Die weibliche Lust gilt oft immer noch als ein Mysterium, das wir kaum bis gar nicht thematisieren. Die amerikanische Website OMGYes will das nun ändern.
Gleichberechtigung in allen Bereichen?
Diese Woche wurde in Amerika Geschichte geschrieben: Mit Hillary Clinton wird im November das erste Mal eine Frau um den Einzug in das Weiße Haus antreten. Damit könnten drei der wichtigsten Industrienationen der Welt bald von Frauen regiert werden: USA, Großbritannien und Deutschland. Die „gläserne Decke“ bekommt immer deutlichere Risse.
Gleichberechtigung ist aber ein vielschichtiges Thema. Wie weit eine Gesellschaft im Bezug auf Geschlechtergerechtigkeit entwickelt ist, lässt sich an ihrem Umgang mit vielen unterschiedlichen Themen analysieren.
Wo hat sich die Klitoris bloß versteckt?
Ein Thema, das dabei immer noch deutlich macht, wie weit der Weg noch ist, ist die weibliche Lust. In unserer Gesellschaft gilt sie oft immer noch als Mysterium, das wir kaum bis gar nicht thematisieren und vor allem nicht erforschen – zumindest nicht in Bezug auf Techniken. Viele Männer, aber auch erschreckend viele Frauen, scheinen gar nicht zu wissen, wo die Klitoris sich befindet.
Hält man unserer Gesellschaft den Umgang mit der weiblichen Lust als Spiegelbild der Gleichberechtigung in unserer Gesellschaft generell vor, muss man sich unweigerlich fragen wie weit der Fortschritt wirklich schon vorangeschritten ist.
Der Anspruch auf einen Orgasmus liegt vielen Frauen fern. Die amerikanische Website OMGYes.com will das ändern.
„Wir leben in einer Welt, in der drastische Gewaltdarstellungen okay sind, aber das Fernsehen einen Piepton über das Wort ,Klitoris’ legt.”
Gegründet haben die Website die lesbische Lydia Daniller und der heterosexuelle Rob Perkins, die seit langer Zeit Freunde sind, vor acht Monaten. In langen Gesprächen über ihre eigene sexuelle Lust merkten sie, dass das Thema für Frauen immer noch ein wahnsinniges Tabu darstellt. So kam ihnen die Idee zu ihrem Projekt. Worum es ihnen dabei geht:
„We think that the discomfort with women’s sexual pleasure is a hangover from previous generations. It’s similar to the way homosexuality was seen as indecent and inappropriate 60 years ago. Then, after things have gradually changed, we now look back and see how absurd and unnecessary that discomfort was.”
(Rob Perkins, Mitbegründer OMGYes.com)
Ehrliche Gespräche und ein wissenschaftlicher Hintergrund
Dafür haben die beiden über 1000 qualitative Interviews mit Frauen zwischen 18 und 95 Jahren aus allen Teilen der USA geführt. Anschließend haben sie, gemeinsam mit dem renommierten Kinsey Institute für Sexualforschung an der Universität Indiana, eine weitere landesweite, repräsentative Umfrage unter 1055 Frauen durchgeführt, welche luststeigernden Techniken sie anwenden. Das Ergebnis ist eine erste, zwölf Folgen umfassende Staffel von Videos, die man nun auf der Website finden kann. Ausgewählt wurden die meistgenannten Techniken innerhalb der Studie.
Auf der Website sprechen unterschiedliche Frauen ganz offen und ehrlich über die Techniken, die ihnen helfen, ihre sexuelle Lust auszuleben. Die Frauen erzählen in kleinen Videoausschnitten, was ihnen gefällt. Danach führen sie ihre bevorzugten Techniken dem Zuschauer anhand ihres eigenen Intimbereichs vor. Und am Ende jeder „Lektion“ gibt es für die Zuschauer die Möglichkeit, das Gelernte an einer „virtuellen Vulva“ anzuwenden, die auf die Berührungen reagiert und direktes Feedback gibt.
Auch, wenn es anders klingen mag, das Ganze hat dabei nichts mit Pornografie zu tun.
„It’s pretty clear to anyone who goes to the site that it’s a poor substitute for porn if that’s what you’re looking for. It’s much more like sitting and talking with close friends.”
(Laura Bates, The Guardian)
Emma Watson ist ein großer Fan
Das Konzept scheint aufzugehen. So outete sich im März die Schaupielerin Emma Watson als Fan der Seite, die ihre einmalige Gebühr von 29 Euro mehr als wert sei. Dabei sprach sie auch an, dass sie sich wünschen würde, dass die Seite schon viel länger existieren würde. Ein Statement, das zeigt, wie sehnlichst viele (junge) Frauen darauf gewartet haben, dass ihre Lust endlich in den Fokus rückt.
Neben Emma Watson haben sich mittlerweile über 70.000 Nutzer angemeldet. Interessant dabei: Ungefähr die Hälfte ist männlich. Und ein Großteil der User kommt nicht aus den USA. Deshalb gibt es die Website mittlerweile unter anderem auch in deutscher Sprache.
Eine gemeinsame Sprache finden
Sprache ist sowieso ein wichtiger Aspekt für die Websiteentwickler. Mit ihrem Projekt geht es ihnen auch darum, ein gemeinsames Vokabular, an dem es aktuell noch mangelt, für die Techniken der weiblichen Lust zu entwickeln. Die gewählten Begriffe stammen daher auch direkt von den befragten Frauen selber. Das macht das Ganze noch greifbarer. Nur in der deutschen Übersetzung hätte ihnen wohl etwas Besseres als das Wort „Möse“ einfallen können.
„We believe that in another 20 years, sexual pleasure will be more like cooking is today – there will be a shared vocabulary for the different techniques and styles and people will seek out variety and inspiration the way we do today with recipe websites and trying new cuisines”
(Rob Perkins)
Das New York Magazine sieht OMGYes als Antreiber der nächsten sexuellen Revolution. Und es stimmt, die Website und das dahinterstehende Forschungsprojekt bringen einen wichtigen Prozess ins Rollen. Sie helfen Frauen und, wenn gewünscht, ihren Partnern, die weibliche Lust endlich zu entmystifizieren – ohne Scham, aber mit viel Ehrlichkeit und Humor. Das ist gut, denn auch unsere Sexualität ist ein wichtiger Teil einer allumfassenden Gleichberechtigung. Und ein Teil, der so viel Spaß machen kann und sollte.
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