Am 9. und 10. Mai 2025 wurde das Gasometer auf dem EUREF-Campus in Berlin-Schöneberg zum Treffpunkt für Deutschlands größte Krebs-Community. Die YES!CON 6.0 brachte 1500 Besucher*innen, 100 Speaker*innen und 30 NGOs und Enabler zusammen. Betroffene, Expert*innen und Angehörige teilten neue Perspektiven und Ideen für ein gerechteres Gesundheitssystem.
Es ist sehr still vor der großen Bühne im Gasometer, als Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, von dem Moment ihrer Krebsdiagnose vor fünf Jahren erzählt. Es sei ein Moment gewesen, in dem sie sich extrem allein fühlte. Allein, überfordert und voller Fragen. Was wird passieren? Werde ich sterben? Was wird meine Familie, was werden meine Freund*innen dazu sagen? Nach und nach wurde klar, wie wichtig Orte des Austauschs und der Vernetzung sind. Orte wie die YES!CON, die Menschen zusammenbringt und an denen die gemeinsame Maxime nachhaltig gelebt wird: „Du bist nicht allein.“
Krebs in Deutschland: Zahlen, die uns alle betreffen
Im Jahr 2022 wurden in Deutschland rund 504.000 neue Krebsfälle diagnostiziert. Davon entfielen etwa 267.772 auf Männer und 236.394 auf Frauen. Für das Jahr 2025 wird mit einem weiteren Anstieg auf etwa 523.000 bis 530.000 Neuerkrankungen gerechnet (Quelle: Robert-Koch-Institut). Bei Männern ist Prostatakrebs am häufigsten, gefolgt von Lungen- und Darmkrebs. Bei Frauen steht Brustkrebs an erster Stelle, gefolgt von Darm- und Lungenkrebs. Es gibt kaum eine Person, die nicht in irgendeiner Form mit dem Thema konfrontiert ist, als Betroffene*r oder indirekt Betroffene*r im Familien- oder Freundeskreis. Krebs ist also Teil unserer Gesellschaft. Und doch ist das Thema stark unterrepräsentiert. Dem wirkt die YES!CON entgegen, in diesem Jahr unter der Leitung von Tobias Korenke und Jan Schiller (Geschäftsführer der yeswecan!cer gGmbh).

„Krebs ist nicht gleich Krebs. Jede*r hat das Recht, anders damit umzugehen. Aber niemand ist damit allein.“ – Manuela Schwesig
In einer Atmosphäre der Verbundenheit wurde die diesjährige YES!CON 6.0 von Manuela Schwesig und Moderation Julia Josten für eröffnet erklärt. Unter dem Motto „Zukunft beginnt jetzt“ dreht sich alles um die neuesten Innovationen in der Krebsmedizin: Wie bringen klinische Studien die Therapie voran? Welche Chancen bieten Künstliche Intelligenz und Digitalisierung in der Onkologie? Und wie gelingt es, Arbeit, Alltag und Krankheit besser zu vereinbaren?
Studien retten Leben: Warum klinische Forschung mehr Aufmerksamkeit braucht
Das erste Panel der YES!CON 2025 trägt den Titel „Gesundheitsgipfel: Studien retten Leben“. Es rückt die Bedeutung klinischer Studien für die Krebsmedizin ins Zentrum. Hochkarätige Gäste wie Manuela Schwesig, Prof. Dr. Thorsten Schlomm (Spezialist für urologische Krebserkrankungen und genbasierte Krebsmedizin, Direktor der Klinik für Urologie an der Charité – Universitätsmedizin Berlin.), Dr. Anke Diehl (Universitätsmedizin Essen, Leiterin der Abteilung für Digitale Transformation), Dr. Daniel Steiner (Vorstand Roche Pharma AG) und Dr. Markus Leyck Dieken (Mediziner, Pharma-Manager, eHealth Changemaker) diskutieren, warum die Zahl der Studien und die Teilnahme von Patient*innen in Deutschland rückläufig sind – und welche Folgen das für Forschung und Behandlung hat.
Ein zentrales Ergebnis: Nur elf Prozent der Patient*innen in Deutschland werden überhaupt von ihren Ärzt*innen auf die Möglichkeit einer Studienteilnahme hingewiesen – eine Zahl, die Betroffene und Expert*innen gleichermaßen alarmiert. Dabei entstehen gerade in Studien die Therapien der Zukunft, die lebensrettend sein können.
Das Panel wirft einen Blick auf exklusive Umfrageergebnisse. Die Teilnehmenden diskutieren, wie klinische Forschung zugänglicher, praxisnäher und effizienter gestaltet werden kann. Die Forderung: Politik, Gesundheitswesen und Industrie müssen gemeinsam dafür sorgen, dass mehr Patient*innen Zugang zu innovativen Therapien erhalten und aktiv über Studien informiert werden.
Die Diskussion macht deutlich: Studien retten Leben – aber nur, wenn sie für alle erreichbar sind. Die YES!CON 2025 setzt mit diesem Panel ein klares Zeichen für mehr Transparenz, Aufklärung und Teilhabe in der Krebsmedizin.
Mutmacher*innen: Prominente sprechen über ihre Krebserkrankung
Die FUNKE-Verlegerin Julia Becker spricht auf der Bühne mit prominenten und reichweitenstarken Menschen über deren Krebserkrankung und ihren Umgang damit. Eine von ihnen ist Patrice Aminati. Sie erhielt 2023 die Diagnose schwarzer Hautkrebs. Es folgten Operation und Tablettentherapie. Ein Jahr später wurden bei ihr Metastasen in Lunge und Hirn gefunden. Die Mutter einer kleinen Tochter setzt ihre Bekanntheit ein, um auf die Bedeutung von Vorsorgeuntersuchungen aufmerksam zu machen. Und sie erzählt auf der diesjährigen YES!CON, warum sie trotz schlechter Prognosen nicht aufgeben wird.
Patrice Aminati sagt: „Wir haben doch alle Träume. Warum sollten wir am Morgen aufstehen, wenn wir sie schon längst begraben hätten?“ Sie spricht damit ihrer Sitznachbarin aus dem Herzen. Die deutsche Paralympics-Schwimmerin und Goldmedaillen-Gewinnerin Elena Semechin erhielt vor vier Jahren die Diagnose „Diffuses Astrozytom“, ein bösartiger, unheilbarer Hirntumor.

„Man braucht auch in schwierigen Situationen und nach Schicksalsschlägen Ziele, die einem Kraft geben und einen antreiben.“ – Elena Semechin
Sieben Tage nach ihrer Gehirn-OP war sie wieder beim Training. Sie fokussierte sich auf Krafttraining und schaffte im Sommer 2024 das Unglaubliche: Gold in Paris! „Man braucht auch in schwierigen Situationen und nach Schicksalsschlägen Ziele, die einem Kraft geben und einen antreiben“, sagt Elena. Eine komplette operative Entfernung des Tumors war nicht möglich und auch das Risiko eines Rückfalls ist ihr ständiger Begleiter.
Seitdem sie ihre Krankheit öffentlich gemacht hat, ist eine große Community aus Betroffenen entstanden, denen sie mit ihrer Geschichte Mut macht. Elena Semechin erhält in diesem Jahr auch den Ring of Courage – eine Auszeichnung, die im Rahmen der YES!CON von der Initiative yeswecan!cer verliehen wird. Mit dem YES!AWARD – Ring of Courage werden seit 2020 Prominente und Persönlichkeiten geehrt, die sich in besonderem Maße für die Enttabuisierung von Krebs und einen offenen Umgang mit der Krankheit engagieren.
Am Ende des Panels dankt Julia Becker den Panelist*innen für ihre Offenheit und ihren Mut. „Ihr seid die Multiplikator*innen, ihr transportiert die Emotionen, ihr erzählt die Geschichten, die so viele Menschen erreichen.“
Diversität in der Onkologie: Für eine gerechtere Krebsmedizin
Gesundheit ist ein Menschenrecht. Aber gilt das auch für alle Menschen? Das fragt Yvonne Weiß, Leiterin des Bereichs Cultural Affairs bei FUNKE, zu Beginn eines Panels, in dessen Mittelpunkt das Thema Vielfalt in der Krebsmedizin steht. Denn Krebs ist nicht gleich Krebs. Menschen mit unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten erleben die Krankheit ebenso unterschiedlich.
Für den Erfolg einer Behandlung können Alter, Geschlecht, die sozialen und kulturellen Hintergründe eine Rolle spielen. Bei BIPoC etwa wird Hautkrebs oft spät diagnostiziert. Im Falle einer Leukämie-Erkrankung finden sich schwerer Stammzellspender*innen.
Und auch unbewusste Vorurteile spielen eine wichtige Rolle, wenn beispielsweise Beschwerden als „übertrieben“ abgetan werden. Welche Folgen hat das für Betroffene?
Dieses immens wichtige Panel beleuchtet strukturelle Ungleichheiten in der Medizin und in der Onkologie und diskutiert, wie diversitätssensible Therapieansätze und interkulturelle Kommunikation zu einer gerechteren Versorgung führen können. Denn diskriminierungsfreie und respektvolle Behandlung muss für alle Menschen gleichermaßen möglich sein.
„Sensibilität ist keine Kür, sie ist Pflicht, wenn wir alle gut versorgen wollen.“ – Dr. Ebru Yildiz
Im Panel „Diversität in der Onkologie“ wird eindrücklich diskutiert, wie sehr kulturelle, soziale und individuelle Unterschiede das Erleben von Krebs und die medizinische Versorgung beeinflussen. Die Teilnehmenden, darunter Prof. Dr. Dr. Jalid Sehouli, Hayriye Oguz, Dr. Adak Pirmorady Sehouli, Dr. Ebru Yildiz, Sebastian Paschen, Moritz Roloff und Wilma Nyari, bringen vielfältige Perspektiven aus Medizin, Patient*innenvertretung, Wissenschaft und Aktivismus ein.
Es wird deutlich, dass Sprache, Herkunft, Religion und gesellschaftliche Prägung großen Einfluss darauf haben, wie Menschen mit einer Krebsdiagnose umgehen, welche Informationen sie erreichen und wie sie Therapien annehmen. Die Panelist*innen machen klar, dass eine diversitätsorientierte Onkologie nicht nur gerechter, sondern auch wirksamer ist. Sie fordern mehr Offenheit, Sensibilität und Repräsentanz in Forschung, Versorgung und Kommunikation. Echte Teilhabe und Empowerment von Patient*innen kann also nur gelingen, wenn ihre Lebensrealitäten und Bedürfnisse ernst genommen werden.
Diversität in der Onkologie ist kein Trend, sondern ein Menschenrecht. Sie macht Medizin menschlicher und besser. Das Panel inspiriert, weiterzudenken: Wie können wir alle dazu beitragen, dass Vielfalt in der Medizin nicht die Ausnahme, sondern selbstverständlich ist?
Psychoonkologie & Tabus: Verletzlichkeit ist eine Stärke
Ein weiterer Höhepunkt ist die Keynote des Psychoonkologen Carsten Witte, der sich und seinem Publikum die Frage stellt: Wie können wir in unserer Verletzlichkeit Heilung finden? Zunächst macht Carsten Witte ein strukturelles Problem deutlich. „Jede zweite Person in Deutschland wird laut dem Robert-Koch-Institut in Deutschland einmal an Krebs erkranken.“ Das heißt, jede Person kennt entweder Personen, die an Krebs erkrankt sind oder ist selbst an Krebs erkrankt. Krebs sei also in der Mitte der Gesellschaft angekommen. „Aber da draußen: Da wird nicht drüber gesprochen.“
„Wenn wir nichts zu verlieren haben, tragen wir keine Masken.“ – Carsten Witte
„Seit vierzehn Jahren bin ich selber Patient. Seit zehn Jahren Patient*innenverteter und seit sechs Jahren Psychoonkologe. Ich möchte mit euch teilen, warum ich es für besser halte, hinter die Maske zu schauen, anstatt wegzugucken.“ Carsten Witte spricht offen darüber, wie ihm der Arzt vor vierzehn Jahren eine grausame Diagnose überbrachte – und ihn daraufhin allein ließ. Und warum Humor helfen kann, mit ernsthaften und schwierigen Situationen umzugehen. Weil Humor eben nicht die Ernsthaftigkeit nimmt, sondern die Schwere.
„Ich mag den Gedanken, dass das, was uns verbindet, das Streben nach Glück ist. Und Menschen mit einer Krebserkrankung werden herausgerissen aus diesem Fluss.“ Ein zentrales Thema ist die Bedeutung von Gemeinschaft und Austausch: Carsten Witte hebt hervor, wie wertvoll es ist, andere Betroffene zu treffen, Erfahrungen zu teilen und sich gegenseitig Mut zu machen. Für ihn sei die YES!CON ein Ort, an dem genau das möglich wird – ein Netzwerk, das Hoffnung und Zuversicht schenkt.
Kinderwunsch während der Krebstherapie und danach
Manchmal stellt das Leben Fragen, auf die keine*r vorbereitet ist. Das Panel „Zwischen Therapie und Kinderwunsch“ bringt genau diese Momente auf die Bühne: Was passiert, wenn eine Krebsdiagnose die Familienplanung durchkreuzt? Wie fühlt es sich an, wenn medizinische Notwendigkeiten und persönliche Träume plötzlich gegeneinanderstehen?
Diana Karweina-El-Awadi (Grundschullehrerin, Brustkrebs-Betroffene), Regina Livchits (Psychoonkologin, Pflegefachkraft und Pflegeberaterin), Dr. Dr. Saskia Biskup (Fachärztin für Humangenetik, Unternehmerin), Sally Schulze (Psychologin und Kinderwunschberaterin), Diana Zinkler (Journalistin, Leiterin Kommunikation ASB), Prof. Dr. Jens-Uwe Blohmer (Direktor der Klinik für Gynäkologie mit Brustzentrum, Charité) und Matea Tudic (BRCA1-Genträgerin) – Expert*innen und Betroffene – sprechen offen darüber, wie Krebs nicht nur den Körper, sondern auch die Zukunftspläne betrifft. Es geht um Fruchtbarkeit nach der Therapie, eingefrorene Eizellen und die Hoffnung, dass nach der Therapie noch alles möglich ist. Die Diskussion zeigt: Zwischen Chemotherapie und Kinderwunsch liegen oft Unsicherheit, Angst und viele offene Fragen – aber auch Mut, neue Wege zu gehen.
„Man bekommt so viele Informationen auf einmal – aber das Thema Fruchtbarkeit wird oft vergessen. Dabei ist es für viele von uns existenziell.“ – Diana Karweina-El-Awadi
Die Gäste erzählen, wie sie sich durch den Dschungel aus medizinischen Informationen, Bürokratie und emotionalen Herausforderungen kämpfen. Sie teilen, wie wichtig es ist, frühzeitig über Fruchtbarkeitserhalt zu sprechen – und wie wenig selbstverständlich das bislang im Klinikalltag ist. Die Expert*innen fordern mehr Aufklärung, bessere Beratung und ein Gesundheitssystem, das die Lebensrealität junger Patient*innen ernst nimmt.
Die größte YES!CON aller Zeiten
Die Geschichten auf der Bühne zeigen: Auch wenn Krebs vieles verändert, bleibt die Hoffnung auf Familie, auf Nähe, auf ein Leben nach der Therapie. Und manchmal beginnt Zukunft genau dann, wenn man sie am wenigsten erwartet.
Die YES!CON 6.0 fand am 9. und 10. Mai 2025 im Gasometer auf dem EUREF-Campus in Berlin-Schöneberg statt und war mit rund 1.500 Besucher*innen, über 100 Speaker*innen und 30 NGOs sowie Enablern die bislang größte Ausgabe der Krebs-Convention seit ihrer Gründung. Sie förderte den offenen Dialog, präsentierte wegweisende Innovationen und formulierte klare Forderungen an Politik und Gesundheitswesen für eine bessere und gerechtere Zukunft in der Krebsbehandlung
