Anfang des Studiums wollen viele Frauen gründen. Doch was passiert, wenn diese Frauen Mitte 20 sind? Denken Frauen dann schon an die Familie?
Frauen gehen auf dem Weg verloren
Wenn über die kleine Anzahl von Frauen unter den Unternehmensgründern in der Digitalwirtschaft gesprochen wird, fokussiert sich die Diskussion fast immer auf die Belastungen der Familiengründung. Dass es meistens die Frauen sind, die sich entweder vollständig oder zum größeren Teil um die Kinder kümmern, in einem Umfeld ohne Ganztagesschulen, kostet die Kraft, die es für eine Gründung oder ambitionierte Karriere braucht. Soweit der Konsens.
Fundamentaler und rätselhafter ist aber etwas anderes. Etwas, dass in meinen Augen nicht nur ungeklärt, sondern auch viel zu wenig diskutiert ist. Die Frauen gehen auf dem Weg verloren.
Unternehmer werden
Vor drei Jahren habe ich an die Universität Lüneburg zwei Tage lang mit 1.200 Erstsemestern an Unternehmensideen gearbeitet. Es gab etwa 30 Teams. Der Dekan sagte, er wolle den jungen Leuten genau an der Schwelle vom Schüler- zum Studentendasein, und nicht erst am Ende ihres Studiums, die Möglichkeit aufzeigen, Unternehmer zu werden.
Es folgten zwei intensive, schöne Tage in der norddeutschen Tiefebene. Am Ende präsentierte jedes Team seine Idee in einem Wettbewerb; die Gewinner durften unter anderem ins Silicon Valley fliegen. Zum goldenen Abschluss formulierte ich im Auditorium Maximum an die Teilnehmer ermutigende Worte. Es schauten mich hunderte faltenlose Gesichter an, und mir wurde plötzlich klar, dass dies das erste Mal seit vielen Jahren war, dass ich vor einem Publikum stand, das zur Hälfte weiblich war.
Zu jenem Zeitpunkt hatte ich schon jahrelang auf Startup-Events präsentiert und auf Konferenzen gesprochen, und ich hatte die 90/10-Relation im Publikum als den natürlichen Status der Dinge akzeptiert. Scherze darüber („Sausage-Fest“, „Männergruppe“) waren schon damals abgestanden. „Kann man halt nichts machen“, hieß es oft.
Haben Frauen weniger Ehrgeiz?
Aber dort im Hörsaal: eine andere Welt. Gut möglich, dass das Verhältnis sogar 45 zu 55 war. Die Frage, die ich mir bei der Heimfahrt nach Berlin stellte, war entsprechend: Was zum Henker passiert mit dieser Generation in den nächsten fünf Jahren, wieso verschiebt sich diese Relation so krass? Denn in der Startup-Szene sehen wir diese Kids wieder, mit Bacherlor oder Master in der Tasche, mit 24 oder 25 Jahren. Zu diesem Zeitpunkt ist von der Parität im Hörsaal nichts, gar nichts mehr übrig.
Dieses Rätsel scheint mir grundsätzlicher als die Mechanismen, die Anfang, Mitte 30 in Kraft treten. Denn dann sind meist die Würfel pro familia gefallen; dann ist man mittendrin in der Diskussion um Frauenquoten und Erziehungszeiten und Belastungsverteilung. Aber nach dem, was ich oft erlebe, ist zu diesem Zeitpunkt der Kuchen längst gebacken. Wenn in den fünf oder sechs Jahren nach der Schule der Wandel von 50/50 zu 90/10 stattfindet, dann wird er in den Jahren danach nicht mehr aufgeholt. Der Sarkastiker würde hinzufügen: Und zu diesem frühen Zeitpunkt hatten die Männer doch noch gar keine Chance, ihren unheilvollen Einfluß auf das berufliche Fortkommen der Frau auszuüben.
Es ist keine Rhetorik – ich weiß wirklich nicht, was in diesen Jahren geschieht, das den Ehrgeiz der weiblichen Hälfte einer Akademikergeneration so sehr abtötet. Norden sich junge Frauen bereits mit 23 Jahren so konsequent auf die – viele Jahre in der Zukunft liegende – Familiengründung ein, dass sie ihre unmittelbare Zukunft schon dann vor allem in punkto Familienkompatibilität konstruieren? Liegt das Problem sogar noch früher, wenn sie ihre Studienfachwahl treffen? Was genau machen Frauen in den 24 Monaten nach ihrem Studienabschluss, und wie unterscheidet sich ihr Tun von ihren männlichen Kommilitonen?
Wer sich früh einen Namen macht, hat später keine Angst
Das würde ich wirklich gerne wissen, denn angesichts dessen sind für mich viele Diskussionen zum Thema „Karriereplanung oder Firmengründung“ Makulatur. Die Grundlagen dafür, mit Anfang 30 Unternehmer oder auf dem Weg in höhere Management-Positionen zu sein, werden mit Anfang, Mitte 20 gelegt. Frauen, die sich dann schon in einen harmlosen Job einsortiert haben, werden niemals die Position erreichen, in der sie an eine „gläserne Decke“ überhaupt stoßen könnten.
Was hinzu kommt: Eine Frau, der es bereits in ihren 20ern gelungen ist, sich einen Namen zu machen, hat vor einer Disruption ihres Lebenslaufs in den 30ern keine Angst. Das sieht man zum Beispiel an Amorelie-Gründerin Lea-Sophie Cramer, die in einem „Brigitte“-Interview keinen Widerspruch zwischen ihrer Unternehmerkarriere und ihrem Wunsch nach einer Familie mit fünf Kindern sieht. Das ist auch meine Erfahrung: Die Gründerinnen Mitte 20, die ich kenne, sehen ihre Zukunft überhaupt nicht unter dem Druck angeblicher Geschlechterungerechtigkeiten. Sie schaffen einfach Realitäten.
Ich für meinen Teil – ich würde gerne in ein, zwei Jahren alle die, die damals im Audimax vor mir saßen, noch einmal sehen und fragen, was sie denn jetzt vorhaben. Oder sie zu einer Entrepreneurship-Veranstaltung einladen. Wer da wohl käme, wie da das Geschlechterverhältnis wohl aussähe? Wenigstens 70/30, wie es die Frauenquote gerne hätte? Oder… oder doch wieder 90/10?
Liebe Frauen, reißt euch mal zusammen!
In seinem letzten Artikel schrieb Christoph Raethke über Frauenförderung. Diese funktioniert nicht mit eigenen Autoscootern, auf denen homöopathisch gerempelt wird, so seine These. Manche Dinge kann man nicht sanfter machen. Hier geht es zum Artikel.
Die Antwort
Frauen wollen anders gründen und anders Karriere machen. Deutschlands Business-Dogmen ignorieren das noch immer. Zeit aufzuwachen. Anna Handschuh antwortet Christoph Raethke. Hier geht es zum Artikel.