Foto: Marlen Stahlhuth

Tarik Tesfu: „Wir sind alle rassistisch sozialisiert“ 

Tarik Tesfu wird auch in diesem Jahr beim FEMALE FUTURE FORCE DAY im bcc Berlin am 12. Oktober als Moderator durch das Programm führen. Vorab sprach Yvonne Weiß, die bei FUNKE den neuen Bereich „Cultural Affairs“ leitet, mit Tarik Tesfu über das Politische im Märchen und in der Mode und das, was sich in Kitas und Schulen dringend verändern müsste.

Tarik Tesfu ist Moderator, Entertainer, Podcaster und eigentlich schon immer Sänger. Der selbsternannte Glam-Minister hat sich nicht nur durch seinen Style, sondern vor allem durch sein gesellschaftliches Engagement eine loyale Fangemeinde aufgebaut und tritt als Botschafter für Vielfalt, Inklusion und Akzeptanz auf. 

Lieber Tarik, du ja hast viele Rollen inne: Berliner, It-Boy, Gender Messias. Ich würde gerne als erstes auf deine Rolle als Glam Minister eingehen. Wer ist für dich der*die Schönste im ganzen Land? 

Schönheit ist etwas sehr Subjektives und etwas, das konstruiert wird von der Gesellschaft. Das mag jetzt cheesy klingen, aber ich glaube tatsächlich, dass wir alle die Schönsten sind. Schönheit steckt in uns allen. Oder es kann ein Kleidungsstück sein, ein Lächeln, eine Haltung. Wir sind alle die Schönsten im Land.“

Die Frage stammt aus einem Märchen. Glaubst du an Märchen? 

„Ich glaube an alles. Ich kann mir auch vorstellen, dass es magische Wesen gibt. Wenn sich Menschen überlegen, dass es da im Himmel einen Gott gibt, dann finde ich, kann man auch an Märchen glauben.“ 

Glaubst du, dass es ein Märchen ist, dass Mädchen eines Tages ganz selbstverständlich im Piratenkostüm rumrennen und Jungs als Königin oder Prinzessin? 

„Die Kinder können das und tun das auch gerne. Die Frage ist doch, wie wir darauf reagieren. Ich würde mir wünschen, dass Erzieher*innen, Eltern, Freund*innen einfach cool sind und keinem Mädchen verbieten, irgendwelche vermeintlichen Männerrollen zu spielen oder Jungs nicht verbieten, vermeintliche weibliche Rollen zu spielen. Wer Lust hat, Prinzessin zu sein, kann eine Prinzessin sein. Wenn eine andere Person eine andere Idee oder eine andere Definition oder ein anderes Konstrukt vom Geschlecht hat, dann sollten wir respektvoll damit umgehen. Wie verhalte ich mich dann? Sage ich: ,Boah, das ist doch kacke, das will ich nicht, verschwinde.’ Oder: „Ah, pass mal auf, hatte ich noch gar nicht auf dem Schirm, aber natürlich hast du das Recht, das zu tun, was dich glücklich macht“.  

Welche Auswirkungen hätte eine geschlechtsunabhängige Mode von der Stange auf unsere Gesellschaft? 

„Es gibt schon Modelabels, die auf Unisex setzen und es gibt auch Labels, die andere Körper zeigen auf der Homepage oder bei den Shows, bei denen nicht alle schlank sind. Manche Menschen holen sich schon jetzt auf der vermeintlich anderen Seite ihre Klamotten. Das kann nicht irgendein Modehaus für mich entscheiden, was für mich passt und was nicht für mich sein sollte. In zehn Jahren wird es immer mehr Unisex-Sachen geben. Zara hat den Rock für den Mann im Angebot. Ob sich das durchsetzt, ist die eine Sache, aber auf jeden Fall merken wir, wie sich die Grenzen verschieben. Im besten Fall bleibt es verschoben und geht nicht wieder zurück. Das würde zu einer Normalität führen. Übrigens gab es bereits Zeiten, in denen Männer Röcke getragen haben. Vielleicht fällt dem ein oder anderen die Akzeptanz so leichter.“ 

Wann ist Mode politisch, wann nur Ausdruck der Identität? Ich denke an Schröder als angeblichen Brioni-Minister, an die Highheels der ehemaligen Verteidigungsministerin oder an eigentlich jedes Outfit von Annalena Baerbock – da weiß man sofort, woher es ist und was es kostet.  

„Mode ist immer politisch. Sobald man etwas trägt, hat das einen politischen Kontext. Gewisse Mode kann auch ein Ausdruck von rassistischem Verhalten sein. Muss nicht, aber kann. Oder Leuten wird Zugang zu gewissen Räumen nicht erlaubt, weil sie sich vermeintlich falsch angezogen haben. Dann hat das für mich einen großen politischen Wert, weil Leute ausgegrenzt werden.“

Bist du besorgt vor dem Hintergrund der Umfragewerte der AfD? 

„Wer wie ich als Schwarze Person in Deutschland groß geworden ist, den überrascht Rassismus nicht und auch nicht die Tatsache, dass es halt Menschen gibt, die so denken wie Politiker*innen in der AfD. Was ich aber krass finde ist, wie viele es am Ende sind. Ich komme klar mit 7 oder 8 Prozent. Da sage ich: Okay, das kriegen wir schon hin. Aber so? Das besorgt mich schon.

Ich glaube, die meisten Leute würden von sich behaupten, nicht rassistisch zu sein. Das ist komplett falsch, weil wir alle rassistisch sozialisiert sind. Ab und zu haben wir alle rassistische Muster oder rassistische Bilder im Kopf, die einfach in uns hochkommen, weil wir es nicht anders gelernt haben. Aber das Gute ist, wir können es quasi wieder verlernen, wenn wir uns damit beschäftigen.

Jede Person sollte sich die Frage stellen: Wie viele Freund*innen habe ich eigentlich, die nicht weiß sind? Wie viele Arbeitskolleg*innen habe ich, die nicht weiß sind? Und sind diese Menschen in einer Führungsposition, oder räumen sie meinen Müll weg? Wenn ich mir den Deutschen Bundestag anschaue: Wer repräsentiert dieses Land, das schon immer Migrationsgeschichten hatte und auch immer haben wird? Und, wer regiert da? Das sind kleine, einfache Fragen, die man sich stellen kann.“

Du hast eine Ausbildung als Erzieher. Bilden Kita und Schule die Lebensrealität der Kinder ab?

„Es gibt Einrichtungen mit guten pädagogischen Konzepten. Und dann gibt es Einrichtungen, die heillos überfordert sind, weil oft Geld und Mitarbeiter*innen fehlen. Wir wären alle sehr gut darin beraten, ein bisschen mehr darauf zu gucken, wie eigentlich die Kitas oder sozialen Einrichtungen für unsere Kinder ausschauen. Sie sind der Grundstein für alles, was danach kommt.  

Der Beruf der Erzieher*innen ist einer der wichtigsten Berufe in unserer Gesellschaft – und gleichzeitig nicht gut bezahlt. Auch das Bild von Erzieher*innen scheint bei manchen zu sein: ,Die machen ja nichts, lassen die Kinder spielen und trinken Kaffee.’ Aber der Job ist sowohl körperlich als auch geistig fordernd, dafür braucht man eine gute Ausbildung. Und nur mit einer vernünftigen Bezahlung wird das Ganze attraktiv. Ich habe diesen eigentlich wunderschönen Job nur drei Jahre gemacht, weil ich das mit der Bezahlung einfach nicht gefühlt habe.“

Wie sieht eine geschlechtersensible Erziehung deiner Ansicht nach aus? In unserer Schule wurden bis zum Abitur beispielsweise in Deutsch fast nur männliche Autoren durchgenommen.

„Die Männerbesessenheit in weiterführenden Schulen ist natürlich immer noch krass. Da drehen wir uns total im Kreis, obwohl es so viele weibliche Autor*innen gibt. Doch das fängt schon bei den Büchern in der Kita an. Wird Familie da als Mutter-Vater-Kind dargestellt oder gibt es auch mal Held*innen, die nicht wie Prinzessin Lillifee aussehen? Wir müssen aufhören, in Kategorien zu denken. Ich würde jedes Kind einzeln anschauen, was es braucht, ganz unabhängig von Geschlecht, Herkunft der Eltern oder ob es schlank, klein, groß oder irgendwas ist. Kinder sind sehr gut darin, zu kommunizieren, was sie brauchen und was nicht.“

Können Erwachsene das weniger gut? 

„Erwachsene haben die gesellschaftlichen Normen schon verinnerlicht und hinterfragen sie und sich nicht mehr so, wie es Kinder tun würden. Kinder fragen permanent. Die haben Fragen zu allem, weil sie noch so auf der Suche sind. Und Erwachsene haben das Gefühl, dass sie nicht mehr suchen dürfen – und das ist Quatsch! Wir alle sollten permanent suchen und permanent hinterfragen.“

Du hast ja mal aus Spaß gesagt, du würdest gerne Bildungsminister werden. Warum denn nicht im Ernst?  

„Ich wollte schon so einiges werden. Aber ich würde das komplette Schulsystem ändern wollen, weil es so veraltet ist, und ich wüsste nicht, ob ich das tatsächlich könnte oder ob ich nicht doch sehr viele Kompromisse machen müsste. Politik heißt, Kompromisse machen. Ich möchte ein System, indem wir nicht wie jetzt ganz früh damit anfangen, Kinder einzuteilen in Gruppen. Warum nicht ein Schulsystem schaffen, in dem sich alle Kinder bis zum Alter von 16 Jahren wohlfühlen und gefördert werden, unabhängig davon, was sie vermeintlich können oder nicht können, und ob sie eine Behinderung haben oder nicht? Das verstehe ich nicht.”

Glaubst du, wenn bestimmte Entscheider*innen-Positionen in der Politik oder in Unternehmen anders besetzt werden, dass es mehr Fortschritte gäbe?  

„Ich bin der festen Überzeugung, dass sich mit anderen Teams auch der Output verändern wird. Da müssen wir auf jeden Fall hin. Das diverse Bild in Deutschland entsteht, doch es ist immer noch zu wenig. Wenn ich beispielsweise an das Fernsehen und Kino denke hinter der Kamera: Da sind die Leute immer noch sehr weiß und männlich. Das wird dann teilweise grotesk, wenn eine trans Person vor der Kamera moderiert, aber hinter der Kamera sieht der Laden genauso aus wie vor 50 Jahren. Das ist keine solide Idee von Veränderung.“

Du hast Gender Studies studiert und sagst: Die Studien beißen nicht. Warum reagieren denn manche so, als würden die doch beißen? 

„Weil die Leute nicht reflektieren. Nur, weil man selbst von gewissen Dingen nicht betroffen ist, heißt es nicht, dass es sie nicht gibt. Da könnte man sagen: ,Davon habe ich noch nichts mitbekommen, aber erkläre es mir gerne.’ Einige Menschen sind es nicht gewohnt, dass andere ihnen etwas erklären. Sie sind es gewohnt, selbst die Erklärenden zu sein. Wenn dann jemand, der nicht weiß ist, eine Frau oder eine Person mit Behinderung, ihnen etwas erklären möchte, sind sie oft überfordert. Sie sollten akzeptieren, dass sie a) nicht alles wissen müssen, b) nicht allen alles erklären müssen und c) auch von anderen lernen können. Das würde allen zugutekommen.“

Warum moderierst du beim FFF-Day? 

„Ich mag die Programmvielfalt, ich mag die Speaker*innen. Ich habe das Gefühl, auch wenn man sich schon des Längeren mit diesen wichtigen Themen beschäftigt, gibt es auf dem Female Future Force Day immer noch sehr viele Aha-Momente.“

Dein Ticket für den FFF DAY 2024

Am 12. Oktober 2024 findet der FEMALE FUTURE FORCE DAY im bcc Berlin statt! Unter dem diesjährigen Motto BRIDGE THE GAP werden die allgegenwärtigen Ungleichheiten in nahezu allen Lebensbereichen adressiert: Es geht um Gender Pay Gap, Gender Health Gap, Gender Care Gap, Gender Data Gap und so vieles mehr. Im Austausch mit inspirierenden Speaker*innen, in Paneldiskussionen, Interviews und interaktiven Masterclasses wollen wir die Probleme nicht nur benennen, sondern Lösungen erarbeiten und Wege aufzeigen, die die Brücken in eine gerechtere, inklusivere Welt schlagen können. Alle Teilnehmer*innen erwartet ein spannendes, abwechslungsreiches Programm auf mehreren Bühnen und Masterclass-Räumen sowie ausreichend Gelegenheit zum persönlichen Austausch und Netzwerken.

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