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Der Herr der Weine

Stuart Pigott, einer der weltweit bedeutendsten Weinautoren, spricht über seine Liebe zum Riesling und seine jüngsten Entdeckungen.

„Mein Vater wollte mich immer zum Genießer erziehen“

Der britische Weinkritiker Stuart Pigott gilt als einer der weltweit bedeutendsten Weinautoren und sicherlich ist er einer der besten Kenner deutschen Weins. Er schreibt für verschiedene deutsche Medien Kolumnen, betreibt einen Blog und auch dem TV-Publikum dürfte er bekannt sein. Er war die Hauptfigur in der Serie „Weinwunder Deutschland – Stuart Pigotts Entdeckungsreisen“, die im vergangenen Jahr im Fernsehen lief. Alexandra Knape aus der Redaktion unseres Partner Manager Magazin Online sprach mit dem ungewöhnlichen Weinkritiker, der – wenn er nicht gerade auf Reisen ist – in New York und Berlin lebt.

Herr Pigott, wie haben Sie Ihre Liebe zum Wein entdeckt?

„Das kann ich Ihnen genau sagen: Das war in einem Bungalow in Oggersheim.

Oggersheim?

„Keine Sorge, nicht bei Altkanzler Kohl. Ich war 1976 Austauschschüler. Fünfzehn Jahre alt und mein Familienvater zeigte mir die Wohnung. Zum Kühlschrank in der Küche sagte er, hier herrsche Selbstbedienung. Der Kühlschrank war voll mit Wein und Bier. Zu Hause hatte mein Vater immer versucht, mich zum Genießer zu erziehen. Aber das war nun was ganz anderes. Selbstbedienung, das habe ich natürlich ausgenutzt. Unter den Weinen war ein Riesling, und den habe ich mir gemerkt. Ich habe sogar die Etiketten gesammelt.

Und die haben Sie immer noch?

„Ja, die habe ich noch. Fünf Jahre später arbeitete ich während meines Studiums einige Monate in einem Restaurant. Die Weinkarte war sensationell – viele französische Weine, kein einziger italienischer oder spanischer Wein, dafür aber ein paar gute deutsche Rieslinge. Das war der eigentliche Startschuss für mich, mich dem Thema Wein als Kritiker zu nähern. Damals fing ich an zu schreiben – inzwischen seit 30 Jahren.

Sie besichtigen Weingüter, testen und beurteilen sie. Wie wählen Sie die Weingüter aus, die sie besuchen?

„Bei mir melden sich Winzer aus der ganzen Welt. Tatsächlich sind es vor allem junge Winzer. Die bitte ich, mir Proben ihrer Weine zu senden. Ich bin ja keine Behörde, bei der sich Winzer über ein bestimmtes Formular bewerben können. Beim ersten Kontakt gilt allerdings, nicht mehr als drei Flaschen zu schicken.

Wie oft bereisen Sie Weingüter?

„So oft wie möglich, aber ich muss natürlich auch genug Zeit am Schreibtisch verbringen, weil sich Bücher nicht von selbst schreiben! Ich reise immer wieder rund um die Welt. In Deutschland bin ich tendenziell vier bis fünf Mal im Jahr. Riesling ist mein großes Thema, aber deshalb verschließe ich mich nicht den anderen Weinen. Im Rheingau wird zu 79 Prozent Riesling angebaut, aber auch zu 12 Prozent Spätburgunder. Da gibt es ganz beachtliche Rotweine. Und viele Güter machen alles neu.

Neu, insofern wie sie Wein anbauen? Besonders kleinere Betriebe schwenken auf ökologischen Anbau um, liest man.

„Ach, klein ist nicht gleich gut und groß nicht gleich böse. Ein ökologischer Winzer spritzt auch, aber mit anderen Mitteln, die nicht so wirksam sind wie die chemischen. Ich möchte mich auf Professor Kauer von der Hochschule für Weinbau und Önologie in Geisenheim berufen. Er warnte in seinen Seminaren immer davor, dass der Aufwand für ökologischen Anbau groß ist. Wenn man nicht alle Berge innerhalb von drei Tagen spritzen könne, dann solle man die Finger davon lassen. Bei der Ökobewirtschaftung kommt es enorm auf den Zeitpunkt an, wann man spritzt.

Wenn Sie ein Weingut besuchen, worauf achten Sie besonders?

„Ich schaue mir das Gut an, die Geräte, den Keller und die Weinberge. Zudem verkoste ich natürlich die Weine, die dort produziert werden. So bekomme ich einen ganz guten Überblick und Querschnitt über die Qualität der Weine. Eine Kernfrage ist für mich, was die Winzer für Menschen sind.

Wieso?

„Wein ist ein sensibles Produkt. Und da stellt sich auch die Frage, wie die Winzer mit ihrem Wein umgehen. Das beinhaltet Fragen, wie der Wein wächst, welche Arbeitsschritte wie umgesetzt werden. Jeder Arbeitsschritt wirkt sich auf den Geschmack aus. Also sehe ich mir den Boden an. Wächst da Gras oder wächst da nichts zwischen den Reben, oder vielleicht vielfältigste Kräuter?

Kein Gras mag auf Unkrautvernichtungsmittel deuten. Also kein edler Wein?

„In der Tat würde ich sagen, wenn nichts zwischen den Reben wächst, ist das verdächtig. Auf jeden Fall spricht es für eine altmodische Art der Pflege. Was will der Winzer, frage ich mich dann. Monokultur? Aber wie schmeckt das? Ich möchte ein Beispiel geben: Als ich Gaststudent in Geisenheim war, das war in den Jahren 2008 und 2009, haben wir viele Praktika gemacht. Zur Schule gehörten auch zwei Parzellen. Die eine haben wir mit einem Traktor bearbeitet, die andere mit der Hand, beide ökologisch. Aber was glauben Sie, was das für einen Unterschied macht! Wir haben die Böden verglichen. Die Parzelle, die mit dem Traktor bearbeitet wurde, wies stark verdichteten Boden auf, hart – nicht schön für die Reben und letztendlich auch nicht schön für den Geschmack.

Was ist Ihre jüngste Entdeckung?

„Vor kurzem das Weingut Bosselt aus Gundersheim, Rheinhessen. Ich habe drei trockene Riesling erhalten und war total begeistert. Solche Weine aus Rheinhessen beziehungsweise solche Entdeckungen gibt es häufig.

Woran liegt das?

„Rheinhessen ist eine verschlafene Region, könnte man meinen. Aber dort tut sich unglaublich viel. Früher wurden hier vor allem Konsumweine produziert, teilweise wurden auch Weine zusammengeschüttet und verschnitten. Die Grundweine habe ich probiert, einige waren prima, andere waren Dreck, die nicht zu vermarkten waren. Üblich war es, dass Großhändler diese Grundweine aufgekauften und behandelten, um sie dann zu verkaufen.

Eine Praxis, die heute nicht mehr anzutreffen ist?

„Sagen wir es so: Die neue Generation der Winzer ist ganz anders. Sie setzen nicht mehr auf Fassweinverkauf mit Billigqualität, sondern auf einen trockenen Riesling mit steigender Qualität. mm: Woher kommt der Wechsel? Pigott: Das kommt nicht von ungefähr, sondern hängt tatsächlich häufig mit einem Betriebswechsel zusammen. Die ältere Generation gibt ihre Güter an die Kinder ab und die steigen teilweise komplett um. Das macht sich einfach bemerkbar. Qualitätsunterschiede kommen immer durch ganz konkrete Sachen zustande. Woher was kommt – das wollen die Winzer wissen. Und man kann das meistens feststellen.

Sie haben das Buch „Planet Riesling” geschrieben, warum braucht der Riesling ein eigenes Buch?

„Riesling wird an vielen Stellen rund um den Globus angebaut. Das war nicht immer so. In Australien wird die Rebe mittlerweile auf über 4000 Hektar angebaut, in den USA ist ebenfalls ein sehr starker Anstieg zu verzeichnen. Hier liegen die Riesling-Produzenten schon auf Platz zwei hinter Chardonnay, der beliebtesten Traubensorte in den USA. In Neuseeland wachsen die Anbauflächen für Riesling ebenfalls deutlich, aber natürlich von einem niedrigeren Niveau ausgehend. Auch in Chile finden sich erste interessante Rieslinge.

Wie kommt es, dass Riesling wieder so angesagt ist?

„Es gibt natürlich immer noch Vorurteile gegenüber Riesling. Das rührt aus der jüngeren Vergangenheit, in der Billigweine produziert wurden. Dabei hat die Riesling-Rebe absolute Vorteile. Zum einen handelt es sich um eine robuste Pflanze, deren Triebe zur Sonne wachsen. Das ist wichtig, denn das macht den Anbau leichter. Sie ist auch extrem resistent gegen Kälte.

Wenn man an den Klimawandel denkt, wie sieht es mit Hitze aus?

„Tatsächlich birgt der Klimawandel für Riesling eher Vorteile. Naja, man kann zumindest sagen, er ist eher gut als schlecht. Bei knapp unter 30 Grad Celsius schaltet die Pflanze ab. Dadurch kann die Rebe auch große Hitze ertragen, wenn sie gleichzeitig genügend Wasser erhält. Allerdings ist kurz vor der Ernte große Hitze schädlich, denn dann verlieren die Trauben Aroma und Säure.

Und all diese Erkenntnis trägt zur Popularität des Riesling bei?

„Riesling hat in den vergangenen Jahren besonders in den USA an Popularität gewonnen. Auch das hat mit dem Generationswechsel zu tun – nicht nur der Winzer, sondern auch der Konsumenten. Heute gehen die Verbraucher einfach danach, ob ein Wein schmeckt oder nicht. Amerikanischer Riesling ist meistens feinherb und passt hervorragend zum Essen. Natürliche Traubensüße macht den Wein saftiger, harmonischer, dieser Geschmack ist auch an der Mosel und im Rheingau möglich. Ein kleiner Hauch Traubensüße, kommt verdammt gut an im deutschen Markt.

Wie muss ein guter Riesling schmecken?

„Es muss nicht unbedingt ein trockener Riesling sein. Meine Generation ist noch auf trocken abgefahren, alles andere war Un-Wein. Heute ist das Gott-sei-Dank anders, heute geht es einfach nach Geschmack.

Ihr Lieblingswein?

„Die nächste Entdeckung.

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