Die Coachin Mariela Georg sitzt auf einer blauen Yoga-Matte und lächelt in die Kamera. Sie ist in einem Park, mit grünen Bäumen und viel Sonnenschein.
Foto: Jadmin Burkhardt

„Rassismus wirkt sich auf das Leben Betroffener aus – er zerstört und verkürzt es“

Rassismuserfahrung stellt das eigene Dasein in Frage und wirkt sich negativ auf Leben und Gesundheit aus. Vielen Betroffenen ist (noch) nicht bewusst, welche Konsequenzen rassistisches Handeln haben kann. Die Coachin Mariela Georg möchte mit ihren Critical Wellness Workshops Betroffene unterstützen.

Die Frage „Woher kommst du wirklich?“, das ungefragte Anfassen der Haare, die Beurteilung und Einteilung von Hautfarben, das Absprechen des Deutschseins, Anfeindungen und Hass im Netz – Rassismus hat viele Gesichter. Und noch immer erleben ihn Schwarze Menschen in Deutschland tagtäglich. Von klein auf wird ihnen das Gefühl gegeben, sie seien anders und gehörten nicht zur Gesellschaft dazu. Dieser verinnerlichte Rassismus wirke sich negativ auf die Gesundheit und das Wohlergehen der Betroffenen aus, erklärt Mariela Georg. Dadurch werde das Leben Schwarzer Menschen zerstört und verkürzt.

Mariela Georg ist Trainerin, Coachin, Autorin und in der Antidiskriminierungsarbeit tätig. Mit ihren Critical Wellness Workshops möchte sie einen Weg aus diesem Teufelskreis aufzeigen und Schwarze Frauen und Women of Color empowern – hin zu mehr Selbstfürsorge, Achtsamkeit und Wohlergehen. Wir haben mit ihr gesprochen.

Mariela, was ist Critical Wellness und woher kommt dieser Begriff?

„2017 nahm ich an einer rassismuskritischen Tagung für pädagogische Fachkräfte in Berlin teil. Dort gab es die Möglichkeit, spontane Workshops zu machen. Eine Frau schlug vor, einen Workshop zu Critical Whiteness zu machen – das bedeutet, dass sich weiße Menschen kritisch mit ihren Privilegien auseinandersetzen. Daraufhin gab es viel Widerstand und irgendjemand aus der Gruppe meinte im Scherz, dass man nach einem so anstrengenden Tag eher ,Critical Wellness‘ brauche. Viele fanden das witzig, ich allerdings fand es schade und eine verpasste Chance für die größtenteils weißen Teilnehmer*innen. Aber den Begriff habe ich mir gemerkt!

Im selben Jahr habe ich angefangen, eigene Workshops anzubieten. 2020 habe ich nach meiner Elternzeit das Workshop-Konzept überarbeitet, mich an die Tagung erinnert und es Critical Wellness genannt. Für mich ist es das Pendent zu Critical Whiteness. Critical Wellness richtet sich an Menschen mit Marginalisierungserfahrungen, vor allem aber an Schwarze Frauen und Women of Color. Es soll dazu anregen, sich mit dem eigenen Körper, der Arbeit und dem Stress auseinanderzusetzen. In meinen Workshops wenden wir Achtsamkeits- und Atemübungen an, stärken die Verbindung zu uns selbst und entwickeln ein kritisches Bewusstsein gegenüber rassistischen Strukturen.“

Deshalb auch ,Critical‘ Wellness?

„Genau. Als ich beschloss, meine Workshops Critical Wellness zu nennen, habe ich natürlich recherchiert, in welcher Weise der Begriff schon verwendet wird. Dabei bin ich auf Tyrone C. Howard von der UCLA gestoßen. Er forscht zu Diskriminierung an amerikanischen Schulen und beschreibt Unterdrückungserfahrungen – wie beispielsweise Rassismus – als toxische Stressoren. Die wirken sich auf die Gesundheit und Psyche der Schüler*innen aus. Critical Wellness ist sein Weg, um die Stresserfahrungen der Schüler*innen ernst zu nehmen und an dem Problem zu arbeiten. Genau das mache ich auch.

Teilnehmer*innen meines Workshops sollen ein kritisches Bewusstsein darüber erlangen, dass Diskriminierungserfahrungen – wie Rassismus, Sexismus, Klassismus – Auswirkungen auf unser Wohlbefinden und unsere Gesundheit haben. Ziel meiner Workshops ist es, den Teilnehmer*innen nicht nur Achtsamkeits- und Körperübungen näher zu bringen, sondern ihnen vor allem ein kritisches Bewusstsein zu vermitteln. Ihnen wird bewusst, in welchen Machtverhältnissen und -strukturen wir leben und wie sich das auf unsere Gesundheit auswirkt. Wichtig ist mir auch die Aussage, die ich all meinen Teilnehmer*innen mit auf den Weg gebe: ,Alles was du brauchst, trägst du bereits in dir.‘ Es geht darum, sich selbst als Ressource zu verstehen und die eigenen Bewältigungsstrategien zu identifizieren.“

Die Coachin Mariela Georg sitzt auf einer blauen Yoga-Matte und lächelt in die Kamera. Sie ist in einem Park, mit grünen Bäumen und viel Sonnenschein.
Mariela Georg | Foto: Jadmin Burkhardt

Wie läuft denn beispielsweise ein Workshop bei dir ab?

„Ich habe keinen festen Ablauf. Es gibt eher Kernelemente, die immer wieder auftauchen. Zum Beispiel nutze ich das sogenannte ,ABC Modell des Stresses‘ und wende es auf Diskriminierungserfahrungen an: A ist das ,activating event‘, also der Auslöser wie rassistische Mikroaggressionen. B steht für die ,beliefs‘, also die inneren Glaubenssätze, die durch rassistische Erfahrungen entstehen und (re)aktiviert werden. C sind die ,consequences‘. Die emotionalen und körperlichen Auswirkungen, die auf Diskriminierungserfahrungen folgen. Wir sammeln in der Gruppe zu jedem Punkt verschiedene Beispiele. Das ist ein Moment des Austausches, in dem die Teilnehmer*innen merken, dass sie mit ihren Erfahrungen nicht allein sind. So wird ihnen klar, dass Rassismus sich auf unsere Gedanken, unseren Körper und unsere Emotionen auswirkt. Das heißt: Wenn wir Rassismus bekämpfen wollen, spielt unser ganzheitliches Wohlergehen – unsere Wellness – eine entscheidende Rolle.“

„Rassismus wirkt sich auf unsere Gedanken, unseren Körper und unsere Emotionen aus. Das heißt: Wenn wir Rassismus bekämpfen wollen, spielt unser Wohlergehen eine entscheidende Rolle.“

Du schreibst, dass für dich die Unterscheidung zwischen den zwei Fragen ,Was kann ich gegen Rassismus tun?‘ und ,Was macht Rassismus mit mir?‘ sehr entscheidend ist.

„Ich habe diese Erkenntnis aus dem Buch ,Plantation Memories‘ von Grada Kilomba, die diese zwei Fragen in den Raum stellt. Die Frage ,Was mache ich im Fall von Rassismus?‘ wird in vielen klassischen Workshops bearbeitet. Es wird geschaut, welche Mikroaggressionen und strukturelle Gewalt die Menschen im Alltag erleben und versucht, dafür individuelle Lösungen zu finden. Rassismus hat aber nicht nur in der Situation, in der ich Diskriminierung erfahre, Auswirkungen auf mich, sondern auch im Nachhinein. Außerdem übertrage ich in dem Moment, in dem ich versuche, meinem Gegenüber wortgewandt zu erklären, dass er oder sie sich gerade rassistisch geäußert hat, meine ganze Energie. Um es in Grada Kilombas Worten zu sagen: ,Dann lasse ich mich wieder kolonialisieren.‘ Die Dekolonialisierung kann erst beginnen, wenn ich mich auf mich fokussiere. Somit ist die Frage wichtiger: ,Was macht Rassismus mit mir? Und wie wirkt sich das langfristig auf mich aus?‘“

„Die Dekolonialisierung kann erst beginnen, wenn ich mich auf mich fokussiere. Somit ist die Frage wichtiger: ,Was macht Rassismus mit mir?‘“

Greifen die zwei Fragen nicht ineinander? Möchten betroffene Personen nicht auch in dem Moment, in dem sie diskriminiert werden, wissen, wie sie sich verteidigen könnten?

„In gewisser Weise schon. Aber es ist wichtig zu verstehen, dass wir nicht immer handlungsfähig sein können. Rassismuserfahrungen sind Stresserfahrungen. Das bedeutet, mein Nervensystem stuft die Situation als Gefahr ein und schaltet in den Kampf-oder-Flucht-Modus. Dadurch sind unser logisches Denken und unsere Sprachfähigkeit gehemmt. Wir sind in einer Angst-Situation gefangen, aus der wir nicht immer direkt fliehen können. Und kämpfen – im physischen Sinne – ist auch nicht die beste Lösung. Also fühlen wir uns überfordert und können uns verbal nicht wehren. Wir erleben tagtäglich unterschiedliche rassistische und sexistische Diskriminierungserfahrungen, auf die wir uns gar nicht immer vorbereiten können. Um das zu verstehen, müssen sich BIPoC zuerst mit der Frage auseinandersetzen, was Rassismus mit ihnen macht.“

Aus deinem Ansatz geht hervor, wie Personen auf individueller Ebene Rassismus bekämpfen können. Aber auch die strukturelle Ebene ist dabei ja sehr wichtig.

„Auf jeden Fall! Ich bin natürlich nicht der Meinung, dass Rassismus ein individuell zu bekämpfendes Problem ist. Auch auf der strukturellen Ebene brauchen wir das Bewusstsein dafür, dass sich Rassismus negativ auf unser Wohlbefinden auswirkt. Dieses Bewusstsein haben wir in Deutschland noch nicht. In Ländern wie den USA oder Australien ist es Standard, dass die Auswirkungen von Rassismus auf die subjektive Gesundheit und Psyche erforscht werden. In unserer Gesellschaft wird das noch sehr stark tabuisiert und therapeutische, sowie medizinische Fachkräfte sind oft gar nicht auf rassismussensible Themen vorbereitet. Wir brauchen das kritische Bewusstsein auf individueller Ebene genauso sehr wie auf der gesellschaftlichen Ebene!“

Du meinst medizinische Fachkräfte wie Ärz*tinnen und Therapeut*innen sind oft nicht auf rassismussensible Themen vorbereitet?

„Ja. Ich habe vor über zehn Jahren Psychologie studiert und damals nichts zu dem Thema gelernt – beziehungsweise nur, was Rassismus überhaupt ist. Bei verschiedenen Praktika in der klinischen Therapie wurde ich teilweise sogar von Therapeut*innen, die eigentlich meine Mentor*innen sein sollten, rassistisch diskriminiert. Bis heute hat sich daran nicht viel geändert. Ich kenne viele Leute, die Psychologie studieren, eine Ausbildung in dem Bereich machen oder bereits abgeschlossen haben und das bestätigen können. Seit 2020 wächst zwar das Bewusstsein dafür, dass Rassismus psychische und körperliche Auswirkungen hat, aber zum Wissens-Standard gehört das noch lange nicht.“

Rassismuskritisches Denken und das Bewusstsein dafür, wie sich Rassismus auf die Gesundheit auswirken kann, sind wichtige Themen – für Erwachsene und Kinder. Sollten wir diese Themen bereits in der Schule besprechen?

„Menschen verinnerlichen Rassismus unglaublich stark und das bereits in jungen Jahren. Wenn ein Kind merkt, dass es anders behandelt wird, dann wird es negativ geprägt. Diese negativen Gedanken ziehen sich bis ins Erwachsenenalter und die Betroffenen beschäftigen sich erst dann im Rahmen eines Coachings oder einer Therapie damit. Also ja – diese Themen sollten schon früh gelehrt werden, aber am besten schon in der Kita! Es ist wichtig, dass pädagogische Fachkräfte das Bewusstsein dafür haben, wie auch ihr Handeln und ihre Sprache das Selbstbild der Kinder prägen können. Und gleichzeitig sollten wir unseren Kindern Themen wie Stressmanagement und -prävention und Gesundheitsförderung nahebringen.“

Das würde natürlich nicht nur den Betroffenen von Rassismus helfen, damit umzugehen, sondern könnte auch präventiv wirken. Denkst du, dass viele weiße Menschen sich immer noch nicht bewusst darüber sind, welche psychischen Verletzungen Rassismus verursachen kann – trotz der vielen Proteste und der aktuellen Aufklärung?

„Leider ja. Ich denke, in Deutschland gibt es noch keine konkreten Studien dazu, inwiefern sich die weiße Mehrheitsgesellschaft über die Auswirkungen von Rassismus bewusst ist. Aber mit Blick auf meine berufliche Erfahrung in der Antidiskriminierungsarbeit kann ich sagen, dass sich viele Menschen nicht wirklich in unsere Situation hineinversetzen können. Leute, die einem raten, bei rassistischen Erfahrungen einfach zu lachen, die Frage zurückzustellen oder dem*derjenigen auch in die Haare zu greifen, können sich nicht in die betroffene Person hineinversetzen. Sie verstehen nicht, dass man gerne etwas tun würde, aber nicht kann. Dass man gerne etwas sagen würde, aber nicht kann. Rassismus besitzt eine so große Gewalt, ohne dass es körperliche Gewalt sein muss. Es stellt dein ganzes Dasein in Frage. Es bedeutet, dass du anders bist, nicht zur Gesellschaft gehörst. Und das sehen die meisten nicht. Solange wir Rassismus aber nur oberflächlich behandeln und nicht die betroffene Psychologie und körperliche Ebene dahinter verstehen, können wir ihn auch nicht bekämpfen.“

„Sie verstehen nicht, dass man gerne etwas tun würde, aber nicht kann. Dass man gerne etwas sagen würde, aber nicht kann. Rassismus besitzt eine so große Gewalt, ohne dass es körperliche Gewalt sein muss.“

In deiner Arbeit beziehst du dich oft auf bell hooks. Ein Ansatz von ihr ist, dass Wut nicht Trauma heile und Schwarze Frauen und Women of Colour somit eine andere Form der Ermächtigung brauchen würden. Würdest du sagen, Critical Wellness ist so eine Form?

„Es ist auf jeden Fall nicht die einzige Form. Für mich ist Critical Wellness eine Lebensentscheidung. Von bell hooks stammt das berühmte Zitat: ,Choosing wellness is an act of political resistance‘ – und das trifft es ganz gut. Ich entscheide mich für mein Wohlergehen und im Mittelpunkt steht meine Entscheidung. bell hooks hat verstanden, wenn sie sich für sich entscheidet, dass sie dann auch die Kraft hat, andere Menschen, Schwarze Frauen und Women of Color, auf ihrem Weg mitzunehmen.“

Eine Wechselwirkung sozusagen.

„Genau! Sie sagt, Wut sei ein Mittel, um zu erkennen, was in der Gesellschaft falsch laufe. Von klein auf wird uns beigebracht, Wut zu unterdrücken, aber erst wenn wir sie annehmen, können wir die Schieflagen im Leben erkennen. Im Laufe ihres Lebens hat sie dann gemerkt, dass sie aber ihre Energie aus der Liebe zieht. Somit braucht man beides – Wut und Liebe. Und Critical Wellness verbindet meines Erachtens beides miteinander.“

„Rassismus wirkt sich auf das Leben Betroffener aus – zerstört und verkürzt es. Die Gesundheit Schwarzer Menschen ist aufgrund von rassistischer Diskriminierung schlechter als die der Mehrheitsgesellschaft. Deshalb ist es so wichtig, Wohlergehen in den Mittelpunkt zu stellen.“

Zusammenfassend ist also das eigene Wohlergehen der zentrale Punkt, um eine Lösung für Rassismus zu finden?

„Wohlergehen sollte ein Querschnittsthema sein und zusammen mit sozialer Gerechtigkeit und politischer Veränderung gedacht werden. Wenn man sich den Aktionsplan zur Bekämpfung von Rassismus und Rechtsextremismus der Bundesregierung anschaut, gibt es viele Maßnahmen, die sich mit der Prävention von Diskriminierung auseinandersetzen. Aber das Wort Gesundheit taucht im Zusammenhang mit Rassismus kein einziges Mal auf. Das darf nicht sein, denn Rassismus wirkt sich auf das Leben Betroffener aus – zerstört und verkürzt es. Das hört sich jetzt krass an, ist aber so. Die Gesundheit Schwarzer Menschen ist aufgrund von rassistischer Diskriminierung schlechter als die der Mehrheitsgesellschaft. Das liegt daran, dass Schwarze Menschen zusätzlich zu den normalen Belastungen des Lebens auf individueller und struktureller Ebene Diskriminierung erfahren. Deshalb ist es so wichtig, Wohlergehen in den Mittelpunkt zu stellen.“

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