Immer im Stress? So bekommen wir unser Leben wieder in Balance.
Neue Krankheit: „Hurry Sickness”
Lothar Seiwert ist Vortragsredner und Bestsellerautor. Bekannt wurde der promovierte Ökonom durch den Klassiker „Das 1×1 des Zeitmanagement”, das 2014 in völlig überarbeiteter und aktualisierter Auflage bei Gräfe und Unzer erschienen ist. Sein neues Buch „Zeit zu leben” kam Anfang 2015 heraus. Für unseren Medienpartner Capital schreibt er über ein neues Phänomen, für das die Amerikaner schon einen Namen haben:
In den USA gibt es eine neue Krankheit namens „Hurry Sickness“ (Hetzkrankheit). „Hurry Sickness“ wird durch den Irrglauben ausgelöst, dass wir, wenn wir einfach alles genug beschleunigen können, letztendlich auch alles erreichen können. Diese Einstellung führt zu chronischen Stresskrankheiten wie Herzbeschwerden, Arthritis, Magengeschwüren oder nervösen Spannungen.
Die meisten Menschen klagen, dass sie in ihrer Freizeit unterm Strich weniger Entspannung und weniger Lebensqualität haben. Sicher ist auch Ihnen dieses hoffnungslose Gefühl nicht unbekannt: Sie kommen am Ende eines Tages abgehetzt und erschöpft nach Hause, Sie haben so hart gearbeitet, wie Ihnen möglich war, und dennoch haben Sie das frustrierende Gefühl, dass Sie an diesem Tag nichts haben erledigen können und nur weiter unter Druck geraten sind. Je mehr Sie sich hetzen, desto mehr geraten Sie in Verzug. Sie fangen früher an und hören später auf. Doch kaum sind Sie am Arbeitsplatz, werden Sie von einer Welle von Krisen, Unterbrechungen, Projekten, Gesprächen und immer neuen Dringlichkeiten überrollt. Personal und Budgets werden immer weiter „gestrafft“, mit weniger Leuten und weniger Geld muss mehr erreicht werden.
Druck erzeugt Druck
Doch der Druck, sich ständig immer mehr beeilen zu müssen, für nichts eigentlich mehr wirklich Zeit zu haben und nicht in der Lage zu sein, sich aus dem Karussell der täglichen Verpflichtungen befreien zu können, ist nur ein Symptom der Hetzkrankheit. Ihre Wurzeln liegen tiefer. Ebenso wie die Hunde, die einst von Pawlow so dressiert worden sind, dass ihr Speichel lief, obwohl es nichts zu fressen gab, sondern nur die Klingel läutete, so wurden wir konditioniert, uns unpassend zu beeilen.
Testen Sie sich: Sind Sie hetzkrank?
Wie können wir feststellen, ob wir von der Hetzkrankheit infiziert sind? Schauen Sie sich die folgende Liste mit typischen Symptomen an. Welche Aussagen treffen auf Sie zu?
– Ich fahre häufig mindestens zehn Stundenkilometer schneller als erlaubt.
– Ich unterbreche andere und/oder beende ihre Sätze.
– Auf Sitzungen werde ich ungeduldig, wenn jemand vom Thema abschweift.
– Es fällt mir schwer, Menschen zu respektieren, die ständig zu spät kommen.
– Ich beeile mich, immer ganz vorne in der Schlange zu sein, selbst wenn es nicht darauf ankommt (zum Beispiel als Erster aus einem Flugzeug auszusteigen, um dann länger am Gepäckband zu stehen).
– Wenn ich in einem Laden oder Restaurant länger als einige Minuten auf die Bedienung warten muss, werde ich ungeduldig und gehe oder beschwere mich. Für mich ist Zeit Geld!
– Im Allgemeinen betrachte ich diejenigen, die langsam sprechen, handeln oder entscheiden, als weniger fähig. Ich bewundere Menschen, die mit meinem hohen Tempo mithalten! Ich bin stolz auf meine Schnelligkeit, Effizienz und Pünktlichkeit.
– Ich betrachte Herumgammeln als Zeitverschwendung.
– Ich bin stolz darauf, Dinge fristgerecht fertig zu haben, und würde lieber auf die Chance verzichten, ein Produkt zu verbessern, als eine Verspätung in Kauf zu nehmen.
– Ich treibe meine Kinder und/oder meinen Ehepartner häufig zur Eile an.
Auswertung:
0 bis 3 Punkte: Glückwunsch! Sie bringen gute Voraussetzungen für eine gesunde Belastbarkeit mit und wissen bereits: „In der Ruhe liegt die Kraft!“
4 bis 6 Punkte: Sie leben bereits in einer Gefahrenzone. Setzen Sie sich mit unseren Vorschlägen auseinander und bemühen Sie sich um ein besseres ausgewogenes Verhältnis zwischen Stressbelastung und entsprechenden Ausgleichsprogrammen (Erholung, Entspannung, Psychohygiene).
7 und mehr Punkte: Die Hetzkrankheit hat bei Ihnen bereits ein gefährliches Stadium erreicht! Sie sollten ab sofort Ihre Drehzahl konsequent reduzieren, bevor es zu spät ist.
Was Sie gegen die Hetzkrankheit tun können:
1. Sehen Sie bei der Planung jedes Tages und jeder Woche bestimmte Zeitfenster vor, die ohne Uhr ablaufen.
2. Nehmen Sie abends oder am Wochenende Ihre Uhr ab.
3. Planen Sie Zeit zum Nichtstun ein.
4. Genießen Sie Tagträumereien, Männchen malen, ein Nickerchen machen oder das Dahintreiben.
5. Wenn Sie Ihren Tag, Ihre Woche oder Ihren Monat bewerten, belohnen Sie sich dafür, dass Sie ein Gleichgewicht zwischen Tun und Sein geschaffen haben, zwischen dem Erfüllen Ihres Arbeitspensums und dem Schnuppern an Rosen, zwischen Effizientsein und Bewusstsein.
6. Planen Sie ganz bewusst Perioden der Ruhe und des Schweigens in Ihr Leben ein. Hören Sie auf Ihren Körper, Ihre Gefühle, Ihre Intuition. Die Inspiration des Genies entspringt dem Schweigen. Zeitmanagement bedeutet eigentlich einen Widerspruch in sich. Wir können „Zeit“ gar nicht „managen“, sondern nur uns selbst. Zeitmanagement bedeutet Selbstmanagement. Denn die Zeit als konstante Größe verrinnt kontinuierlich, unerbittlich, unbeeinflussbar.
Machen auch Sie sich bewusst: Heute beginnt der erste Tag vom Rest Ihres Lebens, den Sie mit einem neuen Zeitbewusstsein beginnen können!
HINWEIS: Die Veröffentlichung des Textes erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Capital – Das Online-Portal des Wirtschaftsmagazins Capital mit Reportagen, Analysen, Kommentaren aus der Welt der Wirtschaft und der persönlichen Finanzen.
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