Hava ist das perfekte Beispiel für gelungene Integration: sie spricht fließend Deutsch, spielt Theater, Fußball und engagiert sich für andere Geflüchtete – leider ist das egal, denn Hava kommt aus einem sicheren Herkunftsland. Gegen ihre angesetzte Abschiebung hat sich nun Widerstand formiert.
Die Ungerechtigkeit des deutschen Asylsystems
In einigen Jahren könnte Havere als Beispiel perfekt gelungener Integration herangezogen werden. Sie könnte Interviews geben, in Talkshows auftreten und auf Konferenzen darüber sprechen, wie Integration gelingen kann. Man könnte ihre Geschichte erzählen, um zu zeigen, wie sehr Geflüchtete unsere Gesellschaft bereichern. Man könnte. Das Problem – Havere , die von ihren Freunden kurz Hava genannt wird, kommt aus dem Kosovo. Der Kosovo gilt als sicherer Herkunftsstaat. Deshalb ist es völlig egal, dass die 16-jährige nach gerade einmal zwei Jahren in Deutschland nahezu perfekt Deutsch spricht, die Willkommensklasse ohne Probleme gemeistert hat, mittlerweile in die zehnte Klasse einer Regelschule in Berlin geht und sich an diversen schulischen Aktivitäten beteiligt hat. Es ist egal, dass sie sich nichts mehr wünscht als das deutsche Abitur machen zu können, um dann hier entweder Mathematik oder Architektur zu studieren. Es ist egal, dass sie in zwei Fußballmannschaften spielt, als Teil von drei unterschiedlichen Theatergruppen regelmäßig auf der Bühne steht und sich darüber hinaus für neuankommende geflüchtete Mädchen engagiert und diesen dabei hilft anzukommen – in einem Land, das Hava nicht länger haben will.
Die Debatte darum, ob und wenn ja, wie Geflüchtete in unsere Gesellschaft integriert werden können, wird spätestens seit Merkels: „Wir schaffen das” intensiv geführt. Von allen Seiten schallt es, Integration sei kein einseitiges Projekt, Geflüchtete müssten auch bereit sein, sich zu integrieren, bereit sein die Sprache zu lernen, sich den deutschen Gepflogenheiten anzupassen, ein Teil der Gemeinschaft zu werden und dieser dankbar etwas zurückgeben. All das tut Hava – und das mit gerade einmal 16 Jahren, ohne ihre Familie, die bereits im Sommer abgeschoben wurde. Und trotzdem reicht es nicht, weil der Kosovo als sicheres Herkunftsland gilt. Dass die einzige Perspektive für Havere als junge, kopftuchtragende Muslima nach der Rückkehr in ihre Heimat die Ehe ist, spielt dabei keine Rolle. Das sie dort Verfolgungen ausgesetzt ist, auch egal. Der Kosovo wurde als sicherer Herkunftsstaat definiert, damit haben Menschen von dort kein Anrecht auf Asyl.
Wie viel mehr sollen Menschen tun, um sich den Aufenthalt in diesem Land zu „verdienen” fragt man sich, wenn man Havas Geschichte hört. Diese Ungerechtigkeit löst Wut und Verzweiflung aus, bei Havas Freunden, ihren Unterstützern, unserer Redaktion, Hava aber merkt man nichts davon an.
Besser integriert als viele Deutsche
Sie geht weiter zum Fußball, spielt Theater, beklagt sich nicht darüber, dass sie ihre Familie seit Monaten nicht gesehen hat, besucht mittlerweile eine Schule für Bauzeichnung kümmert sich jeden Tag um Menschen, die sich, im Gegensatz zu ihr, in Deutschland noch fremd fühlen. Als sie, nachdem ihre Familie abgeschoben wurde, in eine Wohngemeinschaft für Jugendliche ziehen musste, in der sie mit Drogenabhängigen zusammenleben musste, hat sie sich selbst eine andere Einrichtung gesucht und so lange gekämpft, bis sie umziehen durfte. Hava ist bereit ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen – aber der deutsche Staat möchte das nicht.
Die junge Muslima ist neugierig auf das Land, in dem sie nun lebt. Sie ist ehrgeizig und ambitioniert. Kennengelernt hat die Redaktion sie im Rahmen einen Workshops der EAF Berlin zu Berufsperspektiven für junge Frauen, geflüchtet oder in Deutschland geboren. Hava ist engagierter als mein gesamter Freundeskreis zusammen, sie spricht sieben Sprachen, steht komplett auf eigenen Beinen. Sie ist zehn Jahre jünger und ist trotzdem so viel eigenständiger, erwachsener und engagierter als ich. Aber ich hatte das Glück im richtigen Land geboren zu sein und sie das Pech im falschen? Das kann doch nicht sein!
Im Februar 2017 soll Hava abgeschoben werden. Dagegen hat sie gemeinsam mit ihren zahlreichen Freunden und Unterstützern ein Härtefallantrag gestellt, über den morgen, am 22.11. in der Härtefallkommission des Landes Berlin entschieden wird. Wenn zwei Drittel der Kommission dem Härtefallantrag stattgeben, wird die Entscheidung über Havas Bleiberecht an den Senat weitergegeben – das ist ihre einzige Chance auf eine Zukunft in Deutschland.
Um diesen Antrag zu unterstützen, gibt es auch eine Petition bei change.org, die bereits über 30.000 Menschen unterzeichnet haben. Je mehr Menschen unterzeichnen, desto wahrscheinlicher ist es, dass die Härtefallkommission positiv entscheidet.
Hava mit einigen ihrer Unterstützerinnnen von der EAF Berlin. (Quelle: Retrica)
Frauen, die die Welt besser machen
Wir berichten immer wieder über starke, inspirierende Frauen. Als ich Hava kennengelernt habe, saß mir genauso eine junge Frau gegenüber. Eine kluge, engagierte, tolle und einnehmende junge Frau, die die Welt verändern will – ein Vorbild.
Wie gerne hätte ich ihre Geschichte erzählt, um damit jungen Mädchen zu zeigen, dass man alles schaffen kann. Die Ungerechtigkeit und Willkür des deutschen Asylsystems lässt das nicht zu. Statt Vorbild für andere, zwingt es Hava dazu Bittstellerin in einem System zu sein, das ihr zeigt, dass „Alles ist möglich” nur mit dem richtigen Pass stimmt, dass es völlig egal ist, wie engagiert, wie angekommen, wie integriert man ist, wenn man im falschen Land geboren ist.
So wie Hava geht es vielen Menschen, deren Asylantrag in Deutschland abgelehnt wird – das rechtfertigt aber nicht, dass wir bei ihr wegschauen. Vielleicht kann Havas Geschichte doch irgendwann als Vorbild dienen. Dafür lohnt es sich zu kämpfen.
Die Petition für Hava könnt ihr hier unterschreiben.
Update, 23.11.2016: Erst einmal gibt es gute Neuigketiten: dem Härtefallantrag wurde in der Kommission stattgegeben. Nun wird die Entscheidung an den Senat weitergegeben.
Update, 13.12.2016: Hava darf bleiben. Der Berliner Senat hat die Aufenthaltsgenehmigung für Hava bewilligt. 40.000 Unterschriften haben dabei geholfen. Ihr Traum ist wahr geworden – für viel zu viele andere Menschen liegt das Recht auf eine Zukunft in Deutschland aber immer noch in unerreichbarer Ferne. Die Gruppe um Hava will deshalb weiterkämpfen: für ein faires Bleiberecht, das dafür sorgt, dass menschliche Schicksale nicht mehr vom Wohlwollen eines Senats abhängen.
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