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Streit ums Zeugnis? So unterstützt ihr euer Kind wirklich

Der große Tag: Es gibt Zeugnisse! Nicht wenigen Kindern graut davor – und auch etlichen Eltern. Denn mit dem Zeugnis kommt häufig der Streit um die Noten und die Leistung. Dabei braucht dein Kind jetzt etwas völlig anderes.

 

Jedes Halbjahr wieder

„Ich bin wieder zuhause“, hallt es normalerweise fröhlich durch das Treppenhaus. Nicht so heute. Dieser Tag ist anders. Das Kind kommt leise nachhause. Schleicht sich in die Küche. Legt ein Blatt auf den Tisch. Verschwindet wortlos in seinem Zimmer. Es ahnt, was folgt. „Das kann doch nicht wahr sein“, erhebt sich kurz darauf eine Stimme aus der Küche, „komm SOFORT her.“ Heute ist ein besonderer Tag: Heute gab es Zeugnisse.

1. Eigene Gefühle sehen und hinten anstellen

Als erstes finde ich es wichtig, dass wir als Eltern unterscheiden zwischen den Gefühlen unseres Kindes und unseren eigenen. Viel zu oft reagieren wir aus unserem Gefühl und übersehen das Kind. So habe ich mich mal über eine Klassenarbeit meines Sohnes aufgeregt. Ich war der Ansicht, mein Sohn wäre zu schlecht bewertet worden. Meine Frau pfiff mich schnell zurück. Sie fand, dass mein Sohn mit der Note zufrieden war. Hier hatte ich meinen Gefühlen zu viel Raum gegeben. Klar kann ich mich über die Benotung aufregen – aber nicht vor meinem Kind. Zuerst kommt also der Blick auf das Kind. 

Ein Zeugnis kann für ein Kind eine hochemotionale Situation darstellen. Selbst wenn wir im Grunde vorher ahnen, wie das Zeugnis ausfällt. Manchmal wissen wir es sogar. In der Schule unseres Sohnes haben die Lehrerinnen und Lehrer sogar fast alle Noten in der Woche davor mit jedem Kind besprochen. Wir kennen das Zeugnis also schon sehr gut. Dennoch ist es ein besonderer Moment: Jetzt steht da schwarz auf weiß, wie meine Leistung war. Oder zumindest, wie die Lehrerinnen und Lehrer glauben, dass meine Leistung ist. Aber Sinnhaftigkeit von Noten ist ein anderes Thema.

Bild eines Zeugnisses mit Dreien und Vieren. Text: Was hast du in Mathe?
Was ist ein schlechtes Zeugnis? Dreien und Vieren? Dieses Exemplar stammt übrigens von mir 🙂 (Foto: Christopher End)

Traurig oder wütend wegen schlechter Noten

Wenn Kinder mit ihrem Zeugnis nicht zufrieden sind, kann sie das belasten. Sie sind vielleicht traurig, verärgert, wütend oder fühlen gar nichts. Sie können sich die Noten nicht erklären, sind perplex, fühlen sich wie vor den Kopf gestoßen. Sind Kinder hochemotional, dann brauchen sie echten Beistand. Sie brauchen das Gefühl, angenommen und geliebt zu werden – auch und gerade mit schlechten Noten. Dazu kommt eventuell der soziale Druck in der Gruppe.

Der Zeugnis-Vergleich: Und was hast du in Mathe?

Die meisten Kinder vergleichen ihre Noten. Offen oder verdeckt. Zumindest kennen sie die Noten ihrer Freunde. Wer sich am unteren Ende der Skala wieder findet, braucht ein dickes Fell. Vielleicht fallen sogar fiese Bemerkungen? Umso mehr braucht das Kind einen Ort, an dem es sich geborgen fühlt. Einen sicheren Hafen – und das sollten die Eltern sein.

Bild: Zeugnis mit Einsen. Text: Einsen und Zweien – gibt trotzdem häufig Streit.
Streit trotz schlechter Noten – auch das kommt vor. (Bild: Christopher End)

Studie: Noten sorgen in der Hälfte der Familien für schlechte Stimmung

Vielleicht spielt sich die Zeugnisübergabe bei euch nicht so drastisch ab, vielleicht geht ihr ganz entspannt mit Noten und Zeugnissen um. Tatsache ist: Bei fast der Hälfte der Familien führen schlechte Noten zu schlechter Stimmung oder sogar zu Streit. Das zeigt eine Umfrage von forsa im Auftrag des Studienkreises. Und das Kuriose: Selbst bei einem vergleichsweise guten Notendurchschnitt, das heißt überwiegend Einsen und Zweien auf dem Zeugnissen, kommt es über Noten zum Streit. Und ja, es gibt Kinder, die heute noch befürchten, für schlechte Noten Schläge zu bekommen.

Streit gehört dazu – nur nicht wenn das Kind hochemotional ist

Ich bin weder gegen Streit – in einer lebendigen Beziehung kommt ihr um Konflikte nicht herum – noch dagegen dass Eltern ihre Gefühle zeigen. Ganz im Gegenteil. Ich finde Eltern sollten authentisch sein. Denn wer etwas anders sagt, als er meint, sendet widersprüchliche Signale an sein Gegenüber. Und die eigenen Kinder sind sehr geschult, diese Signale zu empfangen. Dennoch gilt die Einladung zum Konflikt und die eigene Gefühle zu zeigen, nicht für einen Tag wie die Zeugnisübergabe. Hier habt ihr, haben wir als Eltern eine völlig andere Aufgabe.

Wenn euer Kind mit dem Zeugnis nach Hause kommt, braucht es jemand, der einfach da ist. Hört einfach zu. Versucht, euer Kind zu sehen: Wie geht es ihm? Und seid aufmerksam euren eigenen Gefühlen gegenüber dem Kind. Dies ist nicht der Zeitpunkt, eure Gefühle zu zeigen, davon bin ich überzeugt.

Bild eines Zeugnisses mit der Note ausreichend bei Deutsch. Text: Schlechtes Zeugnis = Zukunft verbaut?
Das ist eins meiner Zeugnisse: Die 4 in Deutsch hat mich lange begleitet – dennoch habe ich später eine Ausbildung als Redakteur gemacht. Heute lektoriere ich die Texte anderer Menschen. (Bild: Christopher End)

Schlechte Noten? Lösungen suchen! Nur halt später …

Mir geht es in diesem Artikel nur um den Tag der Zeugnisübergabe. Wenn euer Kind schlechte Noten hat und ihr und euer Kind damit unzufrieden seid, dann dürft und solltet ihr nach einer Lösung suchen. Nur bitte nicht in einer hochemotionalen Situation. Dann braucht das Kind erst einmal diesen sicheren Hafen, der Eltern oder Familie heißt.

Christopher End ist systemischer Coach für Kinder und ihre Eltern. Er lebt mit seiner Familie in Köln. Wir freuen uns, dass er seinen Text auch hier veröffentlicht.

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