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Selbstständigkeit: Der DIY-Cocktail

Ich kündigte unüberlegt und machte mich selbständig. Wieso, wie und was dann? Weil man manchmal einfach machen muss, statt nur zu reden.

 

Die Panik vor der Unsicherheit

Ich könnte erzählen, was für ein unglaublich selbstbewusster Mensch ich bin. Starker Wille, klare Entscheidungen, mutig, selbstsicher. Keine Frage, dass man nur Freiberufler sein kann, wenn man diese Eigenschaften hat. Angestellten-Dasein? Unmöglich. Ich erobere die Welt. Aber ganz so ist es nicht. Ich habe mich selbständig gemacht, ohne vorher den Zeh ins kalte Wasser zu stecken, ich bin direkt reingesprungen.

Mindestens einmal am Tag bekomme ich deswegen Schnappatmung. Das ist so, weil ich gelernt habe, auf Sicherheit zu bauen. Man möchte ja vielleicht auch irgendwann Mutter sein. Da braucht man vier klopffeste Sicherheitswände um sich herum. Das ist etwas, das ich von der Gesellschaft, von meinen Eltern, meinem Umfeld und während des Studiums gelernt habe. Mit der Arbeitslosenkombination Literatur, Geschichte und Journalismus hatte ich noch nie die besten Chancen auf eine steile Karriere. Das wurde man an den Universitäten auch nicht müde, uns immer wieder zu sagen. Meine erste Vorlesung in Literatur begann mit den Worten: „Sie also streben die Literaturwissenschaft an? Kaufen Sie sich einen Ohrensessel und melden Sie sich beim Arbeitsamt.“ Ein einziger, wirklich alter Professor, Fernsehjournalismus, der längst schon seinen Lebensabend in besagtem Ohrensessel hätte genießen können, hatte Sarkasmus und Verbitterung nicht an sich herangelassen und malte die in Grautönen beschriebene Zukunft seiner Kollegen mit Filzstiften aus.

Wieso Selbstständigkeit?

Parallel rutschte ich in die Startup-Szene, ganz zufällig, weil studiVZ gegründet wurde und ich einen Job brauchte. Ich moderierte Gruppen à la „Wenn ich alt bin, werde ich nur nörgeln. Das wird ein Spaß!“, saß anfangs zwischen Pappkartons und nach fünf Jahren als Content Manager zusammen mit dutzenden von wirklich fähigen Entwicklern in einem anderen Stockwerk. Das Ende des großen deutschen Social Networks kennen wir alle. Doch einmal drin im Netz, trieb es mich weiter. Ich half bei einem Startup von Freunden mit, schaukelte danach wieder zurück zur Holtzbrinck Digital für die Entwicklung einer neuen App und landete dann bei der besten Idee, seit es Schule gibt: Sofatutor, eine Lernplattform für Schüler und Studierende. Es war eine schöne Zeit, ein tolles Team, unglaublich viel Spaß und das größte entgegengebrachte Vertrauen, was man sich wünschen konnte: Ich durfte drei Webmagazine planen, aufbauen und leiten. Drei. Ich.

Also was trieb mich in die Selbständigkeit? Es war eine Mischung aus vielem. Ein DIY-Cocktail. Ein Schubs mit Anlauf. Da war zum Beispiel mein Chef, der es einfach gemacht hat: Er hatte eine Idee am Schreibtisch und hat sie umgesetzt. Ich kenne so viele Leute, die reden und reden und reden, vor allem im Konjunktiv. Menschen, die einfach loslegen, bewundere ich als Sicherheitsmensch. Dann war da die dicke Dreißig in meinem Geburtstagskalender und der unbedingte Plan, ein Buch zu schreiben. So viele Ideen dafür, aber nie die nötige Zeit durch neun Stunden arbeiten am Tag, mittlerweile mit einem eigenen Team und dessen Fragen, dem vielbesprochenen Druck und dem abendlichen Nachhausekommen ohne eine noch funktionierende Gehirnzelle. Der Gedanke keimte auf: Wenn du dein eigener Chef wärst.

Auch nicht zu vergessen: Als Texter braucht man Abwechslung. Man kann nicht immer nur das Gleiche schreiben. Nach einem Jahr in einem Unternehmen ist jede Formulierung schon zwei mal umgestellt, alle Worte rausgeholt, die es gibt, man korrigiert sich schließlich nur noch selbst und dann kommt die böse Stiefschwester der Motivation: Langeweile. Ich brauchte eine neue Herausforderung. Ich kündigte unüberlegt, quatschte mir in meinem Kopf meine Pläne bunter und machte es einfach: Ich machte mich selbständig.

Die größten Herausforderungen bei der Selbstständigkeit

Bevor die Abfahrt beginnt, muss ein Berg erklommen werden und dieser hieß jetzt: Bürokratie. Ich weiß, wie viele davon ein sehr langes Lied singen können. Den Refrain kann auch ich schon auswendig. Von Arbeitsamt A zu Arbeitsamt B, Gründerzuschuss beantragen, Businessplan schreiben, Existenzgründercoaching absolvieren – das ist anstrengend. Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich Zahlen genauso sehr verabscheue, wie ich Buchstaben liebe. Ich schreibe Zahlen aus – und wenn niemand guckt nicht nur die von eins bis zwölf. Tausendeinhundertzwanzig ist in meinen Augen so viel schöner als 1.120. Wenn man sich aber selbständig machen und einen Gründerzuschuss haben will, dann sitzt man vor der Anforderung, einen Liquiditätsplan zu schreiben und einen Rentabilitätsplan – und zwar für die nächsten drei Jahre. Ich saß geschlagene zwei Wochen vor dieser Anforderung ohne einen Finger zu rühren. Dann fand ich einen Coach, der mir half. Das war das steilste Stück Berg.

Niemand sagt, dass es einfach ist, jeder sagt: „Das ist aber ganz schön mutig“. Begriffe, wie „Rücklagen“, „Risiko“ und „durchdacht“ begegnen einem immerzu, begleitet von Stirnfalten und sehr vielen „aber“. Jeder macht einem Angst. Doch niemand sagt, dass es zu schaffen ist. Das es gar nicht so schwer ist.

Will man sich selbständig machen, wird man von Angestellten des Arbeitsamtes angeschaut, als sei man ein Schwerverbrecher. Wie, den Job gekündigt, ohne triftigen Grund? Beim Finanzamt muss man jede Antwort, die man braucht, in der Nase der Angestellten suchen und kräftig ziehen. Am besten, man weicht auf Bücher aus und auf jemanden, der sich auskennt.

Und plötzlich ist es gut

Da bin ich nun. Die ersten Aufträge trudeln ein, die Schnappatmung ist noch da, aber wird langsam zum alten Bekannten, den man grüßt mit den Worten: „Du schon wieder. Na dann setz dich mal.“ Man arbeitet alleine, man muss sich gewöhnen an die Einsamkeit, die den großen und wuselnden Startup-Teams gewichen ist. Denn neben der ängstlich-aufgeregten Erwartung bis die Wellen kommen, dem Luftholen und dem Eintauchen, macht es unglaublichen Spaß im Wasser zu schwimmen, zu prusten, sich treiben zu lassen, auf die nächste der Wellen zu warten und sich frei zu fühlen. Dafür lohnt sich der ganze Stress, das ganze Gerenne und die Frage, ob das alles klappen wird.

Einmal saß ich in einem Restaurant, mit Freunden, die wiederum Pariser Freunde mitgebracht hatten. Zusammen spielten sie in einer Band. Als ich fragte, was genau sie für Musik machten, war die Antwort: „Rock, Indie, something like, you know …“ Eines der Bandmitglieder unterbach dann alle anderen und sagte: „We put our balls on the table and play Rock’n’Roll.“

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