Die Schriftstellerin Rasha Abbas flüchtete aus Syrien und schafft es, den Alltag vieler Flüchtlinge zwischen Lageso, Jobcenter und Integrationskurs humorvoll unter die Lupe zu nehmen.
Die Erfindung der deutschen Grammatik
Rasha Abbas ist eine syrische Journalistin und Autorin. Sie lebt derzeit in Berlin. „Rasha erzählt absolut komisch und oft überdreht-punkig von ihrem Alltag zwischen Jobcenter, Integrationskurs und Hipster-Invasion. Dabei meint sie es gut mit uns, denn sie versucht, mit Humor ,die Deutschen’ zu verstehen“, sagt ihre Verlegerin Nikola Richter.
Bild: privat
Wir veröffentlichen einwn Auszug ihres neuen Geschichtenbandes:
Sag niemals Jobcenter
Seit ich in Berlin lebe, wohne ich in
Neukölln. Neukölln war mir von Anfang an vertraut; mit all seinen
arabischen und türkischen Supermärkten in Fußnähe, wo ich jede
nur erdenkliche Kochzutat finden kann, vom noch so spezifischen
Gewürz bis hin zu sämtlichen Obst- und Gemüsesorten, die es
braucht, um in Berlin exakt die Gerichte meiner Mutter nachzukochen.
Und so weit das Auge reicht Shisha-Läden, ja, sogar arabische
Friseursalons – ein Umstand von essenzieller Bedeutung, vor allem
die Sache mit den Friseursalons, da man so zumindest ausschließen
kann, dass einem die Haare aufgrund eines Übersetzungsfehlers
verschnitten werden. Wobei dir der Friseur mit allergrößter
Wahrscheinlichkeit die Haare auch dann verschneiden wird, wenn er
dieselbe Muttersprache hat wie du. Selbst wenn du ihm noch so
detailliert erklärst, was er tun soll. Beispielsweise wird er darauf
bestehen, deinen Auftrag „Bitte nur die gebrochenen Spitzen
schneiden. Die Spitzen, wirklich, nur die Spitzen. Ungefähr zwei
Millimeter“ zu interpretieren als „Ich will meine schmutzigen
Haare, das physische Gedächtnis meiner Sünden, ein für und alle
Mal loswerden, ich möchte mich durch Selbstverstümmelung für die
Sünden meines bisherigen Lebens bestrafen, ich möchte einen
Haarschnitt von der Sorte ‚Bin gerade aus dem Knast entlassen
worden‘ oder ‚Mein Friseur ist schwer drogenabhängig‘.“
Wo sind denn die Deutschen?
Aber eigentlich ist Neukölln an sich
gar nicht mein Thema, sondern vielmehr die Verwirrung, die ich jedes
Mal empfand, wenn einer meiner Verwandten oder Freunde in Syrien mir
einmal wieder merkwürdige Fragen über mein Leben in Deutschland
stellte: „Stimmt es, dass die Deutschen alle Rassisten sind?“,
„Stimmt es, dass, wenn man jemanden auf Englisch nach dem Weg
fragt, er sich weigert zu antworten, selbst wenn er perfektes
Englisch kann?“, „Stimmt es, dass die Straßen dort sauberer sind
als die Krankenhäuser bei uns?“, „Stimmt es, dass, wenn man in
Deutschland auf der Straße tot umfällt, sich keiner nach einem
umdreht?“
Am meisten davon wunderte mich die
Frage mit dem Rassismus. Die Tatsache, dass ich mit dieser Frage so
wenig anfangen konnte, schob ich auf meine subjektiven Erfahrungen im
Alltag: Ich war keinem einzigen Mal etwas wie Rassismus begegnet,
auch nicht bei all den Behördengängen, die ich machen musste. Doch
schließlich wurde mir der wahre Grund bewusst: Eigentlich wusste ich
überhaupt nicht, wo diese Deutschen steckten!
Keine Ahnung, ob Rassismus verbreitet ist
Ich meine, ich sehe eigentlich nie
welche um mich herum. Ich sehe meine Landsmänner, sehe Türken und
vielleicht noch ein paar Italiener oder Spanier und eine Handvoll
Amerikaner. Aber über die Deutschen kann ich so gut wie gar nichts
sagen, weil ich sie gar nicht sehe, und deshalb habe ich auch keine
Ahnung, ob Rassismus unter ihnen etwas Verbreitetes ist oder nicht.
Bis es mich eines Tages im Zuge eines Behördenganges in den tiefsten
Osten der Stadt verschlug. Mein Freund hatte sich bereit erklärt,
mich zu begleiten. Erst fuhren wir mit der U-Bahn zur S7, dann
stiegen wir um. Kaum hatten wir die S7 betreten, überkam mich eine
große Freunde, während mein Blick staunend über die Unmengen an
blondem Haar wanderte. So viel Blond in einer derartigen Dichte, an
einem Ort geballt, hatte ich in meinem ganzen Leben noch nicht
gesehen. Mein Gott! Das sind sie also, die Deutschen. Endlich! Ich
habe schon so viel von ihnen gehört! Hallöchen, meine Lieben! Mein
Freund zerrte mich aus meiner Faszinationsstarre und wir setzten uns
auf zwei freie Plätze. Immer noch starrte ich selig die Passagiere
an. Da kam eine alte Dame, setzte sich mir gegenüber und auch sie
starrte uns an, wenn auch nicht ganz so freudig.
Ich wandte mich meinem Freund zu, um
mit ihm zu besprechen, welche Jobcenter-Formulare wir noch
auszufüllen hatten, damit die Unterlagen für meinen Erstantrag
komplett würden. Er stieß mir den Ellbogen in die Rippen und
flüsterte mir zu: „Sprich das Wort nicht auf Englisch aus, das
verstehen die doch alle.“ Ich blickte mich um und siehe da, er
hatte recht: Die missgünstigen Blicke waren mehr geworden. Ich
versuchte mir die Situation aus ihrer Sicht vorzustellen: Von zwei
dunkelhaarigen Menschen, die fremd wirkten, oder besser: wie
Flüchtlinge, die sich in einer seltsamen, aggressiv klingenden
Sprache unterhalten, ertönt plötzlich ein einziges verständliches
Wort: Jobcenter. Für den Rest der Fahrt machte ich meinen Mund nicht
mehr auf.
Codewörter fürs Jobcenter
Später wurde mir bewusst, dass
offenbar viele andere Menschen ebenso von diesem Problem betroffen
waren. Mir fiel auf, dass andere Flüchtlinge, denen ich zufällig in
öffentlichen Verkehrsmitteln, Behörden oder an der Sprachschule
begegnete, ein ganzes Repertoire an Ersatzwörtern für das Jobcenter
erfunden hatten, damit sie es ja nicht in der Öffentlichkeit
aussprechen und womöglich damit jemandes Missgunst erregen würden.
Manche begnügten sich damit, „Das Job“ zu sagen. Andere sagten
auf Arabisch: „Gestern hatte ich einen Termin mit dem
‚Arbeitszentrum‘. … Du verstehst schon was ich meine, oder?“
Wiederum andere beschränkten sich auf die vage Umschreibung „Die
Crew“. „Ich war heute bei der Crew. Dann wollte die Crew von mir
das und das.“ Wobei Letzteres für mich, ehrlich gesagt, weitaus
ominöser klingt als Jobcenter. Es hört sich mindestens nach
zweifelhaften Kontakten zu einer extremistischen Gruppe oder im
besten Fall zu Drogendealern an.
Doch beschränkte man sich längst
nicht darauf, Themen wie das Jobcenter vor deutschen Staatsbürgern,
deren Zorn man nicht erregen wollte, zu vertuschen. Es war Anfang
2014, also zu einem Zeitpunkt, als sich die Fluchtbewegung der Syrer
gen Europa noch in Grenzen hielt. Damals wollten viele nicht zugeben,
dass sie entweder vorhatten, Asyl zu beantragen, oder bereits einen
Flüchtlingsstatus hatten. Dieses Phänomen ließ sich vor allem in
mehr oder weniger gebildeten Kreisen beobachten. Dort empfand man
Asyl als einen Makel. So sagten mir seltsamerweise alle Syrer, die
ich in meiner Anfangszeit in Deutschland kennenlernte, dass sie mit
einem Arbeits- oder Studienvisum gekommen waren und dass sie niemals
Asyl beantragen würden. Wobei sie sich dann immer beeilten,
gnädigerweise hinzuzufügen, dass sie „es jenen einfacheren
Menschen“, die dazu gezwungen wären, natürlich nicht verdenken
würden, wenn diese Asyl beantragten. Einer von dieser Sorte erzählte
mir einmal aufgeregt von der moralischen Verkommenheit derjenigen
unter den Künstlern und Intellektuellen, die Asyl beantragen. Einige
Tage später traf ich ihn zufällig in der langen Warteschlange vor
dem Lageso. Sichtlich peinlich berührt sagte er, er sei lediglich
hier, um sich für einen Freund zu erkundigen, dessen er sich
angenommen habe.
Wer ist am wenigsten Flüchtling?
Als wir die Phase des Asylverleugnens
hinter uns gelassen hatten, da es einfach zu offensichtlich geworden
war, war es mit der Asyldistanzierung jedoch längst noch nicht
vorbei. Es entstand ein neues Phänomen, eine Art Wettstreit nach dem
Motto: „Wer ist weniger Flüchtling als der andere?“ So kam es,
dass ich einmal ein Gespräch mithörte, wo der eine gegenüber dem
anderen damit prahlte, dass seine Aufenthaltsgenehmigung fünf Jahre
lang gültig war und nicht etwa drei, da er schließlich „ein Gast“
sei – ein Status, den es natürlich nicht gibt – und kein
Flüchtling. Mit dieser Behauptung wollte er den anderen, der nur
eine dreijährige Aufenthaltsgenehmigung hatte, hänseln. Dieser
wiederum versuchte seinerseits gegen den ersten zu punkten, indem er
ihm entgegenhielt, dass er selbst ja Gottseidank arbeite und Steuern
zahle und nicht wie so manch anderer (damit meinte er den ersten) vom
Jobcenter lebe, weswegen er im Übrigen auch schneller die
Staatsbürgerschaft erhalten werde.
Manchmal spielte es sich aber auch
andersherum ab, und es gab große Streitigkeiten zwischen Freunden,
weil sie je einen anderen Status, beziehungsweise andere
Begünstigungen erhalten hatten.
Ich erinnere mich zum Beispiel an diese
zwei arabischen Familien, deren Bekanntschaft ich machen durfte, als
ich meinen Asylantrag stellte. Die beiden Familien verband eine alte
Freundschaft, bevor die beiden Männer, die Ahmad und Munir hießen,
beschlossen, ihre Frauen und Kinder im Schlepptau, gemeinsam Asyl zu
beantragen, damit sie in der Nähe wohnen würden und nichts sie in
der Fremde auseinanderrisse. Das nächste Mal traf ich Ahmad allein
an. Ich fragte ihn, wie es Munir und seiner Familie gehe. Da
schnaubte er genervt und sagte, mit Munir würde er nicht mehr
sprechen. „Warum?“ fragte ich ihn. Voller Bitterkeit antwortete
er: „Stell dir nur vor, ihm und seiner Familie geben sie
zweitausend Euro monatlich und mir geben sie nur
eintausendzweihundert! Und außerdem haben sie ihn in einem Hotel
untergebracht und mich in einer miserablen Jugendherberge!“ Ich
verstand zwar, ehrlich gesagt, nicht ganz, wieso er seinen Freund,
der in Sachen staatliche Zuwendungen eben mehr Glück gehabt hatte
und dem eine bessere Unterkunft zugewiesen worden war, dafür
bestrafen wollte, indem er nicht mehr mit ihm sprach, aber ich sagte
ihm Dinge, die man in solchen Situationen eben so sagt: Er solle sich
doch beruhigen, der Herr werde es hoffentlich richten, er soll es
nicht so schwer nehmen und so weiter.
Bei meinem nächsten Lageso-Gang traf
ich ihn schon wieder. Freudig kam er auf mich zu und sagte: „Jetzt
haben sie uns an einen großartigen Ort verlegt! Viel besser als
dieses Hotel, wo Munir wohnt!“
Diesmal wusste ich beim besten Willen
nicht, was ich antworten sollte. Für mich war absolut unklar, auf
welchen Teil seiner Aussage ich mit dem Grad an Freude hätte
eingehen sollte, den sein Gesicht ausdrückte. Freute er sich so,
weil er seinen Freund überboten hatte? Oder weil er ein höchst
merkwürdiges Konzept von Freundschaft hatte?
aus: Rasha Abbas: Die Erfindung der deutschen Grammatik. Geschichten. Aus dem Arabischen von Sandra Hetzl. mikrotext und Orlanda Verlag, März 2016, 160 Seiten, 12,95 Euro oder 3,99 Euro (Kindle Edition)
Am 11. März findet in Berlin eine Lesung mit Gespräch auf Deutsch und Arabisch mit der Autorin statt, mehr Infos zur Veranstaltung gibt es hier.
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