Frauen haben die Regierung an sich gerissen, Verjüngungspillen lassen alle wie Ende Zwanzig aussehen und ein Mann kettet seine Frau im Keller an – der neue Roman von Karen Duve ist da.
Das Zeitalter der feministischen Demokratie
Karen Duve wurde für ihre Romane bereits mit vielen Preisen ausgezeichnet, ihre Romane „Regenroman“, „Dies ist kein Liebeslied“ (2005) und „Taxi“ (2008) waren Bestseller und wurden in 14 Sprachen übersetzt. 2011 dann veröffentlichte sie ihren Selbstversuch „Anständig essen“ und löste eine Debatte über unser Essverhalten aus.
Karen Duves gerade erschienener neuer Roman „Macht“ entwirft ein Panorama des Jahres 2031: Staatsfeminismus, Wirbelstürme, Hitzewellen, Endzeitstimmung und Verjüngungspillen prägen die Gesellschaft. Ein Mann kettet seine Frau im Keller an, wo sie ihm seine Lieblingskekse backen muss und ihm auch sonst gefügig zu sein hat.
Wir veröffentlichen einen Auszug aus dem zehnten Kapitel:
10
Als ich in den Prepper-Raum
komme – ich nenne diesen Kellerteil bei mir jetzt immer den
Prepper-Raum; diese Funktion wird er ja auch eines Tages übernehmen
müssen – als ich also eintrete, macht mir Christine eine Szene.
Sie behauptet, ich hätte sie absichtlich fünf Tage nicht besucht,
„um sie fertigzumachen“. So drückt sie das aus.
„Warum tust du mir das
an? Ich habe nichts gemacht. Was habe ich denn gemacht? Habe ich
nicht alles gemacht, was du gesagt hast?“
Sie keucht hysterisch,
während ich den Karabinerhaken in ihre Halskette einklinke und sie
nach Waffen abtaste.
Mir ist durchaus klar,
welche Bedeutung Regelmäßigkeit und Verlässlichkeit im Leben einer
Gefangenen haben. Ich besitze ein überdurchschnittliches
Einfühlungsvermögen, auch wenn Christine das nie wahrhaben will. Es
ist schon früher einige Male vorgekommen, dass ich sie für zwei,
drei Tage sich selbst überlassen habe, aber dann hat es immer einen
triftigen Grund dafür gegeben. Ich habe es nur getan, wenn alle
anderen Strategien, Christine zur Kooperation zu bewegen, versagt
haben. In den letzten Tagen hatte ich einfach bloß keine Lust, zu
ihr hinunterzugehen.
Zuerst
haben Elli und ich auch noch den Sonntag im Hotel verbracht, und in
den Tagen darauf haben wir ständig telefoniert, zweimal war ich bei
ihr, und nächsten Montag will sie mit ihrer Klasse in der
Demokratiezentrale eine Besichtigungstour machen. Ich bin über beide
Ohren verliebt. Deswegen war mir einfach nicht danach zumute,
Christine zu sehen.
„Wie kommst du eigentlich
darauf, dass es bei allem immer nur um dich gehen muss“, sage ich
ungehalten. „Vielleicht habe ich ja auch einmal Wichtigeres zu tun,
als hier unten bei dir zu sitzen und mir dein Geschwätz anzuhören.
Viel Neues hast du ja nicht zu berichten. Und hast du mir nicht
neulich erst in deiner erfrischend offenen Art gesagt, dass du
schreien möchtest, wenn ich dich nur berühre? Also freu dich doch,
wenn ich nicht da bin.“
„Du hast eine andere,
stimmt’s? Wieso hast du plötzlich dein bestes Hemd an? Das hat
doch einen Grund. Gib es doch zu, dass du eine andere hast!“
„Quatsch“, sage ich.
Ich habe nicht die allergeringste Lust, mit ihr über Elli zu
sprechen. „Und wenn es so wäre, geht es dich auch nichts an.“
„Sag es mir wenigstens,
wenn du mal wieder vorhast, mich für ein paar Tage zu vergessen. Ich
weiß doch nicht, was los ist. Ich denke doch, du hast einen
Autounfall gehabt und ich muss hier verhungern.“
Christine heult jetzt
beinahe.
„Wird nicht passieren“,
sage ich. „Dafür habe ich doch das Schriftstück beim Notar
hinterlegt.“
Bisher hat sie zur
Aufrechterhaltung des Friedens immer so getan, als würde sie die
Geschichte von dem verschlossenen Umschlag, der ihr im Falle eines
Falles das Leben retten soll, glauben. Nicht heute.
„Du verlogenes
Arschloch.“ Sie spuckt vor mir auf den Boden. „Du bist doch
wirklich ein armes Schwein.“
Sie sagt es mit dieser
kalten Verachtung in der Stimme, die sie auch draufhatte, als ich sie
das erste Mal geschlagen habe. Diesmal bleibe ich ruhig.
„Du verstehst da etwas
ganz falsch“, sage ich heiter. „Du kannst mich nämlich gar nicht
verachten. Du kannst mich hassen und verabscheuen, aber verachten
kann man nur Menschen, die unter einem stehen. Es ist schlichtweg gar
nicht möglich, dass du jemanden verachtest, dem du ausgeliefert bist
und von dessen Wohlwollen dein Schicksal abhängt.“
„Wenn du dich da mal
nicht täuschst“, sagt Christine.
„Erinnerst du dich noch
an den FAZ-Fragebogen“, antworte ich – ach die gute alte FAZ mit
ihrem guten alten Fragebogen, in dem die kulturlosen Politiker auf
die Fragen nach ihren Lieblingsbüchern und -malern immer so
geantwortet haben, als wären sie die totalen Leseratten und würden
jeden Sonntag stundenlang durch Museen streifen –, „erinnerst du
dich noch, dass auf die Frage: ,Welche Person der Geschichte
verachten sie am meisten’, alle immer brav ,Adolf Hitler’ geantwortet haben? Das hat mich damals schon geärgert. Ich behaupte
ja nicht, dass man den Mann mögen muss. Aber Verachtung ist einfach
das falsche Wort für jemanden, der mächtig und gefährlich war.“
„Hältst du dich für
mächtig und gefährlich? Willst du das gerade sagen? Vielleicht
verachte ich dich ja dafür, dass du es nötig hast, mich hier
einzusperren, um dich mächtig und gefährlich zu fühlen“,
antwortet Christine giftig.
„Das ist auch Quatsch“,
sage ich geduldig. Ich bin viel zu sehr in Hochstimmung, um mich
provozieren zu lassen. „Genauso gut könntest du einen Millionär
dafür bemitleiden, dass er es nötig hat, Millionär zu sein.“
„Wenn er es nötig hat,
ist er dafür auch zu bemitleiden“, beharrt mein Weib.
„Es stellt sich doch gar
nicht die Frage, ob ich es nötig habe. Es ist einfach eine Tatsache,
dass die Grundverschiedenheit zwischen den Geschlechtern vor allem
darin besteht, dass Männer körperlich stärker sind. Und wenn du
nicht mehr den Schutz einer Frauen bevorzugenden Gesellschaft
genießt, sondern wir beide uns so gegenüberstehen, wie wir nun
einmal beschaffen sind, dann ist doch wohl völlig klar, wer hier das
Sagen hat.“
„Du wagst ja nicht einmal
das“, keift Christine. „Du traust dich ja gar nicht, es mit mir
aufzunehmen, ohne dass ich an eine Kette gefesselt bin. Und du
musstest mich erst betäuben, damit du mich anketten konntest. Wow,
super Leistung das – echt! Weißt du eigentlich, dass Gift als
typische Frauenwaffe gilt?“
Sie steht mit verschränkten
Armen vor mir. Ihre Augen blitzen. Auf einmal begehre ich sie wieder.
Wer weiß, wie lange ich sie überhaupt noch haben werde.
„Na gut“, sage ich, „du
willst Streit? Dann wollen wir mal sehen.“
Ich gehe zur Panzertür,
gebe den Zahlencode ein, öffne die Tür sperrangelweit, nehme den
Schlüssel für die Halsschelle vom Haken und komme damit zu
Christine zurück. Sie schaut mich mit offenem Mund an.
„Halt still“, sage ich.
Sie beugt gehorsam den Kopf
zur Seite. Ich sehe, wie ihre Arme zittern. Sie glaubt, dass sie mich
hereingelegt hat und dass jetzt ihre Chance gekommen ist. Ich lege es
nicht darauf an, ihr wehzutun, aber ich muss ihr eine Lektion
erteilen. Damit sie endlich begreift. Behutsam klappe ich die Schelle
auf und ziehe sie von ihrem Hals herunter, lege das Metallding
vorsichtig auf den Couchtisch. Christine steht mit gesenktem Kopf vor
mir und reibt sich den Nacken. Ich kann es geradezu sehen, wie es in
ihrem kleinen Kopf rattert, und balle schon mal die Fäuste. Unsere
ganze Ehe hindurch hat sie mir ihr verdammtes Innenleben aufgedrängt,
hat mich immer wieder gezwungen, ihre banalen Gefühlswelten
nachzuvollziehen, und jetzt kenne ich sie in- und auswendig und bin
ihr immer einen Schritt voraus. Von mir weiß sie praktisch nichts.
Mit einem heiseren Schrei
springt sie mich an. Sie hat es auf meinen Hals abgesehen, versucht,
mich in den Adamsapfel zu beißen. Kein schlechter Einfall. Aber der
Aufprall ihres Körpers gegen den meinen ist von rührender Schwäche.
Ich treffe sie mit der Faust am Kinn. Ihr Kopf fliegt zur Seite.
Spätestens in diesem Moment muss ihr klar geworden sein, dass ich an
jenem Tag, an dem ich sie angeblich unkontrolliert geschlagen habe,
in Wirklichkeit äußerst kontrolliert, ja geradezu behutsam
vorgegangen bin. Jetzt kennt sie den Unterschied. Sie taumelt, gibt
ein würgendes Geräusch von sich, fängt sich zu meiner Überraschung
aber, bevor sie fällt, und versucht, zur offenen Tür zu rennen. Ich
trete ihr von hinten in die Kniekehle. Sie geht zu Boden und ich knie
mich mit einem Bein auf ihren Rücken und drehe ihr die Arme nach
hinten. Wir keuchen beide, aber keiner von uns schreit oder sagt auch
nur etwas. Christine versucht, ihre Fingernägel in meine Hände und
Arme zu graben, und da habe ich es endgültig satt, lasse ihre
Handgelenke los, packe ihren Kopf und schlag ihn zweimal kräftig
gegen den Fußboden, einmal mit dem Gesicht. Jetzt schreit sie. Beim
zweiten Mal schmiert Blut über das Laminat. Christine wehrt sich
nicht mehr, auch nicht, als ich sie wieder zur Kette hinüberschleife.
Sie sitzt bloß da und schluchzt, während ich ihr die Halsschelle
wieder anlege und den Schlüssel umdrehe und abziehe. Ich streichle
ihr beruhigend den Kopf, dann stehe ich langsam auf und gehe in aller
Ruhe zur Sicherheitstür, schließe sie, gebe den Zahlencode wieder
ein und hänge den Schlüssel für die Halsschelle an den Haken.
„Setz dich aufs Bett“,
sage ich und sie steht auf und setzt sich wie eine willenlose Puppe
auf das Bett. Ich hole einen Waschlappen aus dem Schrank und halte
ihn unter den Wasserhahn der Spüle. Mit dem nassen Lappen wische ich
ihr vorsichtig das Blut von der Nase und von der aufgeplatzten
Unterlippe.
„Mach mal den Mund auf.“
Als ich ihr mit beiden
Daumen die Oberlippe hochziehe, sehe ich, dass ihr linker
Schneidezahn ganz schief steht. Der Eckzahn daneben ist zur Hälfte
abgebrochen. Ich schiebe den Schneidezahn wieder einigermaßen in die
richtige Position. Christine jammert leise.
„Zieh dich aus“, sage
ich.
Gibt es etwas Schöneres
als den Anblick einer Frau, die sich auszieht? Während Christine mit
gesenktem Kopf ihr Kleid aufknöpft, spüre ich, wie mein Herz das
Blut mit kräftigen, gleichmäßigen Schlägen durch meine
jugendlichen, völlig kalk-und-thromben-freien Adern treibt und wie
die Freude am Leben und Herrschen darin mitschwimmt und jedes
einzelne Körperteil erreicht. Es gibt keine Gleichheit zwischen
Männern und Frauen, es gibt nur Sieger und Besiegte.
Christine sitzt nackt neben
mir auf der Bettkante, den Blick nach unten gerichtet, die zitternden
Hände zwischen die Knie gepresst.
„Leg dich auf den Bauch“,
sage ich. Sie fängt wieder an zu weinen.
„Bitte nicht. Ich glaube,
ich habe eine Gehirnerschütterung.“
Ihre Stimme ist so leise,
dass ich sie kaum verstehen kann.
„Leg dich auf den Bauch.“
Es gefällt mir, grausam zu
sein. Diesmal gehorcht Christine widerspruchslos. Ich lege mich
schwer auf sie, angle nach einem Kissen, um es ihr unter die Hüfte
zu stopfen, und dann ficke ich sie absichtlich grob, während sie
weint. Ständig verlangen Frauen, dass man Rücksicht auf sie nimmt.
Weil sie Kopfschmerzen haben oder weil sie schneller frieren oder
langsamer sind oder schwächer. Selbst in Seenot erwarten sie eine
Extrawurst. Lasst mich zuerst ins Rettungsboot – ich bin eine
kostbare Frau! Wieso sollte das minderwertiger ausgestattete Exemplar
einer Spezies bevorzugt werden? Wieso sollte ich Rücksicht darauf
nehmen, dass jemand körperlich schwächer ist als ich? Das ist
evolutionäres Pech. Damit hat das Schicksal demjenigen seinen Platz
zugewiesen: unter meinen Stiefeln. Alles, was Frauen tun, können sie
nur mit der Erlaubnis von uns Männern tun. Und wenn sie sich jetzt
in der Regierung breitgemacht haben, diese ehrgeizigen, kleinen
Biester, dann liegt das nur daran, dass sie niemand daran gehindert
hat. Es ist eine Laune unserer Zivilisation, dass wir Frauen in den
letzten Jahrzehnten wie gleichwertige Menschen behandelt haben, bloß
eine Laune, keine Selbstverständlichkeit. Zivilisation beruht nicht
auf Freundlichkeit oder Gerechtigkeitsempfinden. Eine Zivilisation
fördert das, was sie stärker macht, was ihr nützt. Und Frauen
gesellschaftlich mitbestimmen zu lassen, hat nur so lang Sinn
gemacht, wie wir hofften, dass die Frauen mit ihren sozialen
Kompetenzen und ihrem Verantwortungsgefühl und dem ganzen
Schnickschnack den Karren für uns noch einmal aus dem Dreck ziehen
könnten. Seit die Klimaerwärmung die schlimmstvorstellbare
Entwicklung eingeschlagen hat und wir wissen, dass da nichts mehr zu
retten ist, gibt es auch keinen Grund mehr, Frauen an der Macht
teilhaben zu lassen. Gerechtigkeit? Gerechtigkeit ist etwas, von dem
nur die Schwachen profitieren. Es wäre schön blöd von den Starken,
das zuzulassen. Und die Starken, das werden in den nächsten Jahren
die Skrupellosen sein, die Schlauen und Aggressiven, die, die sich in
den Apotheken einfach vordrängeln und den anderen die letzten
Ephebo-Reste vor der Nase weggrapschen. Und wenn ich eine Prognose
wagen darf: Es werden nicht die mit dem Fahrradhelm sein, die am
längsten überleben.
Nachdem ich mit Christine
geschlafen habe, liege ich noch eine Weile neben ihr, meinen Körper
an ihren Rücken gepresst, streichle und tröste sie. Sie macht sich
steif in meinen Armen.
Ich küsse Christine
hinters Ohr.
„Du dumme Kuh“, sagte
ich. „Du brauchst jetzt Trost, also nimm ihn auch. Du hast keine
Wahl. Nur mich.“
Sie erstarrt noch mehr. Ich
greife ihr von hinten zwischen die Beine, bewege meine Hand langsam
vor und zurück, bis Christine wieder zu weinen anfängt. Ich mache
weiter, erhöhe den Druck.
„Man muss auch verlieren
können“, sage ich immer noch dicht an ihrem Ohr. „Du hast mich
eben unterschätzt und jetzt bist du schlauer.“
Ich dringe noch einmal in
sie ein, aber diesmal sehr sanft und vorsichtig.
„Sei doch froh, dass ich
dich immer noch will. Vielleicht habe ich eines Tages einfach die
Nase voll von dir. Das kannst du dir wohl gar nicht vorstellen, was?“
Diesmal dauert es fast eine
viertel Stunde, bis ich komme, und meine Gedanken schweifen immer
wieder ab zu Elli, sodass ich viel leidenschaftlicher und zärtlicher
zu Christine bin, als sie es eigentlich verdient. Mir wird klar, dass
ich den Prepper-Raum aufgeben muss. Nein, nicht muss – ich will ihn
aufgeben. Den Prepper-Raum und Christine. Für Elli. Ich will einen
Neuanfang. Das, was da zwischen uns entsteht, ist etwas Reines und
Heiliges, etwas, das nicht beschmutzt werden darf.
aus: Karen Duve: Macht. Galiani Berlin, Februar 2016, 416 Seiten, 21,99 Euro.
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