Foto: Unsplash

Junger Afghane bekommt kein Asyl, weil ihm Behörde nicht glaubt, dass er schwul ist

Eine österreichische Behörde verwehrt einem 18-jährigen Afghanen Asyl, weil er ihre homophoben Klischees nicht erfüllt.

„Sie sind nicht homosexuell und haben daher bei Ihrer Rückkehr nach Afghanistan nichts zu befürchten.“

Ein minderjähriger Afghane flüchtet allein und sucht Schutz in Österreich. Das österreichische Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) glaubt ihm nicht, dass er homosexuell ist und sieht darum keinen Asylgrund: „Weder Ihr Gang, Ihr Gehabe oder Ihre Bekleidung haben auch nur annähernd darauf hingedeutet, dass Sie homosexuell sein könnten.“

Es handelt sich dabei um den negativen Asylbescheid eines 18-jährigen Geflüchteten aus Afghanistan, wie die österreichische Wochenzeitung Falter aufdeckte. Die Journalistin Nina Horaczek berichtet von einem ihr vorliegenden Papier, das von homophoben Klischees nur so trieft. Den mehr als 100 Seiten starken Bescheid behält sie unter Verschluss, da er zahlreiche persönliche Angaben zum Antragsteller beinhaltet und seine Identität anonym bleiben soll. Auszüge veröffentlichte sie allerdings auf Twitter.

Es sind Aussagen, die erst wie Satire anmuten und dann wehtun. Dass ein Asylbeamter aus dem demokratischen, modernen Österreich diesen Bescheid verfasste, ist unfassbar.

Zu wenig gesellig für einen Homosexuellen?

Neben seinem „Gang und Gehabe“ wird unter anderem auch ein Streit mit anderen Jungen als ein Indiz gezählt, warum er nicht homosexuell sein könne: „Ein Aggressionspotenzial ist bei Ihnen also vorhanden, das bei einem Homosexuellen nicht zu erwarten wäre.“

Auch dass er wenige Freund*innen habe, deutet der Asylbeamte als heterosexuell: „Sind Homosexuelle nicht eher gesellig?“, heißt es. Dass er viele nicht homosexuelle Jungen geküsst habe, wird ihm nicht geglaubt, das sei „absoluter Unsinn“. Als Begründung dafür wird angeführt: „Hätten Sie das tatsächlich bei einem nicht homosexuellen Jungen gemacht, dann hätten Sie furchtbare Prügel bezogen.“ Am Schluss des Berichtes folgt das Urteil des Asylbeamten: nicht homosexuell.

Derartige Fälle sind keine Seltenheit

Thiemo Bischof arbeitet als Rechtsberater bei Queer Base, einem Verein, der Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans*- und Interpersonen (LGBTIQ*) hilft, die nach Österreich geflüchtet sind. Bischof berät auch den 18-jährigen Afghanen. „An sich sind derartige Berichte leider schon üblich“, sagt Bischof im Interview mit ze.tt. Dennoch sei dieser Asylbescheid ein besonders krasser Fall. „Im Falle des Klienten bestehen für uns keine Zweifel, dass er homosexuell ist.“ Bischof betont, dass sie lange Gespräche mit ihren Klient*innen führen und nur Menschen aus der queeren Community vertreten würden.

„Im Falle des Klienten bestehen für uns keine Zweifel, dass er homosexuell ist.“ – Thiemo Bischof

Bereits dreimal entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) über das asylrechtliche Schicksal geflüchteter homosexueller Männer. Im Zuge des EuGH-Urteils wurden rechtliche Kriterien herausgearbeitet, die in Asylverfahren, in denen Sexualität eine Rolle spielt, einzuhalten sind. Unter anderem wurde festgelegt, dass Fragen, „die allein auf stereotypen Vorstellungen von Homosexuellen beruhen“, unzulässig seien.

Auch die UNHCR-Richtlinien von 2012 besagen: „Interviewer/innen und Entscheidungsträger/innen müssen eine objektive Herangehensweise bewahren, damit ihre Schlüsse nicht auf stereotypen, ungenauen oder unzutreffenden Vorstellungen von LGBTI-Personen beruhen.“ Weiter heißt es: „Aus dem Vorhandensein oder Nichtvorhandensein bestimmter stereotyper Verhaltensweisen oder Äußerlichkeiten darf nicht geschlossen werden, dass Antragstellende eine bestimmte sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität besitzen oder nicht besitzen. Es gibt keine allgemeingültigen Merkmale oder Eigenschaften, die für LGBTI-Personen typischer wären als für Heterosexuelle. Ihre Lebenserfahrungen können sich erheblich voneinander unterscheiden, selbst wenn sie aus demselben Land kommen.“

„Es gibt keine allgemeingültigen Merkmale oder Eigenschaften, die für LGBTI-Personen typischer wären als für Heterosexuelle.“ – UNHCR

Genau das schrieb Thiemo Bischof am 8. Mai dieses Jahres auch in seiner ersten E-Mail an die Qualitätssicherung in Wien, die unter anderem dafür zuständig ist, Qualitätsstandards in Asylverfahren einzuhalten. Am 11. Mai versicherte ihm die Stelle die Weiterleitung seiner Anfrage. Am 30. Mai wendete er sich dann an die übergeordnete Bundesqualitätskontrolle des BFA. „Bis heute habe ich keine Antwort auf diesen grausamen Bescheid bekommen“, so Bischof.

Der Afghane hat gegen die Entscheidung in erster Instanz nun Beschwerde erhoben. Jetzt muss das BFA die Anträge und die damit im Zusammenhang stehende Glaubwürdigkeit nach den Grundsätzen der „Plausibilität, Kohärenz und der allgemeinen Glaubwürdigkeit“ beurteilen.

Der Originaltext von Eva Reisinger ist bei unserem Kooperationspartner ze.tt erschienen. Hier könnt ihr ze.tt auf Facebook folgen.

Mehr bei EDITION F

Ein junger syrischer Flüchtling auf der Flucht durch die Wälder Südosteuropas – ein Chatprotokoll. Weiterlesen

Was passiert, wenn „die Flüchtlinge“ ein Gesicht bekommen. Weiterlesen

Bildung, Unvoreingenommenheit, Pragmatismus: Meine drei Lehren für die Integration. Weiterlesen

Anzeige