Schwalbenjahre: Fotos gegen die Klischees über Ostdeutschland

Statt Klischees zeigt die Fotografin Jessica Barthel in ihrem Buch „Schwalbenjahre“ andere Bilder aus Ostdeutschland: Haustiere, Wohnungen, Frisuren – ostdeutsche Lebensrealitäten.

Deutschland sollte ein Land werden. Fünf bis maximal zehn Jahre hatte man dem Ganzen 1990 gegeben, bis es keine Unterschiede mehr geben sollte. „Wir sind so lange nicht wiedervereinigt, bis die Renten und Löhne gleich sind und bis ,ostdeutsch‘ und ,westdeutsch‘ keine Schimpfwörter mehr sind“, sagt die ostdeutsche Fotografin Jessica Barthel.

Und Jessica Barthel hat recht: Heute, 30 Jahre später, sind diese Unterschiede noch immer da – es sind die Löhne, es sind die Renten, es sind die Führungspositionen und die Chancen auf Wohlstand. Fast ein Viertel weniger Gehalt bekommen Vollzeitbeschäftige im Osten im Vergleich zum Westen. Besonders auffällig ist der Unterschied zwischen ostdeutschen Frauen und westdeutschen Männern, um genau zu sein, liegt er bei 8,60 Euro die Stunde. 

Wieso sind wir immer noch nicht eins?

Es sind vor allem strukturelle Ungerechtigkeiten und Klischees, die einer abschließenden und vollkommenen Einheit im Wege stehen. Und weil Klischees vor allem Bilder im Kopf sind, will Jessica Barthel diese mit ihrem Projekt „Schwalbenjahre“ durch neue Bilder ersetzen.

Bei Instagram gibt sie den Blick frei, in die Familienalben ehemaliger DDRler*innen und veröffentlicht die Bilder jetzt auch in Buchform. Statt „der Stereotyp Fabrikarbeiter, der im Plattenbau wohnte und von der Stasi bespitzelt wurde“ zeigt Barthel Sommerurlaube an der See und erste Schultage.

„Schwalbenjahre“ erzählt vom Alltag streng katholischer Familien, von Akademikern, Künstlern und von vielen mehr. Es erzählt von deren Träumen und Realitäten. Wir lernen Haustiere, Wohnungen, Frisuren und Menschen kennen und zeigen eine fast vergessene Zeit, die in den Erinnerungen weiterlebt und erinnert werden müssen, weil sie Teil unserer Geschichte und unserer Familien sind“, beschreibt Barthel ihr Projekt.

„Zum Glück erlebe ich in meiner und der jüngeren Generation, dass es immer weniger wichtig wird, woher man kommt, sondern wohin man geht.“

Jessica Barthel

Da war auch Hoffnung

Der Name „Schwalbenjahre“ ist eine Hommage an die Simson Schwalbe, den bekannten Motorroller der DDR und an die Vogelschwalbe, als Symbol der Hoffnung. „Momente der Hoffnung, der Liebe und auch der Freiheitsgefühle konnten in den Jahren der DDR trotz Mauer durchaus existieren“, sagt Barthel. Diese Momente zeigt das Projekt Schwalbenjahre.

Foto: privat

Jessica Barthel studierte in New York Fotografie und assistierte nach einem Design Studium in Berlin, für die New York Times. Als freischaffende Fotografin arbeitet sie für Vogue, New York Times, Financial Times, Zeit und das Zeit Magazin. Geboren ist sie in Leipzig. Wenn Jessica an ,Einheit‘ denkt, dann sieht sie sich und ihre Cousine auf einem Liegestuhl in Spanien.

Die Deutsche Einheit bedeutete für sie, ihre Familie in Leipzig sehen zu können und miteinander zu verreisen. Ihre Eltern sind kurz vor dem Mauerfall geflohen. „Ich hatte das Glück, meinen Weg gehen zu dürfen; wenn wir das alle können, dann ist Deutschland wiedervereinigt.“

Jessica Barthel: Schwalbenjahre – Ein Erinnerungsportrait der DDR, 2020, 34, 95 Euro.

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