Russlanddeutsche gelten am besten integriert und doch sind sie irgendwie anders. Wie genau dieses Anderssein aussieht und welche Vorzüge und Peinlichkeiten es mit sich bringt, Russlanddeutsche zu sein, berichtet euch Olga ab jetzt in ihrer Kolumne. Diese Woche geht es, um die Verweigerung der innerrussischen Ehe.
Über Luftschlösser und Blumenwiesen
Ich hatte bereits erzählt, wie sehr ich mich zwischen den Kulturen zerreiße, die Traditionen meiner russischen Heimat bewahren möchte und gleichzeitig endlich einmal ankommen möchte. Ich beherrsche die Kunst beider Küchen, spreche und verstehe beide Sprachen – mehr oder weniger – und feiere die Feiertage beider Nationen. In einer Hinsicht sitze ich allerdings nicht zwischen den Stühlen: der Männerwahl!
Ich würde mich persönlich lieber von einem Körperteil trennen, als einen russischen Mann zu heiraten! So, jetzt ist es raus. Manche mögen das etwas drastisch finden, besonders mein Vater und meine russische Großmutter, die sich allein bei dem Gedanken an eine Vermählung von mir mit einem russischen Mann seelig und von Glück berauscht über Blumenwiesen drehen sehen. Doch meine Gegenrede, dass ihr Wunsch für immer ein Luftschloss bleiben wird, hilft übrigens nichts, ihr Traum bleibt!
Der Punkt, an dem alle Fäden zusammenlaufen
Aber kommen wir zum Anfang, oder auch dem Grund des Übels und meiner – böse Zungen würden behaupten – rassistischen Partnerwahl. Um all die aufschreienden russischen Männer (falls diese überhaupt meine Texte lesen) zu beruhigen: Ihr seid nicht allein für meine Abneigung verantwortlich! Der Hauptgrund, wie für so vieles, da sie mehr oder weniger der Punkt ist, an dem alle Fäden zusammenlaufen, ist meine russische Großmutter.
Sie ist das Oberhaupt der Familie und somit hat auch der Rest der Familieden Rollenklischees der fünfziger Jahre zu entsprechen, die sie weiterhin für gut befindet. Diese beinhalten die Anwesenheit der Frau am Herd, neben der Waschmaschine, bei den Kindern, beim Mann und nicht zu vergessen auf der Arbeit. Der russische Mann hat da nichts zu suchen, außer vielleicht bei der Arbeit. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir hierzu die Aussage meiner Großmutter zu ihren Töchtern und Enkelinnen: „Wenn ich eure Männer außer zum Essen in der Küche sehe, gibt es Ärger.“ Und glaubt mir, wirklich niemand möchte mit dieser Frau Ärger haben. Kurz zusammengefasst: der Albtraum jeder Feministin – wahlweise auch der feuchte Traum jedes Chauvinisten.
Alle auf Position: Papa kommt nach Hause
Verbildlicht werden kann diese „traditionelle“ Familiengestaltung am besten an einem Beispiel aus dem Alltag: das Heimkommen des Familienoberhaupts. Sobald Papas Auto in der Vorfahrt zu hören ist, beginnt im Haus ein Treiben wie in einem Bienenstock zur Hochsaison. Sobald der Mann des Hauses das Haus betritt, verläuft alles nach einem nie abgesprochenen, aber reibungslosen Plan. Einer nimmt dem Vater alles Unnötige ab und jemand anderes stellt schon mal das Essen auf den Tisch, damit die Bienenkönigin – oh ich meine der Mann –versorgt ist. Falls die Mutter gerade zu diesem Moment nicht zu Hause ist, übernehmen die Töchter diese Aufgaben. Denn sobald diese die Fähigkeit besitzen, gleichzeitig zu laufen und einen Teller zu tragen, wird keine Notwendigkeit darin gesehen, dass der Vater sich selbst und womöglich auch noch der Tochter das Essen erwärmt. Natürlich wird mit dem Essen nicht darauf gewartet, bis alle am Tisch sitzen, wozu auch?
Es ist diese Selbstverständlichkeit sich bedienen zu lassen, die mich in den Wahnsinn treibt. Die Ignoranz und vermeintlichen Überlegenheit mit der russische Männer durchs Leben stolzieren, unterstützt von einer gesamten Nation samt ihrer Frauen und Mädchen. Ein Beispiel dafür? An Ostern bekamen wir Enkelkinder nach Alter gestaffelt große Osterkörbe. Da ich die Älteste bin, suhlte ich mich bereits in meiner zu erwartenden schokoladigen Glückseligkeit. Die Enttäuschung kam dann prompt als nicht ich, sondern mein jüngerer Cousin das größte Körbchen bekam. Das Unverständnis über meine Enttäuschung kam allerdings von den Frauen der Familie. Und wer sich fragt, ob ich mich tatsächlich fast 20 Jahre später immer noch über weniger Schokolade echauffiere, ja das tue ich!
Stolze Holzhacker und grazile Schwalben
Ich höre schon den Aufschrei derer, die sagen, dass doch nicht alle so erzogen worden sind. Ich nicht von meiner Familie auf alle schließen kann. Es auch emanzipierte Frauen und Männer gibt. Ja, gibt es bestimmt, irgendwo, hoffe ich zumindest. Aber muss ich mich wirklich auf die Suche nach dieser Nadel im Heuhaufen machen? Diese Rollenklischees beruhen einfach zu einem großen Teil auf unserer Kultur. Und wie ich bereits einmal erwähnt hatte: Auf die Enttäuschung vieler Migranten folgt die Rückbesinnung auf alte Traditionen. Zwar kann der Mann seinen ehemaligen Aufgaben, wie Holz hacken, Angeln, Tiere schlachten und Gerätschaften reparieren nicht mehr nachgehen, aber daran ist er ja nicht schuld. Wenn er könnte, würde er ja.
Da die Frau es aber kann, macht sie es dann auch. Dabei muss sie nicht nur die hauswirtschaftlichen Aufgaben erfüllen, sondern auch die optischen. Denn über die Grenzen der ehemaligen Sowjetunion hinweg ist die Schönheit der russischen Frauen berüchtigt. Damit ist nicht unbedingt deren natürliche Schönheit gemeint, es handelt sich vielmehr um den Aufwand, den russische Frauen für ihr Aussehen betreiben. Fuß und Fingernägel sind farblich aufeinander abgestimmt, die Haare perfekt frisiert, die Absätze der Schuhe so hoch wie die Zwiebeltürme am roten Platz und die Figur so grazil, wie die einer Schwalbe.
Den Anforderungen nicht gerecht werden
Man könnte mir jetzt vorwerfen, dass ich den Anforderungen einfach nicht gerecht werde und deswegen eine solche Antihaltung an den Tag lege. Dass ich, wie der Russe sagen würde, „deutsch” geworden sei. Was keines Falls ein Kompliment zur Assimilation ist, sondern eine Beleidigung für meine geringe Weiblichkeit. Und irgendwo stimmt dieser Vorwurf. Im Haushalt bin ich bis aufs Kochen eine Niete. Meine Fingernägel style ich am liebsten im Shabby-Chic, der abgeblätterten Nagellack beinhaltet, und einer Schwalbe gleiche ich in meinem Auftreten so sehr, wie ein Pinguin. Aber das Deutscheste an mir ist wahrscheinlich die Weigerung, mich einem Partner zu unterwerfen.
Allerdings könnte sich der russische Mann auch etwas integrieren. Er könnte im Haushalt und bei der Erziehung helfen. Er könnte auch mal ein „Danke“ über seine Lippen bringen, wenn mal wieder alles für ihn geregelt und organisiert wurde. Oder aber er könnte Frauen einfach als gleichberechtigte Menschen sehen, aber vielleicht verlange ich an diesem Punkt etwas zu viel.
Vielleicht könnte ich auch etwas an meinen Ansprüchen ändern, aber dann wäre ich nicht mehr ich. Vielleicht könnte ich mir die Mühe machen und meinen Partner „umerziehen“, aber dann wäre er nicht mehr er und ich eher seine Mutter, als seine Partnerin. Alles nicht wirklich ideal. Also wäre es wohl ganz gut, wenn ich meine Körperteile beisammen behalten würde und die Wutausbrüche russischer Natur ebenfalls. Denn die kann ich gut!
Artikelbild: Rob | flickr | CC BY-ND 2.0
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