In der 53. Folge unseres Podcasts „Echt & Unzensiert“ spricht Schauspieler Malick Bauer über toxische Männlichkeit und die Herausforderung, alte Rollenbilder aufzubrechen.
Gerade ist Malick Bauer in dem Kinofilm „Wunderschöner“ von Karoline Herfurth zu sehen. Er spielt einen Pädagogen, der eine Arbeitsgruppe zum Thema toxische Männlichkeit leitet. Malick erzählt im Podcast, warum vielen Männern das Sprechen über Gefühle schwerfällt, wie Sozialisierung unser Männerbild prägt und warum echte Veränderung nötig ist.
Wir diskutieren, inwiefern das Patriarchat nicht nur Frauen, sondern auch Männer einschränkt – und warum es mehr Männer braucht, die sich für ein neues, gesundes Männlichkeitsbild einsetzen. Ein offenes, ehrliches Gespräch über Stärke, Verletzlichkeit und ein Miteinander auf Augenhöhe.
Die ganze Podcastfolge hört ihr über einen Klick ins Titelbild oder eingebettet unten im Artikel und natürlich überall dort, wo es Podcasts gibt. Einen Ausschnitt aus dem Gespräch mit Malick lest ihr hier.
Lieber Malick, wie schätzt du die Repräsentation von Menschen mit Migrationshintergrund in der deutschen Film- und Fernsehwelt ein?
„Etwa 30 Prozent der Gesellschaft haben einen Migrationshintergrund. Wenn wir das deutsche Fernsehen betrachten – besonders das öffentlich-rechtliche, das wir mit unseren Gebühren finanzieren – stellt sich schnell die Frage: Sehen wir auch dort in jeder dritten Rolle eine Person mit Migrationshintergrund? Ich glaube nicht.
Warum ich das so mathematisch betrachte? Weil es wichtig ist, die demografische Realität abzubilden. In den letzten Jahren, vor allem nach der Black-Lives-Matter-Bewegung, hat sich einiges getan. Doch trotz der positiven Entwicklung sind wir noch weit von einer echten Repräsentation entfernt.“
Kritiker*innen werfen ‚Wunderschöner‘ vor, nicht ausreichend divers besetzt zu sein. Wie stehst du dazu?
„Das kann ich so anerkennen. Aber ich glaube, dass das absolut gesehen wird. Ich würde sogar sagen, dass meine Rolle in diesem Film eine der progressivsten ist, die ich bisher spielen durfte.
Als Schauspieler erlebe ich immer wieder, dass Menschen mir sagen: „Cool, dich mal dreidimensional als Mensch sprechen zu hören. Du wirkst manchmal ziemlich einschüchternd.“ Und dann frage ich mich: Warum eigentlich? Klar, ich bin 1,95 Meter groß und wiege 110 Kilo. Aber ich habe weder einen bedrohlichen Blick noch laufe ich 90 Prozent der Zeit mit grimmigem Gesicht herum. Dennoch werde ich – als Schwarzer und kräftiger Mann – oft auf eine bestimmte Weise eingeordnet.
Vor ein paar Monaten ging ein Meme viral: ‚Wem würdet ihr lieber nachts im Wald begegnen – einem Mann oder einem Bären?‘ Und einige Frauen sagten: ‚Ich nehme den Bären.‘ Wir alle wissen, was das bedeutet. Ich werde nie erfahren, wie es ist, nachts mit einem Schlüssel zwischen den Fingern durch die Straßen zu gehen. Aber diese Realität existiert.
Dass Karoline Herfurth mich für eine Rolle besetzt hat, in der ich einen Mann spiele, der wie ich aussieht, aber gleichzeitig jungen Männern zeigt, wie sie über äußere Zuschreibungen hinauswachsen und ein heilender, positiver Mann sein können, bedeutet mir viel. Trotzdem verstehe ich den Punkt der Kritik vollkommen.“
In ‚Wunderschöner‘ spielst du einen Coach, der jungen Männern hilft, toxische Muster zu überwinden. Was bedeutet der Begriff ‚toxische Männlichkeit‘ für dich persönlich?
„Das Problem mit diesem Begriff ist, dass er teilweise aus einem amerikanischen Kriminalkontext stammt, insbesondere im Zusammenhang mit Gefängnissen. In solchen extremen Umfeldern entwickeln sich oft dominante und destruktive Verhaltensmuster, die bis hin zu Gewalt reichen können.
Toxische Männlichkeit zeigt sich allerdings nicht nur in diesen extremen Fällen. Es gibt auch gesellschaftliche Verhaltensmuster – individuell, strukturell und patriarchal geprägt – die auf subtile Weise genauso schädlich sind. Und genau hier müssen wir ansetzen.
Also, wie können wir als Männer – in einer Welt, die uns viele Türen als erstes öffnet – lernen, diese Privilegien zu hinterfragen und uns aus dieser Passivität zu befreien? Wie können wir gewisse Strukturen abbauen, Frauen und anderen Menschen anders begegnen und Räume für alle schaffen?
Gleichzeitig wird der Begriff ‚toxische Männlichkeit‘ meiner Meinung nach viel zu inflationär verwendet.“
Was stört dich daran?
„Was mich stört ist, dass nicht immer klar zwischen den verschiedenen Formen von Männlichkeit unterschieden wird. Toxische Männlichkeit existiert – das lässt sich nicht leugnen. Aber ich bin auch der Typ, der, wenn ich mit einer Bekannten unterwegs bin und wir zufällig in die gleiche Richtung fahren müssen, sagt: ‚Steig bei mir ins Auto, ich fahre dich nach Hause.‘ Und dann bleibe ich auch vor ihrer Haustür stehen, bis sie sicher drinnen ist.
Als Männer müssen wir lernen, zu unterscheiden: Was ist wertvoll und beschützend, und was ist einnehmend, kontrollierend und schädlich? Das erfordert Achtsamkeit.“
Mit welchem Verständnis von Männlichkeit bist du groß geworden?
„Mein Vater war leider nicht wirklich präsent, und dann kam mein Stiefvater in mein Leben. Er war wahnsinnig unproduktiv. Es gab viel Gewalt zwischen ihm und meiner großartigen Mutter, und wir mussten oft ins Frauenhaus fliehen. Das hat mich natürlich stark geprägt.
Ich habe so viel häusliche Gewalt gegen Frauen erlebt, wie es ein Mann nur erleben kann, weil ich natürlich ein Teil meiner Mutter war und gesehen habe, was das mit ihr gemacht hat – auch Jahrzehnte später. Diese Erfahrungen waren in gewisser Weise, ich sage es mal zynisch, ein gutes Negativbeispiel.
Gleichzeitig habe ich verstanden, wie ein Mann sich als Vater verhalten sollte, auch außerhalb der Beziehung zur Mutter. Es sollte möglich sein, auch nach einer Trennung eine aktive und unterstützende Rolle im Leben des Kindes zu spielen.
Neben diesen Negativbeispielen habe ich aber auch viel von den Männern gelernt, die später in mein Leben traten. Wir suchen uns irgendwann unsere Vorbilder – sei es in der Popkultur, bei den Vätern von Freunden oder bei Lehrern, die uns begegnen. Es ging mir immer darum, bei den Leuten anzudocken, die einen ganz anderen Ansatz hatten und von denen ich etwas lernen konnte.
Gleichzeitig gibt es viele traditionelle Werte, die ich nach wie vor sehr wertvoll finde. Aber es ist wichtig, den toxischen Teil abzutrennen und das Positive herauszuziehen, um zu einem gesunden und förderlichen Verhalten zu gelangen.“
War das ein längerer Prozess für dich, toxische Verhalten in dir selbst zu hinterfragen und zu eliminieren?
„Total. Wenn ich an meine Jugend denke, war ich definitiv auch oft schwierig und unangemessen. Das würde ich niemals abstreiten. Aber irgendwann musste ich lernen, mein Verhalten zu hinterfragen – und das tue ich immer noch.“
An welchem Verhalten musstest bzw. musst du denn besonders arbeiten?
„Als jemand, der Anwalt oder Schauspieler werden wollte, hat man natürlich eine gewisse Sprachgewalt, die auf andere einprasseln kann. Ich musste lernen, in den richtigen Momenten zurückzuziehen und mich zurückzuhalten, statt ständig mit Argumenten um mich zu schießen. Da geht es nicht nur um Mansplaining, sondern auch darum, dominant zu sprechen. Das ist immer noch ein Prozess, aber ich versuche, das zu reflektieren.“
Wie sollte man deiner Meinung nach mit Menschen umgehen, die toxisches Verhalten an den Tag legen?
„Was mich stört, ist, dass wir oft Menschen einfach wegwerfen, statt sie in einem Prozess zu begleiten. Ich finde es viel schöner, wenn in einem Film oder im echten Leben nicht einfach jemand ‚weggecancelt‘ wird, sondern das Kollektiv einen Weg findet, diese Person zu regulieren. Ich glaube, es ist nicht immer effektiv, Menschen von heute auf morgen zu dämonisieren. Denn die, die wir dämonisieren, finden oft nur ihre Gleichgesinnten und radikalisieren sich noch weiter.
Das sieht man auch im Zusammenhang mit Covid. Die Art und Weise, wie wir mit den zweifelnden Stimmen umgegangen sind, hat uns letztlich nicht geholfen. Leute, die Bedenken hatten, wurden schnell als ‚Schwurbler‘ abgestempelt, und das hat mich genervt. Auch ich habe mich irgendwann impfen lassen, obwohl ich anfangs nicht ganz überzeugt war. Aber die Art, wie man Menschen abwertet, statt in den Dialog zu gehen, ist problematisch. Es gibt natürlich Grenzen, da muss man sagen: ‚Das reicht jetzt.‘ Aber es gibt auch Situationen, in denen man eher in eine Art Gruppenarbeit gehen sollte, statt einfach zu sagen: ‚Das geht nicht.‘“
Viele Männer lernen nie, wirklich Zugang zu ihren eigenen Gefühlen zu finden, weil Emotionen oft als Schwäche angesehen werden. Inwiefern versuchst du, hier ein Vorbild zu sein?
„Ich habe in meiner Kunst und meinen Figuren immer eine große Ermächtigung zum Gefühl, wenn das irgendwie Sinn macht. Denn ich glaube, dass es wahnsinnig heilsam ist, Bilder von Emotionalität – und besonders auch von männlicher Emotionalität – zu erzeugen.
Das Feedback, das ich diesbezüglich von Männern bekomme, macht mich wahnsinnig stolz. Männer rufen mich an, schreiben mir oder schicken Sprachnachrichten und sagen: ‚Ich habe geheult wegen dem und dem Ding. Ich kenne das genau so.‘ Und das ist das, was ich so wichtig finde.
Ich habe schon Jungs daran verloren, die in dieser Welt untergegangen sind – zwischen dem, was sie glaubten, darstellen zu müssen, und dem, was sie tatsächlich fühlten und erlebten.“
Die Selbstmordrate bei Männern ist tatsächlich dreimal so hoch wie bei Frauen.
„Das ist ja das Ding: In diesen ganzen patriarchalen Strukturen und Denkmustern gibt es überhaupt keinen Platz für männliche Emotionalität. Das nervt mich auch manchmal, wenn ich mit so Basic-Feministinnen rede, die es nicht verstanden haben – die denken, dass Männer wahnsinnig doll vom Patriarchat profitieren. Ja, einige Männer profitieren maximal davon. Nicht alle!
Erzähl mal dem Bauarbeiter auf der Straße, der 14 Stunden am Tag arbeitet, dass er der Patriarch ist. Viel Erfolg! Natürlich gibt es gewisse Kontexte und Räume, in denen das zutrifft, und vielleicht hast du auch Angst, ihm nachts auf der Straße zu begegnen. Aber es ist nicht so, dass diese Systeme geschaffen wurden, damit alle Männer ‚Yuhu!‘ schreien. Einige wenige profitieren massiv davon – und da stellt sich wieder die Frage: Warum ist das so?“
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Bei „Echt & Unzensiert“ beleuchtet Host Tino Amaral gemeinsam mit Expert*innen und Betroffenen vermeintliche Tabuthemen, macht auf Missstände aufmerksam und gibt Denkanstöße, die deinen Blick auf die Welt für immer verändern werden. Auch einige Promis haben bei ihm schon private Einblicke gegeben und wichtige Erkenntnisse geteilt. Welches Thema würdest du gerne mal hören? Lass es uns bei Instagram wissen!
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