Wirken sich Abtreibungen negativ auf die Psyche aus? Eine neue Studie aus den USA gibt Anlass diesen Mythos zu hinterfragen.
Die Rückständigkeit des Abtreibungsparagraphen
In Deutschland sind Abtreibungen nur unter bestimmten Voraussetzungen legal. Eine Abtreibung kann bis zur zwölften Schwangerschaftswoche, also im Rahmen der gesetzlichen Frist, vorgenommen werden. Außerdem ist ein Abbruch zu einem späteren Zeitpunkt erlaubt, wenn das Leben oder die psychische oder physische Gesundheit der Frau gefährdet ist, oder eine Vergewaltigung zur Schwangerschaft geführt hat – selbst dann aber nur innerhalb der ersten zwölf Wochen. Dann werden Abtreibungen als „tatbestandslos„ eingestuft und gelten somit als straffreie Ausnahmen. Außerdem gibt die Möglichkeit zu einer Spätabtreibung, wenn das Kind voraussichtlich unheilbar krank zur Welt kommen wird. Die offizielle Gesetzeslage stellt einen Schwangerschaftsabbruch allerdings immer noch unter Strafe. Klingt rückständig? Ist es auch. Neben der Gesetzeslage spiegelt sich dies zum Beispiel in der Tatsache wider, dass es in Paderborn, einer 150.000-Einwohner-Stadt in einem Land, in dem allein von Juli bis September 2016 24.200 Abtreibungen durchgeführt wurden, für Frauen keine Möglichkeit zum Schwangerschaftsabbruch gibt.
Im Vergleich zu vielen anderen Ländern muss Deutschland aber leider dennoch als progressiv gelten: In Polen zum Beispiel herrscht eines der strengsten Abtreibungsgesetze Europas. Schwangerschaftsabbrüche sind dort nur erlaubt, wenn das Leben oder die Gesundheit der Schwangeren unmittelbar bedroht ist, es Anzeichen auf eine schwere, unheilbare Erkrankung des Fötus besteht, eine Vergewaltigung oder Inzest zu der Schwangerschaft geführt hat. Im Oktober diesen Jahres gab es sogar eine Gesetzesinitiative die ein fast komplettes Verbot von Abtreibungen durchsetzen wollte. Nach zahlreichen Protesten in Polen und an vielen anderen Orten der Welt, die gezeigt haben, dass so ein Verbot völlig an der Lebensrealität der Frauen vorbeigeht.
Und auch in den USA gibt es immer noch viele Staaten in denen Abtreibungen verboten sind. Immer wieder schließen Abtreibungskliniken auf Grund von öffentlichem Druck. Krankenhäuser weigern sich Abtreibungen durchzuführen und Abtreibungsgegner finden immer wieder eine öffentliche Bühne und Zustimmung in der Gesellschaft und von hochrangigen, meist konservativen Politikern und Politikerinnen.
Abtreibungen lösen Depressionen aus?
Neben dem Argument, dass Abtreibungen Mord seien, da ein Fötus bereits als Mensch angesehen werden müsse, führen Abtreibungsgegner auch immer wieder die psychische Gefährdung der abtreibenden Frauen an. Gibt man die Suchbegriffe „Abtreibungen Deutschland” bei Google ein, ist der erste Treffer „Pro Leben” und erst der vierte ein sachlicher Wikipedia-Artikel zu dem Thema. Noch bevor man sich wertfrei über das Thema informieren kann, erfährt man, dass in Deutschland jedes Jahr mehr als 110.000 Schwangerschaftsabbrüche, „also Tötung ungeborenen Lebens”, durchgeführt werden. Klickt man sich durch die Suchergebnisse stößt man auch auf die Seite der „Christdemokraten für das Leben”. Dort kann man nachlesen, dass eine Abtreibung keine Lösung sei, da sie zwei Opfer zurückließe: Das „getötete” ungeborene Kind und die Frau.
Das Argument ist ein gängiges unter Abtreibungsgegnern. Und sicherlich ist es richtig, dass eine Abtreibung eine schmerzliche Erfahrung sein kann – wenn sie eigentlich ungewollt ist. Aber leidet wirklich insgeheim jede Frau, die eine Abtreibung vornehmen lassen hat, unter dieser Erfahrung? Ist keine Abtreibung eigentlich doch immer die richtige Entscheidung?
Eine Studie für eine sachliche Diskussion
Eine neue Studie aus den USA stellt genau das in Frage. Die Forscher der „Advancing New Standards in Reproductive Health”-Abteilung der Universität California-San Francisco kamen zu dem Ergebnis, dass nicht etwa Abtreibungen zu Depressionen führen, sondern die Verweigerung dieser.
In ihrer Studie haben sie über fünf Jahre 956 Frauen begleitet. 452 Frauen davon, deren Schwangerschaft zwei Wochen vor Ende der Abtreibungsfrist lag und die eine Abtreibung durchführen lassen konnten, ein Teil (231 Frauen), deren Schwangerschaft bis zu drei Wochen nach der jeweils festgelegten Frist lag und die deshalb von der Klinik abgewiesen wurden und 273 Frauen, deren Abtreibung in den ersten drei Monaten ihrer Schwangerschaft durchgeführt wurde. Alle Frauen wurden genau eine Woche nach der Abtreibung beziehungsweise deren Verweigerung telefonisch interviewt und dann im Laufe der nächsten fünf Jahre zehn weitere Male.
Die Ergebnisse zeigen, dass die Frauen, denen eine Abtreibung verweigert wurde, über eine längere Zeit mehr Angstsymptome, weniger Selbstbewusstsein und weniger Zufriedenheit mit ihrem Leben empfanden als die Gruppe der Abtreibenden. Bei beiden Gruppen konnte direkt nach der Abtreibung beziehungsweise deren Verweigerung eine Depression festgestellt werden. Das deutet für die Forscher darauf hin, dass eine Abtreibung nicht mehr als deren nicht-Durchführung zu Depressionen führt. Ein Unterschied konnte allerdings nach sechs Monaten bis zu einem Jahr festgestellt werden: Zu diesen Zeitpunkten ging es den Frauen, die eine Abtreibung durchführen konnten besser als denjenigen denen diese verweigert wurde. Da erscheint es doch paradox, dass es sowohl in den USA als auch in Deutschland gängige Praxis ist, dass Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen wollen, zuerst über die negativen psychischen Auswirkungen aufgeklärt werden.
Eine verweigerte Abtreibung ist schlimmer als eine durchgeführte
Antonia Biggs, die Leiterin der Studie, fasste gegenüber dem amerikanischen Magazin Mother Jones ihre Studienergebnisse und das Ziel der Studie deshalb auch wie folgt zusammen:
”We can say that those current mandated counseling laws are not protecting women, and if anything, the research suggests that it’s restricting their access and harming their mental health in the short term. Our goal is to provide the most objective, rigorous data on the effects of abortion on women and provide a better understanding of women’s experiences—as policymakers are interested in learning how abortion affects women, we would hope that they would take this research into account.”
Die Ergebnisse der Studie, auch wenn diese durch die verhältnismäßig kleine Fallgruppe nicht als repräsentativ gelten kann, geben einen spannenden und wichtigen wissenschaftlichen Input für eine objektive Diskussion über Abtreibungen, die sich endlich auf Fakten und nicht auf emotionale oder religiöse Argumente konzentrieren muss – egal ob in den USA, in Polen oder in Deutschland. Und Fakt ist eben, dass Frauen diese Entscheidung eigenständig treffen können müssen.
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