Foto: brand eins

Liebe Gabriele Fischer,

Es geht nicht um Quoten, es geht um die Perspektive auf Themen. Und das Spiegelbild der Gesellschaft, das nun einmal ganz und gar nicht männlich ist.

 

Von allen Wirtschaftsmagazinen in Deutschland lese ich die brand eins am liebsten, so geht es mir bereits lange. Eigentlich so lange, wie ich mich für Wirtschaft interessiere und es die brand eins gibt. Seit 1999. Seit vergangener Woche steht die brand eins aus einem Grund in der Kritik, der für EDITION F zentral ist. Die Perspektive auf Themen. Die Welle der Kritik brach aufgrund einer Facebook-Debatte los.

Julia Minsk hatte auf die brand eins-Facebook-Seite gepostet:

„Liebe brandeins, wie jeden Monat habe ich heute voller Freude Euer Heft aus dem Briefkasten gefischt. Zugegeben etwas irritiert vom Titelbild aber sehr angezogen vom Thema habe ich die ersten Seiten schon im Treppenhaus durchgeblättert. Noch den Titelmann im Kopf bemerke ich allerdings dann, dass mich noch weitere Herren anstarrten. In meiner Wohnung angekommen, sah ich noch mehr. Und noch mehr. Und noch mehr. Und fragte mich, was eigentlich mit den Damen passiert ist. Bis auf Gabriele Fischer fand ich genau drei Portraits (und natürlich die Dame im kurzen Schwarzen hinten drauf). Meine weitere Recherche trieb mich durch ältere Ausgaben, wo die Quote noch schlechter aussah. Im letzten Heft, beispielsweise, gab es bis auf die Werbedarstellungen keine einzige Frau. Ich bin wirklich nicht besonders sensible für dieses Thema und ohne den Titelmann wäre es mir wahrscheinlich – wie bei älteren Ausgaben auch nicht – gar nicht aufgefallen, aber nun frage ich mich nun, ob es bei einer Ausgabe über Alternativen nicht Alternativen zur Männerdominanz gegeben hat – und bei jeder anderen Ausgabe übrigens auch.“

„Wir sind kein Quotenmagazin“, sagte ein Redakteur der brand eins, „wir suchen nicht nach Männern oder Frauen, wir suchen nach dem interessantesten Gesprächspartner. Nur darauf kommt es an. Wenn wir also viele Männer im Magazin haben, dann ist das ein Spiegelbild unserer Gesellschaft.“

Dieses Statement führte bei uns in der Redaktion nur zu Kopfschütteln. Es liegt auf der Hand, dass das Spiegelbild unserer Gesellschaft keines ist, in dem 80 Prozent der Geschichten von Männern handeln. Und die Suche nach genialen Geschichten, Ideen und Wandel, der durch Frauen ausgelöst wird, ist wirklich leicht: Es gibt unzählige Frauen, die spannende Dinge anstoßen. Das wird uns jeden Tag mehr bewusst. Die brand eins hingegen möchte nicht einmal selbst nach ihnen Ausschau halten. In der Facebook-Debatte antwortete Ihr Redakteur noch einmal: „Sie können gern 50 intelligente Frauen vorschlagen.“ 

Nach spannenden und neuen Perspektiven muss man suchen. Sie kommen nicht von selbst. Und auch wir recherchieren gezielt nach anderen Perspektiven. Auch nach männlichen, damit gemeinsam debattiert und weiter gedacht werden kann. Denn eines ist klar: der Mensch, der Themen sucht, bestimmt, was er sieht. Davon kann sich kein Journalist, kein interviewpartner, kein Autor frei machen. Eine weite Perspektive entsteht somit auch im Journalismus nur, wenn eine Vielfalt von Menschen berichtet.

Eines will ich unterstreichen: Ich schätze es sehr, wenn Magazine nicht über Frauen schreiben, weil diese Frauen sind. Genauso geht es mir bei der Berichterstattung über Männer, junge Menschen, alte Menschen oder Migranten. Die brand eins, so schreibt Chefredakteurin Gabriele Fischer in einem Online-Editorial heute, interessiere sich für Menschen, die Wirtschaft und Gesellschaft weiterbringen. Für „bessere Lösungen für die Probleme hier und in aller Welt.“ Ein ehrenwerter Ansatz.

Wir freuen uns über neue Autoren, Ideen und Leserbriefe immer sehr. Und auch über Partnerschaften mit Medien. Letztens traf ich auf einem Event einen Autor der brand eins, der mich nach einem Vortrag ansprach. Ausdrücklich klar machte er mir in den ersten zwei Sätzen, das die brand eins niemals mit uns zusammenarbeiten würde, denn die Herangehensweise an Themen, wie wir sie machen, sei der brand eins gänzlich fremd. „Schade“, dachte ich mir – und verstehe erst heute, was er damit eigentlich gemeint hatte.

Ich verstehe Ihre Haltung, keine Quotenfrau sein zu wollen. Auch ich habe mich lange dagegen gesträubt, auf rein weiblichen Panels zu sprechen oder das Thema Gründerinnen zu thematisieren. Und von der Idee, selbst ein Vorbild zu sein, bin ich noch weit entfernt. Sie allerdings nicht. Meine persönliche Rebellion gehen Frauenthemen verschwand, als ich merkte, dass ich selbst ängstlicher agierte als meine Kollegen. Mir wurde klar, dass es positive Rollenbilder braucht. Mehr weibliche Vorbilder. Damit wir alle uns bewegen. Sie waren für mich immer so ein Vorbild, ohne eines sein zu wollen. Umso weniger verstehe ich, dass Sie sich nicht als solches sehen möchten.

Es wäre schön, wenn wir diese Debatte nicht mehr bräuchten und lange schon über andere Dinge sprechen könnten. Doch Ihre Wahrnehmung des Gesellschaftsspiegels macht deutlich, dass wir dort noch nicht sind. Sie schreiben, die Auseinandersetzung der vergangenen Tage habe Sie für ein Thema sensibilisiert, das Sie hofften, hinter sich gelassen zu haben. Und dass Sie offen seien für gute Beispiele. Das freut sicher nicht nur mich.

Zentral bleibt jedoch, dass die Suche nach Themen immer auch eine aktive ist. Das wissen Sie besser als ich. Der Statistikwahn ist Blödsinn, der Blick ist das Entscheidende. Und, wie Sie richtig schreiben, Ihr Filter ist und bleibt das Thema Veränderung. Wir freuen uns also darauf, dass sich der Blick der brand eins verändert. Was wäre, wenn Sie die Welt neu denken?

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