Foto: Mateus Lunardi Dutra – Flickr – CC BY 2.0

Alles ist möglich? Warum wir das Freisein erst lernen müssen

Keine Generation ist freier als unsere – und das kann großen Druck erzeugen.

 

„Ich komm nicht voran“

Ich habe mich in der letzten Zeit sehr oft gefragt, warum wir
Menschen – auch wenn wir vermeintlich alle nötigen Mittel und Quellen haben –
so oft auf der Stelle treten, uns nichts trauen, im Stillstand verharren und
glauben, uns in einem Teufelskreis zu befinden.

Ich kenne es von mir selbst und erlebe es sehr oft in meiner Praxis als Coach, dass Menschen, die grundsätzlich mit Potenzial, Ideen, Willen und Motivation ausgestattet sind, nicht den Mut finden, ihre Träume zu verfolgen. Ich weiß, dass dieses Thema in aller Munde ist und dass es inzwischen sehr viel mehr Menschen gibt, die den Schritt in Richtung Selbstverwirklichung und Selbstliebe gehen als noch vor einiger Zeit. Ich bemerke natürlich auch, dass sich die Augen mehr in Richtung USA bewegen, die eine echte ‚Kultur fürs Scheitern’ manifestiert haben – eine Art Fehlertoleranz, über die wir uns in Deutschland doch nur freuen könnten. Gleichzeitig bemerke ich aber auch, dass diese Bewegung bisher doch letztlich nur ein paar wenige mitreißen konnte
und es immer noch viel zu viele Menschen gibt, die tagein tagaus in ihrem Leben
verharren und sich wünschten, den nötigen Mut aufzubringen, um ihr Leben frei zu gestalten, während sie parallel dazu den wenigen Entrepreneurs auf Instagram folgen, die von all diesen Sorgen frei zu sein scheinen. An dieser Stelle möchte ich betonen, dass ich hier aus ganz eigener Erfahrung spreche und wenn ich ehrlich bin, es hat mich eine Menge Arbeit und Kraft gekostet, um aus dieser Dynamik rauszukommen.

Dein neues Mindset: Du bist viel stärker als Du denkst

Aber eine Sache war für mich noch viel wesentlicher als Kraft und Arbeit: Es war meine innere Haltung, eine Art Erlaubnis, die ich mir selbst erteilt habe. „Es ist ok, völlig glücklich sein zu wollen, Lea. Alles ist gut, keine Sorge, Du bist nicht egoistisch und auch nicht faul. Es ist ok, dass Du frei arbeiten und Dich unabhängig von Sollen und Müssen machen willst. Und wenn Du das wirklich möchtest, dann schaffst Du das auch. Du bist viel stärker als Du denkst.“

Meine Erfahrung zeigt: Vielen Menschen geht es wir mir. Es gibt da Träume und Wünsche – und bevor sie zu Ende gedacht sind, kommen blockierende Gedanken dazu: „Wie willst Du das überhaupt machen? Steht Dir das
überhaupt zu? Du bist nicht gut genug dafür! Dafür muss man ein anderer Typ
Mensch sein! Wer sagt mir dann, dass mir das Spaß macht – vielleicht verliere
ich daran auch wieder das Interesse! Und überhaupt – das geht einfach nicht,
ich muss doch auch irgendwie Geld verdienen! Das Café in Berlin eröffnen wollen ja viele, aber man muss ja auch mal vernünftig sein…“

Diese Gedanken lähmen uns. Und wir geben ihnen viel zu oft nach und verhalten uns, als hätten wir ein Zweitleben im Schrank, das wir
notfalls nutzen können, falls das Erste nicht nach unseren Vorstellungen verlief.

Und warum das Ganze? Und was können wir tun?

Neben all den individuellen Gründen gibt es meiner Ansicht nach zwei Hauptgründe, die uns davon abhalten, unser Leben nach unseren ganz eigenen Vorstellungen zu gestalten:

Wir können noch nicht mit unserer Freiheit umgehen. Wir sind die erste Generation, die völlig frei entscheiden kann, was sie machen möchte. Wir können jedes Leben leben, jeden Traum verwirklichen und alles sein, was wir wollen. Wir sind tatsächlich die erste Generation, die weder heiraten noch Kinderkriegen „muss“, die für eine Scheidung nicht verpönt wird, die sich nach Gleichberechtigung im Job sehnt und die nicht von Anfang bis Ende in einem Unternehmen bleibt. Wir sind frei. Eigentlich. Wären da nicht die Blockaden im Kopf, die uns nach wie vor fesseln. Vernunft und Sicherheit sind Tugenden, die uns im Elternhaus wahrscheinlich vermittelt wurden und die sich auch in unseren Köpfen und Herzen gut anfühlen.

Wir kennen bisher nur andere Lebensmodelle von unseren Vorgängergenerationen und wissen vielleicht, was wir daran nicht mögen. Im Umkehrschluss bedeutet das aber nicht, dass wir deshalb wissen, WAS wir wollen. Wir müssen erst lernen, unsere Freiheit zu gestalten, unsere Dämonen zu verjagen und unsere erlernten Tugenden möglicherweise mit neuen – für uns viel passenderen -zu überschreiben oder zu ergänzen.

The most common way people give up their power is by thinking they don’t have any. 

Dieses Zitat von Alice Walker hängt über meinem Schreibtisch. Weil ich genau in diese Falle getappt bin. Ich habe mich machtlos gefühlt, weil ich mir selbst keine Macht (im Sinne von Handlungsfähigkeit) zugetraut habe. Frauen tappen durchschnittlich sehr viel häufiger in genau diese Falle und trauen es sich nicht, mehr von ihrem Leben zu fordern. Doch wir kommen nur so weit, wie es unsere selbstgestrickte Leine zulässt. Und wenn wir glauben, dass unsere Meinung, unsere Arbeit, unsere Gedanken, unsere Inspiration und unsere Wünsche ohnehin nichts bewirken oder verändern könnten, dann vergeben wir unsere Macht und unsere Möglichkeiten, ohne sie je genutzt zu haben. Und das sollten wir immer wieder kritisch hinterfragen. Denn jeder noch so kleine (Tanz-) Schritt zählt.

Titelbild:  Mateus Lunardi Dutra – Flickr – CC BY 2.0

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