Foto: Pixabay

#regrettingmotherhood: Viel Lärm um nichts und trotzdem was gelernt

Das Thema #regrettingmotherhood hat eine andauernde Debatte losgetreten. Aber was kann sie für Mütter wirklich bewegen?

 

Die Psychologie des #waswärewenn

Seit gut zwei Wochen wird unter dem hashtag #regrettingmotherhood auf allen Kanälen das Thema Mutterschaft diskutiert. Ausgangspunkt war die Studie einer israelischen Soziologin, die Frauen zum Empfinden ihrer Mutterrolle befragt hat. Was die Befragten einte, war das Eingeständnis, dass sie, könnten sie sich noch einmal für oder gegen das Muttersein entscheiden, ein Leben ohne Kinder wählen würden. Mehr noch: Die Frauen bereuten es, Mutter geworden zu sein. Ein Tabubruch!, so liest man, der heftig diskutiert wird.

Von Verständnis über bloßes Entsetzen bis hin zu Mitleid mit den Kindern der bereuenden Mütter ist alles dabei. Und auf einmal scheinen sie überall zu sein, die Mütter, die keine sein wollen. Für die Mutterschaft ein einziger Albtraum ist, aus dem es selbst dann kein Erwachen gibt, wenn das Kind seit 28 Jahren aus dem Haus ist. Für mich wirft die Debatte vor allem Fragen auf. Allen voran die, ob die Emotionen hier nicht höhere Wellen schlagen, als es die Aussagekraft der Studie wert ist.

Mehr als ein Weg

Das zu wollen, was man nicht hat, ist eine zutiefst menschliche Gefühlsregung. Dass diese sich auch auf das Kinderkriegen erstreckt, halte ich für eine Nachricht mit vergleichsweise geringem News-Wert. An einem Punkt seines Lebens festzustellen, dass man sich doch besser anders entschieden hätte, ist nicht nur nicht ungewöhnlich, es ist die logische Konsequenz aus der Fähigkeit des Menschen, abstrakt zu denken und sich in allerlei wünschens- und weniger wünschenswerte Szenarien hineinzudenken. Und natürlich neigen wir dazu, uns das „Was-wäre-wenn“ in den allerbuntesten Farben auszumalen, während uns das „Ist“ oft in einem tristen Grau-in-Grau erscheint.

23 Frauen haben nun also festgestellt, dass sie statt Tor eins (Mutter sein) lieber Tor zwei hätten wählen sollen. So what? Wie viele kinderlose Frauen, die vielleicht mit 50 feststellen, dass ihnen etwas im Leben fehlt, stehen wohl den 23 gegenüber? Mutter zu werden ist eine Entscheidung für das Leben, nicht Mutter zu werden aber auch – und in beiden Fällen wissen wir nicht, was es eines Tages mit uns macht. Insofern frage ich mich, wem die öffentliche Debatte um die bereuenden Mütter nützt.

Wohin führt diese Reue?

Ist nicht Reue, so sie sich nicht auf gesellschaftlich-historische Ereignisse bezieht, ein zutiefst privates Gefühl? Was hilft es den Müttern, ihre als falsch empfundene Entscheidung öffentlich zu machen? Und was macht das mit ihren Kindern? Zwar betonen die Befragten, dass sie ihre Kinder trotz allem uneingeschränkt lieben würden und sich nicht etwa wünschten, dass diese nicht da wären. Doch ist die Aussage „Ich wünschte, du wärst jemand anderes Kind“ wirklich erträglicher als „Ich wünschte, du wärst nicht geboren?”

Insofern muss sich die Autorin die Frage nach Sinn und Zweck ihrer Studie gefallen lassen. Reue als Teil des menschlichen Gefühlsspektrums erstreckt sich schließlich auf alle nur denkbaren Bereiche. Und für alle gilt letztendlich: Mach das Beste draus! Und wenn du es allein nicht schaffst, hole dir Hilfe. Ganz praktisch bei Partner, Familie und Freunden, aber auch psychologisch bei Therapeuten, die helfen könne, einen positiven Blick auf die Dinge zu entwickeln und so mit sich und dem eingeschlagenen Weg Frieden zu schließen.

Ein Plädoyer für #individualmotherhood

Was ich der Studie und der sich anschließenden Debatte zu Gute halte, ist, dass sie anregen, sich damit zu beschäftigen, was Mutterschaft ist oder sein sollte: eine individuelle, private und unter besten Umständen freiwillige Entscheidung. Oder vielmehr eine Aneinanderreihung ganz vieler Entscheidungen. Mit Betonung auf individuell. Und privat. Das schließt die Entscheidung gegen eine Mutterschaft ausdrücklich mit ein.

Nun sind Individualität und Privatheit Eigenschaften, die im Zusammenhang mit dem Mutterwerden und Muttersein zunehmend in Vergessenheit zu geraten scheinen. Stattdessen beginnt die von vielen Müttern als so belastend empfundene Fremdbestimmung schon lange vor der Entbindung: Screenings, Geburtspläne und der Erstkontakt mit dem Begriff „stillfreundliches Krankenhaus“ geben einen Vorgeschmack auf das, was kommt, sobald das Kind seinen ersten Atemzug getan hat. Schon besagte Stillfreundlichkeit wird schnell zum Stillterror, wenn Frauen, bei denen nicht alles rund läuft (vor allem nicht die Milch) noch im Kreißsaal und gern auch mal mit Nachdruck auf ihre „mütterlichen Pflichten“ hingewiesen werden.

Der Auftakt für einen nicht enden wollenden Schwall an Vorschriften, getarnt als „gut gemeinte Ratschläge“, deren Einhaltung eine gute Mutter von einer trennt, über die hinter vorgehaltener Hand getuschelt wird. Vorzugsweise von anderen Müttern, die sich nach Stillseminar, Trageberatung und Ergotherapie für den zwölf Wochen alten Nachwuchs berufen fühlen, ihre geballte Mutterkompetenz auch anderen zu Gute kommen zu lassen. Ungefragt versteht sich. Wer sich dem nicht zu entziehen vermag, sieht sich schnell mit einer Erwartungshaltung konfrontiert, die gepaart mit der Erkenntnis, dass Brustwarzensalbe und Hämorrhoiden-Creme nur bedingt als Glücksmacher taugen, ein extrem hohes Frustrationspotential birgt – der perfekte Nährboden, um weiter an sich und seinen Kindern rum zu optimieren. Die Riege derer, die mitreden wollen, scheint dabei endlos.

Wenn Selbstaufgabe mit Anerkennung belohnt wird

Gutes altes Bauchgefühl? Fehlanzeige. Statt zum Hörer zu greifen und Mama zu fragen, wie sie das damals gemacht hat mit dem Brei, geht es zum Beikostseminar. Gleich nach dem Baby-Yoga und dem Termin beim Osteopathen. Dass bei einem derartig gefüllten Terminkalender kein Platz mehr für eigene Bedürfnisse bleibt, ist wenig überraschend. Dass totale Selbstaufgabe im Mutter-Mikrokosmos mit Anerkennung belohnt wird, während Mütter mit Missbilligung gestraft werden, die offen aussprechen, dass sich bei ihnen nicht alles nur ums Kind dreht und dass sie nicht das Gefühl haben, die Zeit vergeht wie im Fluge und die Kleinen würden ja ach so schnell groß, sondern sich stattdessen auf den Tag freuen, an dem sie sich wieder ihrem Job oder einem geliebten Hobby widmen können, macht die Sache nicht einfacher. In einem solchen Umfeld sorgt eine Studie, die Mutterschaft und Reue in einen Zusammenhang bringt, natürlich für Zündstoff. Aber eben nur in einem solchen Umfeld.

Meine Mutterschaft gehört mir

Als Mutter einer kleinen Tochter kann ich nur raten, sich besagtem Mikrokosmos so weit es geht zu entziehen und sich auf das zu besinnen, was einem die Natur und bestenfalls die eigene Mutter mitgegeben haben. Mutterschaft als etwas zu betrachten, das mir gehört, das ich nach eigenem Ermessen gestalten kann, so dass es für mich und mein Kind passt, ist ein befreiendes Gefühl. Der Mutterinstinkt ist real und macht vieles überflüssig, was von außen an Frauen mit Kindern herangetragen wird und zu einem „sozialen Konstrukt“ von Mutterschaft führt, das zunehmend die Oberhand über die vielen individuellen Lebens- und Erziehungswege übernimmt.

Auch sollten wir uns endlich von der scheinbar noch immer weit verbreiteten Vorstellung verabschieden, dass Kinder das Leben nur schöner machen. Das Bild von Kindern, die auf blitzblanken weißen Dielenfußböden gedankenversunken in pädagogisch wertvollen Bilderbüchern blättern, während sich die makellos gephotoshopten Eltern im Hintergrund verliebte Blicke zuwerfen, ist eine Erfindung der unzähligen Familienmagazine, deren Geschäftsmodell darauf basiert, dass insbesondere Mütter eben jener Vorstellung hinterherhecheln, die so gar nicht zu ihrer Lebensrealität passen will.

Breites Gefühlsspektrum

Fakt ist: Kinder machen das Leben nicht zwangsläufig besser; vielmehr erweitern sie das Gefühlsspektrum auf ein vorher unbekanntes Ausmaß – und zwar im Positiven wie im Negativen. Unfassbares Glück trifft auf grenzenlose Erschöpfung, tief empfundene Liebe auf zermürbende Angst, unbändige Freude über die kleinen Dinge des Lebens auf Trauer über den Verlust der eigenen Unabhängigkeit.

Wenn also die Studie über die bereuenden Mütter eine Diskussion anstößt, die dazu beiträgt, sich der Berechtigung vielfältiger Gefühle in der Mutterrolle und ebenso vielfältiger Versionen von Mutterschaft bewusst zu werden, vor allem aber Mutterschaft wieder als individuelles Konzept statt als soziales Konstrukt zu begreifen, hat sie trotz des meiner Ansicht nach dünnen Erkenntnisgewinns meinen Segen.         

    

Mehr auf EDITION F:

Eine Mutter, die keine sein will?: #regrettingmotherhood. Weiterlesen

Achtung, ich bin Mutter. Weiterlesen

Das Beste, was dir passieren kann? Ein Zwischenruf aus dem Leben mit Baby. Weiterlesen

Anzeige