von Menschen wünsche. Dennoch freue ich mich sehr über „Role Models“ außerhalb der üblichen Normativität, die die Vielfalt erhöhen und vor allem mehr als nur an der Oberfläche kratzen.”
Ina Richter kümmert sich um das AKuBiZ in Pirna. Eine Einrichtung, die für nicht rechte Jugendliche gegründet wurde und seinen Schwerpunkt auf Geschichtsarbeit, Aufklärungsarbeit, Kulturarbeit und Jugendarbeit legt.
Welches Ereignis hat dich am meisten geprägt?
„Eigentlich gibt es mehrere prägende Situationen. Zum einen der Brandanschlag 2010 auf unser Auto direkt vor unserer Haustür oder die immer wieder verübten Anschläge gegenüber der Kulturkiste, aber auch die sich seit 2014 eskalierenden Ausschreitungen gegen Erstaufnahmeeinrichtungen und Asylbewerber*innen in Sachsen und Deutschland.”