Text: Raoul Croes/Unsplash

Die Grundrente ist beschlossen – gegen Altersarmut hilft sie allerdings nicht

Die Grundrente galt als entscheidender Faktor für das Bestehen oder Zusammenbrechen der Großen Koalition. Nun haben sie einen Kompromiss gefunden. Verdient dieser wirklich das Attribut „sozialpolitischer Meilenstein“? Das fragt sich unsere Autorin Helen Hahne heute in ihrer Politikkolumne „Ist das euer Ernst?“.

Kampf gegen Altersarmut – aber erst nach der Einkommensprüfung

„Als sozialpolitischen Meilenstein“ bezeichnet Arbeitsminister Hubertus Heil die Grundrente, auf die sich die Große Koalition am 10. November einigen konnte. 1,5 Millionen Rentner*innen sollen von ihr profitieren. 1,5 Milliarden Euro werden dafür zur Verfügung gestellt. Anspruch auf die Grundrente hat, laut dem derzeitigen Konzept, jede*r, die*der 35 Jahre gearbeitet hat und deren*dessen Rentenanspruch dennoch unter der Grundsicherung liegt (die im Durchschnitt rund 800 Euro beträgt) beziehungsweise wenn der eigene Rentensatz mindestens 30 Prozent und höchstens 80 Prozent des Durchschnittschlohns beträgt. Darunter bekommt man Sozialhilfe, darüber nichts. Anspruch besteht außerdem erst nach einer sogenannten Einkommensprüfung. Finanziert werden soll sie größtenteils durch eine Finanztransaktionssteuer, die ebenfalls 2021 in Kraft treten soll.

Der Beschluss hat viele Kritiker*innen, auch innerhalb der Großen Koalition. Wenn sich aber zum Beispiel der Wirtschaftsflügel der CDU/CSU und die Junge Union gegen ein sozialpolitisches Konzept aussprechen, spricht das eigentlich dafür, dass das Gesetzesvorhaben tatsächlich eine sozialpolitische Bedeutung hat. Wie sich mit diesem „sozialpolitischen Meilenstein“ Altersarmut wirklich bekämpfen lässt, bleibt allerdings fragwürdig, wenn Menschen, die Anspruch auf die neue Grundrente haben, vielleicht 80 Euro mehr zur Verfügung haben als momentan. Altersarmut lässt sich damit nicht bekämpfen.

Vielmehr scheint es, wie der Soziologe und Armutsforscher Christoph Butterwegge es formuliert hat, vor allem um „Symbolpolitik“ zu gehen. Diese Symbolpolitik macht total Sinn, wenn man bedenkt, dass 2021 60 Prozent der Wähler*innen über 50 Jahre alt sein werden. Ein „sozialpolitischer Meilenstein“ sieht dennoch anders aus.

Wir brauchen eine solidarische Debatte

Das zeigt vor allem die derzeitige Diskussion um die Grundrente und die Verteidigungsargumentation der Großen Koalition. In dieser Diskussion werden bedürftige Menschen gegeneinander ausgespielt: Bei der Rechtfertigung geht es um „Lebensleistung“ und darum, dass Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben, nicht genauso schlecht dastehen dürfen wie Menschen, die das nicht getan haben. Es stimmt: Es ist absurd, dass Menschen ihr Leben lang gearbeitet haben und im Alter trotzdem nicht würdevoll leben können. Aber es gibt keinen Grund, unterschwellig – indem man auf das Recht dieser Menschen auf eine Grundrente pocht – jenen Menschen, die aus vielfältigen Gründen nicht ihr Leben lang in die Rentenversicherung eingezahlt haben, dieses Recht abzusprechen. In der Debatte wird aber genau das gemacht, anstatt darüber zu sprechen, dass alle Menschen in diesem Land würdevoll leben können sollten. In der Kritik an der Grundrente werden immer wieder Schreckensbilder von fiesen Rentner*innen entworfen, die die 800 Euro Grundrente einstreichen könnten, obwohl sie irgendwo fünf Häuser besitzen und wahrscheinlich noch ein Boot. Diese Klischees dienen aber eigentlich dazu, das Konzept der Grundrente in Frage zu stellen und damit denjenigen die Grundrente abzusprechen, die sie wirklich brauchen. Es geht einmal mehr nicht um die Menschen, die jetzt schon von Altersarmut betroffen sind oder klar darauf hinsteuern.

Altersarmut betrifft vor allem Frauen

Aber genau darum muss es gehen. Diese Debatte zu führen ist deshalb auch eine feministische Aufgabe. Denn Altersarmut betrifft vor allem Frauen und Alleinerziehende. Menschen, die in schlecht bezahlten Jobs gearbeitet haben oder immer noch arbeiten und gleichzeitig ihre Arbeitszeit reduziert haben, um zu betreuen, zu erziehen, zu pflegen. Damit sich ihre Situation verbessert, brauchen wir wirkliche sozialpolitische Meilensteine – und zwar nicht nur bei der Grundrente. Altersarmut wird auch dadurch verhindert, dass Menschen für ihre Arbeit fair bezahlt werden, sich ihre Miete leisten können und vom Staat und der Gesellschaft bei der Betreuungs- und Pflegearbeit unterstützt werden. Darauf müssen wir die Diskussion lenken und nicht auf „Einkommensprüfungen“.

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