Ziemlich hartnäckig hält sich die Annahme: Nur wer in der Lage ist, sich durchzuboxen und vor allem an sich zu denken, bringt es wirklich weit – ist da etwas dran, und wenn ja: Was wäre daran schlimm?
Brauchen wir ein großes Ego?
Klar: Jemand vom Typ „wirklich soziopathischer Tyrann“ wird es heute (zumindest in der Regel) in der Arbeitswelt glücklicherweise nicht mehr allzu weit bringen. Doch die Annahme, jemand müsse in der Lage sein, auch mal die Ellenbogen auszufahren und vor allem an sich selbst und das eigene Fortkommen denken, um seine Interessen durchzusetzen und um einen steilen Aufstieg im Unternehmen hinzulegen, die hält sich hartnäckig. Und viel zu selten fragt man sich: Ist da eigentlich etwas dran? Brauchen wir tatsächlich ein großes Ego, um aufzusteigen?
Nein – der allgegenwärtige und nicht wirklich kleinzukriegende Mythos vom Ego als Erfolgsvoraussetzung schadet nämlich unserer kreativen Entfaltung, schreibt Ryan Holiday bei 99u.com. Sein gerade erschienenes Buch heißt „Ego is the Enemy“, und er schildert die Lage so: Wir alle wollen die Freiheit, unsere Kreativität im Job auszuleben; wir wollen wichtig sein, wir wollen eine Rolle spielen, wir wollen die Anerkennung unserer Kollegen für das, was wir erreicht haben; nicht getrieben von Eitelkeit, sondern von dem wirklich tiefen Wunsch, unser Potenzial zu entfalten.
Bescheidenheit ist eine Eigenschaft, die grundsätzlich ein gutes Image hat, allerdings sind wir uns nicht so sicher, ob sie uns zu unseren Zielen führt – viele fürchten, auf der Strecke und unsichtbar zu bleiben. Holiday berichtet von vielen Gesprächen, die er während der Entstehung seines Buches geführt hat und die sich immer wieder ähnelten: Seine Gesprächspartner seien sich einig darin gewesen, dass ein zu großes Ego schlecht für die persönliche Entwicklung sei, dass zu viel Ego Kreativität und Freude kaputt mache, und immer wieder wurde ihm von krankhaften Egomanen berichtet, die sich selbst zugrunde gerichtet hätten – aber am Ende kam stets die gleiche Sicht der Dinge: „Aber ein bisschen Ego ist schon wichtig, nicht wahr?“
Selbst Leute, die überhaupt nichts von einem zu großen Ego hielten, sagt Holiday, hätten Angst, auf der Strecke zu bleiben, wenn sie auf den Einsatz von Ego verzichteten. Hier stellt er ganz klar: „Niemand muss ein egoistisches Arschloch sein, um erfolgreich zu sein.“ Vielmehr sei es so, dass es sich bei dieser Annahme um einen der irreführendsten und destruktivsten Mythen der westlichen Kultur handle, in guter Gesellschaft mit der Annahme, man müsse drogenabhängig sein, um ein erfolgreicher Musiker zu werden, oder hungern, um große Kunst zu produzieren.
Die Vorstellung, dass nur die Angeber, die Allwissenden, die rücksichtslos Ehrgeizigen am Ende Erfolg haben: Eine Lüge laut Holiday. Und zwar eine Lüge, die schon sehr viele Leute mit großem Potenzial davon abgehalten habe, genau dieses zu entfalten.
Es gibt diesen Wendepunkt, wenn jemand beginnt, sich selbst so wichtig zu nehmen, dass die Realität um einen herum nur noch verzerrt wahrgenommen wird, schreibt Holiday und zitiert den bereits gestorbenen Football-Trainer Bill Walsh: Ego fange da an, wo „Selbstvertrauen zu Arroganz wird, Selbstsicherheit zu Halsstarrigkeit, Selbstbewusstsein zu rücksichtsloser Hemmungslosigkeit“. Dieser völlig übersteigerte Glaube an die eigene Größe sei es, der die eigenen kreativen Fähigkeiten zerstören könne.
Und Holiday nennt die zwei entscheidenden Gründe, warum ein zu großes Ego eher ein Karriere-Killer als ein Karriere-Plus darstellt:
1. Ego verhindert eine authentische Verbindung zur Welt da draußen
Um wirklich etwas von Bedeutung zu schaffen, müsse man nicht nur sich selbst, sondern auch andere Menschen und deren Werk verstehen – und zwar intuitiv. Wenn aber unser Ego uns flüstert, wir seien besser, als wir in Wahrheit sind, dann behindere das unsere Kreativität, weil eine direkte und authentische Verbindung zur Welt uns uns herum unmöglich werde: Wir können uns nicht mit anderen verbinden, wenn wir ständig um uns selbst kreisen oder denken, wir stünden über ihnen; wir können uns nicht auf andere Menschen beziehen, sie erreichen, motivieren oder sie dazu bringen, unserer Führung zu folgen, wenn wir gar nicht in der Lage sind, uns in ihre tiefsten und oft nicht auf den ersten Blick sichtbaren Bedürfnisse hineinzudenken.
2. Kreativität braucht ein gutes Netzwerk
Wer wirklich Erfolg haben will, der muss verbunden sein: Mit seinem Publikum, seiner Zielgruppe, seinen Käufern; mit Kollegen, Kunden, Agenten, Bookern, ganz grundsätzlich mit Leuten, die wichtig sind, um ein Produkt, eine Dienstleistung zu vermarkten, bekannt zu machen. Auf lange Sicht, schreibt Holiday, mache ein zu großes Ego es langfristig schwierig, wenn nicht sogar unmöglich, positive Verbindungen mit dem notwendigen Netzwerk und mit der eigenen Zielgruppe aufrechtzuerhalten. Er belegt das unter anderem anhand des Beispiel des größenwahnsinnigen „Beanie Babies“-Erfinders Ty Warner, der völlig geblendet vom eigenen Erfolg nicht in der Lage war, auf Warnungen seiner Mitarbeiter zu hören und am Ende mit einer neuen Idee baden ging.
Und so schließt Holiday: Wenn Menschen der Meinung sind, zumindest ein wenig Ego sei für Erfolg unabdingbar, dann meinen sie eigentlich etwas anderes, nämlich: Zuversicht und Selbstvertrauen, der Glaube an sich selbst – aber: Die Unterscheidung zwischen Selbstvertrauen und Ego hält er für enorm wichtig: Selbstvertrauen entfremdet uns nicht von anderen, sondern befähigt uns im Gegenteil dazu, uns auf andere zu beziehen – weil Unsicherheit und Angst für unser Verhalten dann keine Rolle spielen. Wer selbstbewusst ist, der kann empathisch sein und verletzlich. Ego macht uns zu Arschlöchern, schreibt Holiday. Selbstvertrauen hat den gegenteilige Effekt: Es macht ruhig, mitfühlend und neugierig, also: All das, was wir brauchen, um uns kreativ entfalten zu können.
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