Sex sells – denkt sich die Werbeindustrie und produziert geschlechterdiskriminierende Werbung. Stevie Schmiedel von Pinkstinks kämpft dagegen.
Brüste wohin der Blick geht
„Die Grillsaison ist eröffnet!“, verkündete LIDL im April auf seiner Website, und preiste dort ein Fassbier der Eigenmarke „Grafenwalder“ an, auf das eine Frau gezeichnet war, deren Körper ab den Brüsten aufwärts abgeschnitten war. Beschriftung: „Fass mich an!“.
Gegen diese Art von geschlechterdiskriminierender Werbung geht Dr. Stevie Meriel Schmiedel, Genderforscherin und erste Vorsitzende von Pinkstinks Germany, vor: Mit Online-Aktivismus, Demos, Jugendtheater und Lobbyarbeit. „Wir sind ein Mainstream-Phänomen“, betont Schmiedel. „Man muss keine Feministin oder Genderforscherin sein, um von sexistischer Werbung genervt zu sein.“ Sie hat sich bewusst für eine nicht-akademische Form des Engagements entschieden. „In der Genderforschung sind viele schlaue Sachen geschrieben worden, die kein Mensch versteht. Ich will die Leute da abholen, wo sie stehen, auf eine laute, fröhliche, bunte Art.“ Ein paar Stunden, nachdem „Pinkstinks“ auf seiner Facebook-Seite zum Shitstorm aufrief, wurde die Werbung auf der Website entfernt. Die Fässer kamen in den Handel, LIDL versprach aber, das Motiv nicht mehr nachzuproduzieren.
Bild: Pinksticks-Demo. Fotograf: Gunter Glücklich
Gegen die „Pinkifizierung“
Die Britin Schmiedel gründete Pinkstinks Germany 2012 nach einem Interview in der Zeit, in der sie die Frage aufwarf, was RTL-Plakate zur „Wanderhure“ oder Sendungen wie „Germany’s Next Topmodel“ eigentlich mit jungen Mädchen und ihrem Selbstbild anrichten. Die Kampagne Pinkstinks wurde 2008 in Großbritannien von Emma und Abi Moore gegründet und engagiert sich gegen die „Pinkifizierung“ von Mädchen in der Werbung. „Gegen Pinkifizierung zu sein heißt nicht, dass rosa dumm macht oder verboten werden sollte“, so Schmiedel. „Aber wir sind gegen Werbung, die Frauen auf ein stereotypes Rollenbild festlegt, auf ihre sexuelle Verfügbarkeit reduziert oder sie sonst in irgendeiner Weise herabwürdigt.“ Dazu gehören zum Beispiel T-Shirts des Otto-Versands, auf denen „In Mathe bin ich Deko“ steht, und die es nur als „Mädchen-T-Shirt“ gibt. Auch diese wurden nach einem von Pinkstinks initiierten Shitstorm aus dem Handel gezogen. Gegen die Ferrero-Überraschungseier zur Fußball-WM, die es für Jungs mit der Beschriftung „Weltmeister“ und für Mädchen mit der Beschriftung „Spielerfrauen“ gibt, engagiert man sich weiterhin.
Das berühmte Augenzwinkern kann Stevie Schmiedel in der LIDL-Werbung nicht erkennen. „Ein Drittel aller jungen Mädchen leidet heutzutage unter Essstörungen“, führt die Mutter von zwei Töchtern an. „Und eine Studie der Marquette University in Milwaukee hat kürzlich ergeben, dass erschreckend viele junge Mädchen sexuelle Gewalt als normal empfinden.“ Sie macht die Werbung mitverantwortlich für solche Entwicklungen. „Wenn ständiges Wachstum nur mit Gender-Marketing möglich ist, dann sollen die Firmen wenigstens Konzepte entwickeln, unter denen Kinder und junge Menschen nicht leiden müssen“, ist ihr Appell. Die Diskussionsbereitschaft der Werbewirtschaft sei aber durchaus vorhanden: „Klar, manchmal beschweren sich die Branchenzeitschriften wie Horizont darüber, wie sehr wir nerven. Aber gerade mit dem Werberat, und auch mit vielen Firmen, führen wir einen sehr konstruktiven Dialog.“
Shitstorms von Machos und von Feministinnen
Weniger konstruktiv ist der Gegenwind im Netz, mit dem Schmiedel und ihr Team tagtäglich konfrontiert sind. Und der kommt nicht nur von Männern, „die uns schreiben, dass wir verbitterte, hysterische Frauen sind, die einfach nur mal richtig durchgevögelt werden müssen“, sondern auch aus dem feministischen Lager. „Ich verstehe mich dezidiert als Feministin, aber es gibt sehr viele Arten, wie man Feminismus verstehen kann“, betont Schmiedel, die anlässlich des Frauentages am 8. März einen angenehm unaufgeregten Text über die „Frau im Feminismus“ auf Pinkstinks.de veröffentlicht hat. „Für mich ist es ein Wort, das für Gleichberechtigung steht, und die erreichen wir nur, wenn wir auch die Männer mit ins Boot holen.“ Pinkstinks ist die erste Frauenrechtsorganisation, die paritätisch besetzt ist. Das schließt sie aus vielen Förderungstöpfen aus und sorgte schon für einigen Unmut bei anderen Feministinnen.
Pinkstinks organisiert Shitstorms und schreibt bissig und provokant über geschlechterdiskriminierende Werbung. Aber Stevie Schmiedel setzt sich auch in Radiosendungen und erklärt höflich, dass die Genderforschung nicht zum Ziel hat, Männern zu verbieten, sich in Frauen zu verlieben. „Nur Protest geht nicht, nur nett und freundlich auch nicht. Es muss eine gesunde Mischung aus beidem sein“, findet sie. „Ich möchte die Leute empören und sie in ihren Ängsten vor der Gleichberechtigung ernst nehmen. Dazu gehört auch, dass ich freundlich bin, lächle, und meine Haare nicht kurz schneide, obwohl ich mir das seit Jahren vornehme.“ Und dazu gehört auch, LIDL, Ferrero und Konsorten auf Pinkstinks.de auch mal mit sehr deutlichen Worten anzugehen.