Ingrid Hengster sitzt seit 2014 im Vorstand der Staatsbank KfW. Im Interview spricht die Top-Managerin über ihren Faible zu Zahlen, das bedrückende Gefühl bei der Kündigung von Mitarbeitern und Handkäs’ mit Musik.
Führungsstil, Vorbilder, Ideale
Ingrid Hengster ist eine der Gewinnerinnen des Wettbewerbs „25 Frauen, die wir bis 2025 als Dax-30-CEO sehen wollen“, den EDITION F mit dem Handelsblatt als Partner ausgerichtet hat. Vor anderthalb Jahren zog Hengster in den KfW-Vorstand ein. Carina Kontio vom Handelsblatt hat mit ihr gesprochen.
Wir sprechen die geborene Österreicherin am Telefon und auch die Pressesprecherin schaltet sich aus Berlin dazu. Für das Gespräch sucht sie Hengster am Abend vor dem Gespräch noch einige Zitate ihrer Vorbilder raus, die sie zwischendurch einstreut. Im Interview spricht sie über ihren Führungsstil, Vorbilder, Ideale und darüber, was karriereorientierte Frauen auf dem Weg nach oben beachten sollten.
Frau Hengster, viele Frauen kokettieren häufig damit, nicht so gut mit Zahlen „zu können“. Was fasziniert Sie an einem Bereich, in dem Zahlen eine große Rolle spielen?
„Davon will ich Ihnen gerne erzählen. Ich wusste ganz früh in meiner Karriere auch nicht unbedingt, dass ich einmal in einer Bank arbeiten werde, aber ich hatte schon immer Spaß daran, etwas mit Zahlen zu machen. Da hat sich der Bankberuf fast schon ganz natürlich ergeben. Für mich sind Zahlen ein wichtiges Instrument, um zu messen, zu wiegen und zu objektivieren. Sie geben uns auch einen Ordnungsrahmen. Ich würde mich jetzt nicht nur als reinen Zahlenmenschen beschreiben, aber ich bin jemand, der mit Zahlen kein Problem hat.“
Trotzdem träumten Sie zunächst von einer ganz anderen Karriere, oder?
„Mich fragen auch immer viele Menschen, ob das nicht langweilig ist, bei einer Bank zu arbeiten. Wissen Sie, früher habe ich mir wirklich vorgestellt, dass ich einmal Anwältin werde und habe Jura studiert. In den Bereich Banking bin ich dann irgendwie so hineingerutscht.“
Und, langweilig dort?
„Nein, auf keinen Fall. James de Rothschild hat einen Satz geprägt, der viel Wahrheit darüber enthält, was Banking ursprünglich ausgemacht hat. Nach ihm ist es die vornehmste Aufgabe des Bankers, Geld von dort, wo es vorhanden ist, aber nicht gebraucht wird, dort hin zu transferieren, wo es gebraucht wird, aber nicht vorhanden ist. Alles, was mir in meiner Laufbahn im Banking bisher begegnet ist, lässt sich letztlich darauf zurückführen. Diese Drehscheibenfunktion wahrzunehmen ist für mich eine sehr spannende Aufgabe.“
Wer kümmert sich bei Ihnen zu Hause eigentlich um die Finanzen?
„Mein Mann arbeitet ja auch im Finanzwesen, daher teilen wir uns das. Es gibt gewisse Themenbereiche, die er macht und es gibt andere Bereiche, die übernehme ich. Was die Geldanlage anbelangt, fordern wir uns gegenseitig heraus, wer die besseren Ideen hat.“
Sie waren schon für ABN Amro, Credit Suisse, UBS und die Commerzbank tätig, dann langjährige Chefin der Royal Bank of Scotland und gehören jetzt dem Vorstand einer Staatsbank an: Haben Sie Ihre Karriere geplant oder alles auf sich zukommen lassen?
„So ganz planen kann man das nicht. Ich konnte ja nicht wissen, dass ich irgendwann einmal die Chance habe, im Vorstand der KfW tätig zu sein. Grundsätzlich habe ich meine nächsten beruflichen Schritte aber immer sehr aktiv geplant und keine Ruhe gegeben.“
Wie dürfen wir uns das vorstellen?
„Ich habe es nie akzeptiert, wenn es geheißen hat, ‚Nein, das geht jetzt nicht‘, oder ‚Dafür musst du noch warten.‘ Ich war immer mit Neugierde, Beharrlichkeit und Energie unterwegs und habe versucht, einen Weg drumherum zu finden. Das Ziel hat sich dann manchmal auch erst beim Gehen ergeben. Das rate ich auch jungen Frauen gerne, dass sie ein ‚Nein‘ nicht als etwas Endgültiges akzeptieren. Beharrlichkeit ist da schon etwas, das man braucht. Sonst erreicht man seine Ziele nicht.“
Wie würden Sie Ihren Führungsstil bezeichnen? Gibt es Vorbilder oder Ideale, von denen Sie sich auf Ihrem Weg haben motivieren lassen?
„Es gibt zwei, die ich hier besonders hervorheben möchte. Als Jugendliche habe ich die Bücher von Marion Gräfin Dönhoff verschlungen. Sie beeindruckt mich bis heute sehr mit ihrer Klarheit, ihrer Wahrheitssuche, ihrer Reiselust, ihrem Streben nach Demokratie und auch mit ihrem Widerstandsgeist. Der zweite Mensch, der mich nachhaltig geprägt hat, ist der Banker Alfred Herrhausen. An ihm hat mich beeindruckt, dass er viele gesellschaftliche Themen aufgegriffen, sich mit Ethik, dem richtigen Umgang mit der Gesellschaft und dem Thema Unternehmenskultur auseinandergesetzt hat.“
Können Sie sich vorstellen, einmal KfW-Chef Ulrich Schröder zu beerben, wenn er in Rente geht?
„Das steht nicht an. Lassen Sie uns über andere Dinge sprechen.“
Und die wären…?
„Jetzt bin ich seit 1,5 Jahren im Vorstand und für die Inlandsfinanzierung der KfW tätig. Es ist ein extrem spannender Bereich, gerade wenn man aus der Privatwirtschaft kommt. Hier kann ich aktiv an der Zukunftsfähigkeit Deutschlands mitarbeiten, denn das, was wir machen, hat unmittelbar Auswirkungen auf unsere Wirtschaft. In dieser Rolle tätig sein zu dürfen, sehe ich als eine große Auszeichnung an und es macht mir eine riesengroße Freude.“
Frau Hengster, Sie sind für viele Menschen verantwortlich. Wie würden Sie Ihren Führungsstil bezeichnen?
„Ich bin wirklich ein sehr positiver Mensch. Es gibt da ja diesen berühmten Satz von Karl Popper, der besagt: Optimismus ist Pflicht. Irgendeine Lösung gibt es also immer und mein Optimismus hat mir da bis jetzt auch Recht gegeben. Über das Thema Führungsstil kann man lange philosophieren. Ich finde, so etwas muss sich auch an Situationen anpassen.“
Wie meinen Sie das?
„Ich bin ja durch unterschiedliche Phasen des Bankgeschäfts gegangen. Im Investmentbanking war ich in einer Hochblüte des Bankings. Es hab dort sehr viel Dynamik, mit großen Transaktionen und einer positiven Stimmung im Markt. Darauf folgten Jahre der Konsolidierung und intensiven Restrukturierung mit empfindlichen Einbußen. Gerade in diesen schwierigen Zeiten, die auch von Personalabbau gezeichnet waren, habe ich festgestellt, dass man sehr viel Fingerspitzengefühl braucht, um Menschen den richtigen Weg aufzuzeigen, sie zu motivieren und immer noch zu begeistern.“
Menschen motivieren, die vielleicht ihren Job verlieren, das klingt nicht leicht!
„Nein, leicht ist es nicht immer. Aber ich habe festgestellt, dass es sehr wichtig ist, fair und wertschätzend miteinander umzugehen und den Menschen eine klare Richtung vorzugeben. Das lernt man erst mit der Zeit. Die ersten Gespräche mit Mitarbeitern, die abgebaut werden mussten, sind mir schon sehr schwer gefallen. Je klarer und schneller ich das aber artikuliert habe, desto einfacher war es letztlich für den einzelnen und umso mehr wird man auch als Führungskraft geschätzt. Dazu habe ich noch ein Zitat, das mich durch die letzten Jahre begleitet hat und das ich hier an dieser Stelle bringen möchte.“
Gerne doch, nur zu!
„Es ist von Martin Hilb und mir sehr wichtig, weil ich mich am Ende meines Berufslebens daran messen lassen möchte. Er sagt, man braucht als Führungskraft drei Dinge. Einen kühlen Kopf, denn die Welt ist ja sehr komplex geworden. Es gibt ja nicht mehr nur Option A oder B, sondern dazwischen auch viele Grauschattierungen. Dann braucht man ein warmes Herz, man muss also die Menschen mögen, um sie zu gewinnen und motivieren zu können. Und das dritte sind die ,working hands’. Als Manager ist man immer Vorbild und wenn die Mitarbeiter hart arbeiten, muss es klar sein, dass auch der Manager sein Bestes gibt und nicht nur die Früchte des Erfolges erntet, die andere gesät haben. Dieser Dreiklang ist meine Maxime, um als Führungskraft Akzeptanz zu finden und letztendlich auch erfolgreich zu sein.“
Die Realität im Banking ist ernüchternd. Als Sie vor 1,5 Jahren in den Vorstand einzogen, verdoppelte sich die Frauenquote in dem KfW-Gremium – macht es das einfacher, die oft erdrückende männliche Dominanz im Finanzwesen zu beeinflussen?
„Da kann ich Ihnen Gott sei Dank sagen, dass die Dinge heute ganz anders sind, als sie es noch vor 15 bis 20 Jahren waren. Wir sind auf einem sehr guten Weg. In meinem Arbeitsalltag fühle ich keine erdrückende männliche Dominanz und ich komme mit Männern und Frauen gleich gut aus. Es ist natürlich sehr angenehm, in gemischten Teams zu arbeiten. Das erhöht nicht nur die Vielfalt der Perspektiven, sondern ermöglicht auch andere Arten der Konfliktbewältigung. Ich glaube, das ist auch der Grund, warum das Thema Frauenförderung für viele Vorstände ein wichtiges Thema ist, das aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken ist.“
Gleichzeitig ist die Realität im Banking doch eher ernüchternd, Frauen sind im Top-Management sehr rar – wenn man die joggenden Powerfrauen abzieht, die uns von den Imagebroschüren der Geldhäuser entgegen lächeln – wie erklären Sie sich das?
„Na ja, das ist ja nur teilweise richtig. Schauen Sie sich mal Auslandsbanken wie zum Beispiel die Credit Suisse oder JP Morgan an, bei denen jeweils Frauen hier in Deutschland die Geschicke führen. Damit haben diese Institute in den vergangenen zehn Jahren fast schon eine Vorbildfunktion gehabt.“
Aber warum hinken wir hierzulande noch so hinterher und wie steht es eigentlich mit der Quote in Ihrem Zuständigkeitsbereich?
„Die Auslandsbanken haben das Thema schon viel früher erkannt und weniger kontrovers diskutiert als wir hier in Deutschland. Da gibt es noch Nachholbedarf. In der KfW haben wir inzwischen um die 30 Prozent Frauen in Führungspositionen und bei mir im Dezernat sind es 40 Prozent. Das wächst allerdings auch erst von unten und geht auch nicht von heute auf morgen. Sie wissen ja, ich bin optimistisch und ich denke, über die Zeit wird sich das ausgleichen.“
Welche Rahmenbedingungen oder Schlüsselfaktoren in der Bankenwelt wären aus Ihrer Sicht notwendig, damit der Weg in die oberen Etagen der Finanztürme für qualifizierte Frauen nicht versperrt bleibt?
„Das allerwichtigste ist, dass man die eigenen Rollenbilder im Kopf verändert. Schon zu Hause muss das Rollenbild so sein, dass auch eine Frau in einem Männerberuf akzeptiert ist. Und es ist wichtig, dass man nicht meint, bestimmten Erwartungen entsprechen zu müssen. Zweitens müssen Frauen in Führungspositionen so selbstverständlich werden, wie das heute schon in den USA oder in Großbritannien der Fall ist. Da gilt es Rollenvorbilder zu schaffen und das Selbstbewusstsein von Frauen weiter zu stärken. Mir ist aber auch wichtig, dass man nicht nur Frauenförderung macht, sondern eine Gender-Balance erreicht. Das bedeutet auch mehr Männer in Frauenberufen. Drittens sind natürlich die Rahmenbedingungen wie Kitas und flexible Arbeitszeitmodelle ein wichtiger Faktor. Aber in diesem Bereich wird ja auch schon viel gemacht.
Es heißt, Sie haben kein Verständnis für Fragen, wie Sie selber den Job neben der Familie organisieren. Erklären Sie uns kurz, was genau Ihnen da aufstößt?
„Wissen Sie, warum ich mich da manchmal so schwertue? Weil diese Frage immer nur uns Frauen und nie Männern gestellt wird. Trotzdem will ich die Frage beantworten, das Thema ist ja generell wichtig. Denn auch diejenigen Eltern, die ihre Karriere nicht zum Mittelpunkt ihres Lebens machen, stehen vor enormen Herausforderungen. Wer holt wann das Kind ab, welche Schulen werden ausgesucht, wie organisieren wir den Alltag? Das sind aber eben alles Familienfragen und keine Frauenfragen.“
Gut, dann die Familienfrage: Wie bekommen Sie denn alles unter einen Hut?
„Wir haben es bei uns zu Hause so organisiert, dass einer von uns immer am Abend zu Hause ist und besprechen das zusammen am Anfang einer Woche. Wir haben natürlich auch externe Hilfe und werden zusätzlich von der Familie unterstützt. Ich habe mal scherzhaft bei einem Vortrag gesagt, dass man sich mit den Schwiegereltern und den Eltern schon früh gut stellen muss, wenn man Karriere machen will. Das ist einfach die beste Hilfe, die man überhaupt haben kann. Ich glaube generell, dass wir mit den komplizierten Strukturen heute eine Renaissance von Familienstrukturen erleben, weil sie das Leben eben doch leichter machen.“
Sie sagen Ihr Durchbruch war ein Projekt, von dem Ihnen jeder abgeraten hat. Mangelt es den vielen jungen Frauen, die auf dem Weg bis ganz nach oben irgendwo verloren gehen, an Selbstbewusstsein?
„Man muss sich selber fordern, sich Ziele setzen und sich sagen: ‚Ich will weiter kommen.‘ Man muss neugierig sein, Engagement haben und akzeptieren, dass es auch mal Rückschläge gibt. Die gehören doch dazu und werfen uns auch nicht um. Dann sagt man eben: ‚Okay, versuche ich es halt nochmal.‘ Das passiert doch jedem. Auch Männern. Wichtig ist auch, die Karriere selber in die Hand zu nehmen und nicht darauf zu warten, dass man von anderen entdeckt wird.“
Wie macht man denn am besten auf sich aufmerksam?
„Schauen Sie, dass Sie an den richtigen Stellen ankommen, um im Konzern sichtbar zu werden und möglicherweise auch eine Rolle für andere Bereiche zu spielen. So können Sie auffallen. Bereiten Sie sich gedanklich immer schon auf die nächste Rolle vor. Dazu gehört es auch, in großen Runden Redebeiträge und Präsentationen zu übernehmen, damit andere Ihre Arbeit wertschätzen können.“
Frau Hengster, wenn Sie an die Zukunft denken, gibt es irgendwas, das Ihnen Angst macht?
„Es gibt nichts, was mir Angst macht, sondern vielmehr Dinge, die mir wichtig sind. Dinge wie die große Herausforderung, Europa weiter und erfolgreich zu gestalten, so dass wir fit für die Zukunft sind. Und dass wir in der Art, wie wir die Flüchtlinge hier bei uns aufnehmen, die richtigen Zeichen für Integration setzen. Wir leben in einer Zeit der Umbrüche, die riesige Chancen für Produkte, Wachstum und neue Jobs mit sich bringt. Chancen, die wir jetzt noch gar nicht sehen.“
Was macht Sie denn da so zuversichtlich?
„Ich bin gespannt, was wir aus all den Chancen machen. Es gibt ja diesen Kölner Spruch: Et hätt noch emmer joot jejange. Ich bin zwar keine Kölnerin, aber ich halte das für absolut zutreffend und das gilt für alle Lebensbereiche. Die Menschheit hat ja schon ganz andere Dinge gestemmt. Gerade in schwierigen Situationen läuft man doch oft zur Hochform auf und kommt auf Gedanken und Ideen, die man sonst vielleicht gar nicht gehabt hätte.“
Wie lebt es sich eigentlich als eine von Wiener Melange verwöhnte Österreicherin in einer Stadt, deren Nationalgetränk Äppelwoi ist?
„Damit habe ich überhaupt keine Probleme und ich gehe gerne auch mal in eine Apfelweinstube. Frankfurt ist ja eine extrem offene und internationale Stadt. Wir Österreicher haben es leicht in Deutschland, weil man uns auch ein bisschen mit Urlaub verbindet.“
Und wie schmeckt Ihnen die hessische – auch als Stinkekäse bekannte – Spezialität Handkäs mit Musik?
„Es gibt ja sogar einen Tatar aus Handkäse. Man kann übrigens ja auch weniger Zwiebeln drauf tun, dann ist es nicht so heftig. Die Frankfurter Grüne Sauce mag ich auch sehr gerne.“
Gibt es etwas, das wir vergessen haben?
„Das Thema Netzwerke finde ich sehr wichtig, weil es einem die Möglichkeit des offenen Austausches gibt und man von anderen lernen und dabei immer auch noch Spaß haben kann. Aber es ist wichtig, nicht nur Frauennetzwerke, sondern viele verschiedene zu pflegen. Vor allem auch innerhalb des eigenen Unternehmens. Ich habe schon vielfach erlebt, dass Menschen ihr Unternehmen verlassen haben, weil sie aus Mangel an Kontakten gar nicht gesehen haben, wie es auch intern weitergehen hätte können. Ich weiß, es ist schwer, sich fürs Netzwerken Zeit rauszuschneiden, aber es zahlt sich aus.“
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