Foto: Amadeo Muslimovic | Unsplash

Depressionen sind beschissen – aber ich habe gelernt, damit umzugehen

Machen wir uns nichts vor, die Depression ist wirklich eine ekelhafte Krankheit. Und sie betrifft wirklich jede Menge Menschen. Mein ganz persönlicher Weg mit ihr umzugehen.

 

Depressionen: eine richtig ätzende Krankheit 

Ganz egal, ob man jemanden kennt, der darunter leidet, ob man selbst eine Krankheitsgeschichte hat, oder ob man hin und wieder Phasen der extremen Niedergeschlagenheit durchlebt, bei denen man sich fragt, ob das noch normal ist – in irgendeiner Art und Weise kommen wir fast alle in Kontakt mit Depressionen

Und deshalb ist es natürlich richtig und wichtig, dass für das Verständnis und die Akzeptanz für diese Erkrankung in unserer Gesellschaft gekämpft wird.

Allerdings würde ich mir wünschen, dass eine Depression zwar endlich als ernstzunehmende Krankheit anerkannt wird, aber eben als genau das, was sie ist: eine Krankheit. Nicht mehr und nicht weniger. Zwar eine beschissene Krankheit, aber immer noch nur eine Krankheit. Manche Menschen brauchen Medikamente, um sie zu überwinden, andere nicht. Man muss nicht verrückt oder schwach sein, um sie zu bekommen. Sie kann jeden treffen. Eine ätzende Krankheit eben.

Zwei extreme Blickwinkel auf die selbe Krankheit 

Ich habe das Gefühl, im Bezug auf Depressionen gibt es zwei extreme Seiten (Achtung, Übertreibung): Die eine Seite versteht die Depression nicht: Die Leute sollen sich mal nicht so anstellen. Ist doch alles nicht so schlimm. Jedem geht es doch mal schlecht. Da muss man doch nicht gleich Medikamente nehmen. Reiß dich zusammen. Die andere Seite hat schon mal Depressionen erlebt und „zelebriert” sie fast: Ich bin nun mal krank. Mit mir stimmt eben etwas nicht. Ich bin anders als die anderen. Ich gegen den Rest der Welt. Niemand versteht, was ich durchmache.

Und diese beiden Seiten nähren sich gegenseitig. Wenn der Depressive im vermeintlichen Selbstmitleid versinkt, dann wird er natürlich erst recht nicht ernst genommen. Und wenn man ständig zu hören kriegt, man müsse sich doch nur zusammenreißen, dann fühlt man sich erst recht schlecht, wenn es einem mies geht.

Glaubt mir, ich kenne Depressionen. Ich hatte selbst schon oft genug eine. Deshalb weiß ich, wie sehr man auf sich selbst fokussiert ist, wie maßlos man übertreibt, wie sehr man leidet. Ich habe inzwischen einen recht guten Umgang mit dieser Krankheit gefunden. Einen sehr unromantischen Umgang, jenseits von Therapie und „was hat eigentlich meine Mutter damit zu tun“.

Mein persönlicher Umgang mit der Krankheit 

Der Wendepunkt kam als ich realisiert habe, dass bisher jede, absolut jede einzelne Depression wieder vorbeigegangen ist. Außerdem habe ich angefangen, meine eigenen Gedanken nicht mehr so ernst zu nehmen. Als ich letztes Jahr im Herbst – es erwischt mich immer im Herbst – bemerkte, dass ich wieder depressiv wurde, habe ich mir ganz deutlich gesagt: „Das geht wieder vorbei. Es ist bisher immer vorbei gegangen. Kein Gefühl hält ewig an.” 

Mir war bewusst, dass es mir jetzt mindestens einen Monat lang schlecht gehen würde und, dass diese Zeit richtig unangenehm werden würde. Aber ich empfand ein tiefes Vertrauen, dass es sich auch wieder ändern würde, weil ich das eben schon so oft erlebt hatte. Es hatte sich bisher jedes Mal so angefühlt, als würde es niemals besser werden. Und doch bin ich aus jeder Depression wieder heraus gekommen.

Es spielt dabei übrigens keine Rolle, ob man es alleine oder mit professioneller Hilfe aus der Depression schafft. Es ist auch nicht wichtig, ob man Medikamente nimmt, oder nicht. Entscheidend ist allein die Tatsache, dass man die Situation gemeistert hat, die doch vorher so ausweglos erschien.

Einfach ist es auf keinen Fall 

Das muss man sich bewusst machen: In der Depression erzählt dir dein Gehirn, dass es vollkommen aussichtslos ist, jemals wieder glücklich zu werden – und man glaubt diesen Gedanken! Aus nicht-depressiver Sicht ist das doch ein absolut lächerlicher Gedanke, den man da für wahr hält.

Letztes Jahr im Herbst war ich also der Ansicht, dass es keine Möglichkeit auf Glück für mich gäbe. Und genau da kam der zweite Wendepunkt. Ich nahm diese Gedanken einfach nicht mehr ernst. Ich sagte mir: Ja ja, jetzt siehst du halt wieder alles schwarz, das kennst du doch schon von dir. Da musst du jetzt eine Zeit lang durch und dann ist der Spuk vorbei. So einfach, wie ich das hier schildere, war es natürlich nicht. Es tat weh und ich habe bestimmt den kompletten September jeden Tag geweint. Ich konnte mich nicht konzentrieren, habe fast ein paar Autounfälle gebaut, habe ständig Dinge vergessen. Aber ich war mir sicher: Es geht vorbei. Es geht vorbei, es geht vorbei.

Eine andere Sache, die mir sehr hilft mit diesen depressiven Episoden umzugehen: Ich habe aufgehört, dagegen anzukämpfen. Früher dachte ich immer, ich müsse ganz viele Dinge tun, damit die Depression besiegt wird. Das mache ich jetzt nicht mehr, ich lasse die Depression geschehen. Ich stelle mich auf eine schwierige Zeit ein und wenn ich weinen und schreien muss, dann mache ich das. Außerdem kenne ich mich selbst mittlerweile gut genug, um die Warnsignale zu erkennen, bei denen es dann auch für mich an der Zeit ist, mir professionelle Hilfe zu holen. Ich bin da wirklich sehr aufmerksam geworden und bei den kleinsten Anzeichen (es sind oft nur gedankliche Nebensätze, die mich hellhörig machen) suche ich einen Arzt auf.

Jeder muss seinen eigenen Weg finden

Bitte nicht falsch verstehen, ich rate hier niemandem, eine Depression alleine durchzustehen. Ich rate sowieso niemandem irgendetwas. Ich erzähle nur von dem Weg, den ich für mich gefunden habe. Wenn jemand also in einer akuten Krise steckt, wenn jemand zum ersten Mal eine depressive Episode erlebt, wenn jemand sogar Selbstmordgedanken hat, dann sollte dieser Jemand sofort professionelle Hilfe in Anspruch nehmen.

Ich selbst habe mindestens zehn Jahre gebraucht, um meinen persönlichen Weg zu finden und ich möchte meine Erfahrungen und Erkenntnisse gerne mit euch teilen, in der Hoffnung, dass sie die eine oder den anderen inspirieren: Nimm deine Gedanken nicht so ernst. Kämpfe nicht ständig dagegen an. Es geht vorbei. Auch wenn du es dir aktuell nicht vorstellen kannst, aber jede Situation, jedes Gefühl, jeder Gedanke, jeder Zustand geht einmal vorbei.

Dieser Beitrag ist zuerst auf Isabels Blog erschienen. Wir freuen uns, dass sie ihn auch hier veröffentlicht. 


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