Eine schlechte Beziehung muss man zuallererst sich selbst verzeihen
Gemeinsam auswandern und ein Neuanfang in einem anderen Land, auf einem anderen Kontinent löst keine Beziehungsprobleme, so wenig wie ein weiteres Kind es tut. Das weiß doch jede, richtig? Das kann man in jedem Beziehungsratgeber nachlesen.
Dumm ist, wenn man selbst glaubt, man sei die einzige Ausnahme auf dem ganzen Planeten. Hybris und pure Selbstüberschätzung oder naiver Gutmenschenglaube? Wenn die Partnerin/der Partner erst einmal dieses oder jenes Problem nicht mehr hat, wird es aufwärts gehen, wir werden weniger streiten, wir werden mehr gute Zeit miteinander verbringen, wir werden … irgendetwas eben, das in einer Beziehung das Problem ist.
Fies an dieser Denkweise ist, dass es anfänglich durchaus klappen kann. Ein neues Land, ein Kind, ein anderes Haus, ein Haustier; egal was es ist, es durchbricht eingefahrene Routinen. Vielleicht streitet man weniger oder hat aufregenderen Sex; die Probleme des Alltags treten in den Hintergrund.
Doch nach einiger Zeit bilden sich neue Routinen und vor allem, die Menschen bleiben die gleichen. Ein Paar, das vor einem neuen Ereignis (Umzug, Kind, Haustier…) nicht in der Lage war, vernünftig zu kommunizieren, wird es auch hinterher nicht sein. Das gleiche ist der Fall bei chronischem Fremdgehen, Workaholics, unterschiedlichen Freizeitmodellen oder anderen Dingen, die eine Beziehung unmöglich machen. Das Problem wird nicht gelöst oder angegangen, es wird nur kurz- oder mittelfristig ausgelagert.
Irgendwann wird vielleicht die Einsicht kommen, dass alles nichts nützt. Der Partner/die Partnerin ist der/die Falsche, ist fremdgegangen, ist eventuell sogar in emotionaler oder physischer Weise missbräuchlich geworden oder hat sich in anderer Form schändlich verhalten. Alles Dinge, die man ihm/ihr ankreiden kann, für die man sie hassen kann. Lange und ausgiebig hassen. Man kann sie dafür verantwortlich machen, dass sie dein Leben ruiniert haben. Vielleicht funktioniert das für einige Menschen – wenigstens über einen gewissen Zeitraum hinweg.
Die meisten werden jedoch an den Punkt kommen, wo sie sich die Frage nach dem eigenen Anteil stellen werden. (Was im Übrigen nicht die Schuld eines wie auch immer gearteten Missbrauchs minimieren oder kleinreden soll!) Doch wenn man sich irgendwann wieder ehrlich im Spiegel ansehen will, wenn man wirklich verstehen will, wie man in eine derartige Beziehung hineingeraten konnte, wird man nicht darum herumkommen, die Frage nach dem eigenen Anteil zu stellen. Vielleicht ist eine Therapie hilfreich.
Was nicht und niemals helfen wird, sind Schuldgefühle und nach einer schlechten Beziehung auch noch sich selbst böse und schlecht zu behandeln.
Dann führt man die missbräuchlichen Angewohnheiten aus der Beziehung gleich noch mit sich selber weiter. Was früher der Partner/die Partnerin erledigt hat, erledigt nun der innere Kritiker und Dämon. Man führt weiter eine schlechte Beziehung – dieses Mal mit sich selbst.
Sich dafür zu verurteilen, dass man nicht früher verstanden hat, wie sich eine Beziehung entwickelt, dass der Partner oder die Partnerin nicht zu dir passt, dich betrügt, dich vielleicht sogar emotional oder körperlich missbraucht, dass man es hätte früher wissen oder erkennen müssen, setzt eine Spirale der Selbstverachtung in Gang.
Verzeihen kann ein erster Schritt sein. Dem Partner zu verzeihen ist Königsklasse, steht aber nicht an vorderster Stelle. Du musst zuallererst dir selbst verzeihen, denn du bist der Mensch, mit dem du jeden Tag aufwachst,
den Tag verlebst und ins Bett gehst. Du entscheidest täglich von neuem, wie du
mit dir umgehst. Du bist vierundzwanzig Stunden am Tag mit dir selbst zusammen, da lohnt es sich hinzusehen, was du ständig so zu dir selber sagst. Ein wenig mehr Mitgefühl – mit dir selbst – ist ein Schritt zur Heilung. Nur wenn du lernst, gut mit dir selbst umzugehen, wirst du lernen zu erkennen, wenn jemand anders das nicht tut – jetzt oder in Zukunft.
Das mache ich doch, sagst du vielleicht. Natürlich behandle ich mich selbst gut. Herzlichen Glückwunsch, wenn dem so ist! Vielleicht lohnt es sich aber, einmal hinzuhören, was du so den ganzen Tag über zu dir sagst. Dann merkst du vielleicht, wie oft du dich verurteilst oder dich beschimpfst.
Wenn du das tust – verzeih dir und mach weiter!