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Sehr geehrter Herr Thorborg, ich denke nicht in Freund und Feind

Gibt es Frauen, die qualifiziert wären für die Vorstände der DAX 30-Unternehmen und wann? Wir fordern den Perspektivwechsel.

 

Wer schafft es an die Spitze und wann?

In einem offenen Brief schrieb ich Ihnen vor einigen Wochen, dass ich Ihrer Argumentation, es sei in den nächsten zehn Jahren keine Frau in Deutschland qualifiziert genug, um als CEO im DAX 30 zu arbeiten, nicht folgen kann.

Sie nutzten die Möglichkeit, in Ihrer Kolumne bei unserem Content-Partner manager-magazin.de zu antworten. Über diese Offenheit freuen wir uns sehr, weil wir die Debatte zu diesem Thema für wichtig halten.

Vorweg möchte ich ausdrücklich sagen: Natürlich glaube ich nicht, dass Weiblichkeit allein für den Vorstand qualifiziert. Und ich maße mir auch nicht an abschließend zu beurteilen, ob es Fehlbesetzungen in den DAX-30-Vorständen gab. Ich halte auch nicht grundsätzlich jeden für einen Verräter, der nicht unter allen Umständen für die Frauen eintritt. Ich sehe die Welt nicht schwarz und weiß und das Geschlecht oder die Herkunft allein qualifizieren nicht für einen Job. Es gibt schlechte weibliche Führungskräfte, genauso wie schlechte männliche.

Mit Ihrer Argumentation, dass sie in vielen Fällen keineswegs den betroffenen Frauen die Schuld an ihrem Scheitern geben, sondern vielmehr den betroffenen Unternehmen, sagen Sie jedoch weiterhin aus, dass die Frauen nicht geeignet waren. „Viele dieser Frauen wären als Mann mit demselben Lebenslauf nie eingestellt worden, denn statt unangreifbarer Kompetenz war bei diesen Personalentscheidungen das Geschlecht vorrangiges Kriterium“, schreiben Sie in Ihrem Brief. Natürlich ist es eine Gefahr, wenn Unternehmen Abstriche bei der Qualifikation machen, nur um bestimmte Gender-Quoten zu erfüllen, allerdings bin ich tatsächlich überzeugt, dass es für fast jede Position in Deutschland sowohl geeignete weibliche, als auch männliche Bewerber gibt.

Ihre Aussage, dass es in den nächsten zehn Jahren keine Frau als CEO im DAX geben kann, weil keine Frau qualifiziert genug ist, ist für mich weiterhin das größte Ärgernis. Ich empfinde diesen Kommentar tatsächlich als Anmaßung, alleine schon deshalb, weil Sie mit Sicherheit nicht die Qualifikationen jedes Topmanagers und jeder Topmanagerin, die derzeit in der Aufbauphase sind, hinreichend einschätzen können. Ihre Pressetstatements könnten zudem dazu führen, dass mittlerweile die ein oder andere Topmanagerin einen Bogen um Sie macht.

Niemand sagt, dass jemand, der nicht qualifiziert ist, in einem DAX-Vorstand arbeiten sollte. Das gilt für mich übrigens in jeder Position, auch Praktikanten sollten qualifiziert sein. Sie wollen Ihre Überzeugung jedoch weiter untermauern, aus dem Bereich Personal oder Finanzen könne man nicht zum CEO werden, allerdings haben es schon in vielen Firmen CHROs zum CEO geschafft. Warum sollte das im DAX nicht möglich sein?

Mit keinem Wort erwähnen Sie, dass viele männliche „Entscheider“ Qualifikation nach männlichen Kriterien bewerten und dass deswegen in diesen Firmen die eigenen Frauen erst gar nicht die Chance zum Aufstieg bekommen. Noch immer spielen Familienverhältnisse von Frauen oder die fehlende Platzreife eine Rolle beim Blick auf Talente. Es gibt unzählige wissenschaftliche Untersuchungen dazu. Namhafte Kollegen von Ihnen wie der Personalberater Hermann Sendele haben schon mehrfach auch öffentlich angeprangert, dass die Frauen konsequent geschädigt und rauskatapultiert werden, durch männliches Machtgehabe und Machtspiele. „Es ist ein Klischee, dass kaum weibliche Führungskräfte zu finden sind”, sagte Sendele im Interview mit Spiegel Online. Auch wenn ich mir selbst kaum vorstellen kann, dass es ähnlich schwierig ist, Männer für Vorstände zu finden wie Frauen, wie Sendele sagt, gehe ich bei dieser These Sendeles mit ihm: Laut Sendele steckt hinter dem vermeintlichen Frauenmangel ein Wahrnehmungsproblem. „Man muss diesen Männerblick überwinden“, sagte er im Interview weiter.

Bereits heute gibt es im Top- und im mittleren Management von Unternehmen zahlreiche vielversprechende Frauen, einige von ihnen sind schon heute für einen CEO-Posten qualifiziert, viele wird man in den kommenden zehn Jahren aufbauen können. In Deutschland sind heute rund 50 Prozent aller Studienabsolventen weiblich, die meisten weiblichen Absolventen machen bessere Abschlüsse, in den Einstiegpositionen der Topfirmen stehen heute bereits viele Unternehmen bei 50 Prozent weiblichen Mitarbeitern. Wie kann ein mit Vernunft ausgestatteter Mensch dann sagen, dass auch in den kommenden zehn Jahren alle Frauen schlechter qualifiziert sein werden als Männer? 

Zehn Jahre sind eine verdammt lange Zeit, in der sich alle DAX-Unternehmen großen Herausforderungen wie der Digitalisierung stellen müssen. Hier wird viel Raum entstehen für Vorstandsmitglieder unter 50 Jahren. Das ist in Zukunft auch eine Chance für jüngere CEOs, männliche und auch weibliche. Es wird Zeit, die Machtspiele großer Jungs in eine andere Führungs- und Unternehmenskultur zu überführen. Das hat für mich nichts mit der Quote zu tun, für die ich selbst gar nicht unbedingt bin, sondern mit einem Perspektivwechsel.

Herr Thorborg, Sie können noch so viele schöne Worte benutzen: Sie schaden uns Frauen und dem Thema mit ihren Pauschalisierungen sehr und damit auch den Unternehmen und unserer Wirtschaft.

Schade ist es jedoch vor allem um die qualifizierten Frauen, die Sie in Ihrem Netzwerk gesammelt haben. Von denen wird aus Ihrer Sicht in abseharer Zeit ja keine CEO. Warum haben Sie Ihr Netzwerk dann eigentlich Generation CEO genannt?

Und weil wir an Ihre These nicht glauben, werden wir mit EDITION F ab Mitte April auf die Suche gehen nach den 25 Frauen, die bis 2025 DAX-CEO werden. Gemeinsam mit unseren Nutzern und gerne auch mit Ihnen als Teil unserer Jury.

Über eine Antwort von Ihnen freue ich mich.

Herzliche Grüße,

Nora-Vanessa Wohlert

 

Zum 1. offenen Brief von Nora geht es hier.

Zur Antwort von Heiner Thorborg geht es hier.

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