Foto: José Antonio Gil Martínez – Flickr – CC BY 2.0

Warum ich jedem empfehle, einmal den Jakobsweg zu gehen

Wie schafft man es, den Kopf einmal richtig frei zu kriegen? Für Robin war die Antwort der Jakobsweg. Was er dabei gelernt hat, hat er für unseren Partner Jobspotting aufgeschrieben.

 

Robin Haak, Mitgründer von Jobspotting, hat den Jakobsweg genutzt, um sich selbst wieder näher zu kommen.

Zurück auf Null

Kennst du diese Gefühle? 60 Minuten Yoga, um den Moment zu genießen, wenn du danach noch ein wenig liegst? 15 Minuten Sauna mit 3 Aufgüssen, um auf der Liege beim Abkühlen zu entspannen? Zehn Kilometer in 40 Minuten laufen, um alles auszuschwitzen und sich auf die kalte Dusche danach zu freuen?

Jeder braucht Entspannung. Nur sind wir alle keine Shaolin-Mönche, die sich mal eben in einen meditativen Zustand versetzen können. Wir brauchen einen Trigger, um ein wenig Wasser aus dem vollen Glas abschöpfen zu können. Wer das nicht tut, dessen Glas läuft über. Jedem bleiben ein paar Reserven, auf die er zurückgreifen kann. Doch wenn die aufgebraucht sind… Tja, dann fällt man um und dann war es das eben.

Mein Glas war immer voll, meine Reserven gingen zur Neige. Ich hatte zwei große Probleme: Ich habe immer Dinge für andere getan und mich an dem orientiert, was andere für gut und richtig hielten. Glück aber ist Definitionssache und sollte von innen kommen.

Auf dem Jakobsweg bin ich das erste Mal aus dieser Spirale herausgekommen. Er ist nicht nur eine Möglichkeit, Wasser abzuschöpfen, sondern das Glas einmal komplett auszuleeren und zu definieren, wohin der eigene Weg einen eigentlich führen soll.

Einfach drauf los

Einen guten Start hatte mein erster Camino allerdings nicht. Ich hatte nichts darüber gelesen, einfach irgendwelche Sachen eingepackt und wusste nur, dass es in St. La Pied de Port losgeht.

Langer Rede kurzer Sinn: dort gestrandet, zu spät aufgestanden, im Nebel verlaufen, durch strömenden Regen und Schnee gekämpft, zu wenig Nahrung, zu wenig Wasser, aus dem Trog der Schafe getrunken – bis ich am ersten Tag mit 39 Grad Fieber umdrehen musste. Das ging ungefähr fünf Tage so weiter. Ich wanderte 45 Kilometer pro Tag und lief mir einfach alles von der Seele.

Der Turnaround kam jedoch schnell. Es hörte auf zu regnen, ich wurde gesund und lernte tolle Menschen kennen. Ich kann verstehen, dass man sich wundert, warum man 900 Kilometer über Berge und Steppen marschiert. Doch am Ende war es das Beste, was ich je für mich getan habe. Ich habe auf dem Camino zu mir selbst gefunden und war um viele Gedanken leichter. Jeden, der mal nicht weiter weiß, kann ich nur dazu ermutigen, den Weg zu gehen.

Die Menschen

Auf dem Jakobsweg bist du alleine und doch nicht einsam. Wer reden möchte, der redet. Wer schweigen will, der schweigt. Smalltalk habe ich nie geführt, eher tiefgehende Gespräche mit Menschen, die wie ich auf der Suche waren. Man hilft sich gegenseitig, spendet Kraft und Mitgefühl. Einen meiner besten Freunde habe ich auf dem Camino kennengelernt.

Der Weg

Am Anfang denken viele, sie müssten einfach ihre Meter machen. Irgendwann erkennt man, dass die Kontinuität einen genauso ans Ziel bringt – und das ohne Blasen. Konditionell schafft es jeder, aber irgendwann zwickt’s im Knie oder in der Hüfte. Das gehört dazu. Das Entscheidende ist, dass man sich einfach alles von der Seele läuft und irgendwann den Punkt erreicht, an dem man an Orten anhält, die schön sind, eine Pause für ein kleines Picknick einlegt oder einfach eine Stunde an einem Brunnen sitzt.

Was man zu erwarten hat

„Der Weg gibt einem nicht, was man sucht, sondern was man braucht.“ Wer den Jakobsweg geht, verbringt eine Menge Zeit alleine und lernt viel über sich. Als ich am Cruz de Ferro einen Stein niederlegte als Symbol für etwas, das ich hinter mir lassen möchte, habe ich mich nie leichter gefühlt.

Santiago? Einfach nur beeindruckend und voller Liebe

Finisterre – das Ende der Welt? Unbeschreiblich. Es fühlt sich ein bisschen an wie in der Matrix, wenn abends die Sonne untergeht. Als ob man sich nur nach hinten fallen lassen müsste, fallen und fallen und fallen würde, um irgendwann in der ‘Realität’ wieder aufzuwachen.

Wie sieht ein typischer Tag aus?

Die Schlafsäle der Herbergen teilt man sich mit 5 bis 60 Leuten (ja, 60!) und schläft gut. Ehrlich! Wer 25 bis 30 Kilometer gewandert ist, der schläft einfach. Die ersten Wanderer rühren sich um fünf Uhr morgens. Ich wurde meist gegen 8:30 Uhr geweckt und bin um 9 Uhr ganz entspannt als Letzter losgezogen. Der Tag startete häufig mit einem Café con leche in der Sonne am Fluss oder, wenn der Sternenhimmel zu sehen war, bei Sonnenaufgang auf den Feldern. Um ein Uhr gibt es Mittagessen, denn du hast richtig Schmacht. Manchmal habe ich mich einfach mit Früchten, Brot und Käse an einen Brunnen, einen Bach oder auf einen Baum gesetzt. Zwischen vier und fünf habe ich dort angehalten, wo ich es am schönsten fand. Ich habe meine Sachen abgelegt, die wunderschönen alten Städte erkundet und abends mit den Pilgern gegessen. Sieben Euro, drei Gänge, Wein und Wasser gratis dazu. Ich bin erst zur Sperrstunde ins Bett, wir haben Salsa getanzt, Karaoke gesungen, lange Gespräche geführt. Und das Glück, das baut sich irgendwie von Tag zu Tag auf.

Wer gedanklich feststeckt, wer zur Ruhe kommen oder neue Kraft tanken will, dem kann ich nur empfehlen: Geh den Jakobsweg. Und damit du einen besseren Start erwischt als ich, wirf vorher einen Blick auf meine Packliste. Dann kann eigentlich nichts mehr schief gehen.


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