Auf Social Media geben sich Neid und Bewunderung täglich die Hand. Natürlich gönnt man guten Freunden den Traumurlaub, dennoch schmerzt der ständige Vergleich. Kann man neidisch und trotzdem achtsam sein?
Niemand möchte gerne neidisch sein
Neid ist Nummer sechs der sieben Todsünden und ein Gefühl, das sich niemand gerne eingesteht. Gute Menschen sind schließlich nicht missgünstig, oder? Das Gefühl ist tief in uns verankert und aus evolutionsbiologischer Sicht äußerst nützlich. Professor Antonio Cabrales von der Carlos Universität in Madrid geht sogar davon aus, dass Neid uns in den Genen liegt. Schon früh in der Menschheitsgeschichte ging es darum, mehr als andere zu haben, denn nur so konnte man überleben.
Mittlerweile leben wir in einem Zeitalter des Überflusses, trotzdem ist der Wettstreit um besonders begehrte Ressourcen nicht überflüssig geworden. Ganz im Gegenteil. Ständig wird er befeuert durch Soziale Netzwerke, die heutzutage den ständigen Vergleich ermöglichen. Neben Prominenten und Influencer*innen vergleichen wir uns aber immer noch am liebsten mit unserem eigenen Umfeld. Besonders schwierig wird es, wenn wir plötzlich auf nahestehende Menschen neidisch werden. Aber warum werden wir überhaupt neidisch?
In diesem Artikel erklären wir den Unterschied zwischen „gutem” und „schlechtem” Neid und geben Praxistipps, wie wir uns von Missgunst befreien können.
Ich will das, was du hast
Fast jede*r zweite Social-Media-Nutzer*in weiß, was sich hinter dem Begriff „Influencer*in” verbirgt und jede*r Fünfte folgt selbst mindestens einem Social-Media-Star. In der Altersgruppe der 14- bis 29-Jährigen ist es sogar fast jede*r Zweite! Influencer*innen lassen uns an ihrer Welt teilhaben, gleichzeitig wissen wir aber, dass uns diese nicht zugänglich ist. Gerade junge Menschen laufen Gefahr der inszenierten Perfektion nachzueifern und orientieren sich langfristig an falschen Idealen. Sozialpsychologin Vera King sieht das Phänomen ebenfalls kritisch:
„Es gibt schon länger einen Selbstoptimierungswahn. Das Sich-Vergleichen kann in diesem Zusammenhang ein gesundes Maß überschreiten. Denn wird das Ideal nicht erreicht, stellen sich Unzufriedenheit oder sogar Trauer und Wut ein.”
Doch nicht nur der Protz von Influencer*innen macht uns neidisch, sondern auch Dinge, die erreichbar scheinen. Wenn wir Menschen beneiden, die uns nahestehen, fällt es uns besonders schwer, sich das Gefühl des Neids einzugestehen. Klar kratzt es am Selbstbewusstsein, wenn der*die beste Freund*in den scheinbar perfekten Job findet, während man selbst bereits das dritte Praktikum absolviert. Oder wenn der*die Kolleg*in nach kurzweiliger Suche seine*ihre Traumwohnung bezieht, obwohl man selbst seit Monaten keine Besichtigung verpasst hat. Für diese Gefühle sollten wir uns keinesfalls verurteilen. Dr. Rolf Haubl, Professor für Soziologie und Sozialpsychologie an der Goethe-Universität Frankfurt, beschreibt Neid als ein neutrales Gefühl, für das wir uns nicht schämen sollten:
„Ich sehe das von mir begehrte Gut im Besitz eines anderen und muss mit der Tatsache fertig werden, dass ich dieses Gut nicht bekommen kann.”
Nach Haubl ist es entscheidend, ob man das Gefühl anschließend in positiven Neid umwandeln kann. Ein Unterschied, mit dem sich nicht nur Emotionspsychologen, sondern auch Wirtschaftsexperten, zunehmend beschäftigen.
Wenn Neid produktiv macht
Persönlich bewerten wir Neid als ein schlechtes Gefühl, Psycholog*innen hingegen unterteilen Neid in gut und böse, bzw. schwarz und weiß. Dr. Haubl ist ebenfalls der Meinung, dass Neid Ehrgeiz stimulieren und so durchaus produktiv sein kann.
Auch Sozialpsychologin Katja Corcoran bezeichnet Neid als eine „soziale Emotion mit negativem Image”, die nicht per se schlecht ist. Laut der Psychologin spornt uns guter Neid an und motiviert sogar zu besseren Leistungen. Thomas Mussweiler, Professor für Organisationspsychologie an der London Business School, bezeichnet guten Neid ebenfalls als eine „Spielart des Vergleichs”, die wir brauchen, um uns selbst einschätzen zu können.
Während positiver Neid eine aktivierende Wirkung haben kann, macht negativer Neid unglücklich und schlägt meist in Missgunst um. Missgunst entsteht aus dem Gefühl, die andere Person habe ihren Erfolg nicht verdient, oder aus dem Anspruch, immer besser sein zu wollen als andere. Missgunst hängt aber vor allem davon ab, wie hoch das eigene Selbstwertgefühl ist. Denn wer über ein geringes Selbstwertgefühl verfügt, kann anderen nur schwer gönnen, was einem selbst versagt ist.
Mit Selbstvertrauen gegen Missgunst
„Menschen, die permanent mit dem Gefühl aufwachsen, zu wenig zu bekommen, tendieren eher zu Neidgefühlen”, sagt Professor Haubl. Ein gesundes Selbstbewusstsein schützt uns also vor Neid. Denn wer selbstbewusst ist, verliert nicht so schnell den Blick für die eigenen Erfolge und lässt sich durch den Vergleich mit anderen nicht gleich in eine negative Gedankenspirale stürzen.
Achtsamkeit kann dabei helfen, Gefühle von Neid und Missgunst zu überwinden, indem sie das Vertrauen in die eigene Persönlichkeit stärkt. Wer über einen stabilen Selbstwert verfügt, macht die innere Zufriedenheit außerdem weniger abhängig von äußeren Umständen oder materiellen Gütern.
Eine aktuelle Studie der Technischen Universität in Berlin konnte sogar belegen, dass regelmäßige Meditation die Lust am Materiellen mildert. Doch auch andere Achtsamkeitsübungen, wie zum Beispiel Dankbarkeit, können dabei helfen, Neidgefühle zu verstehen und hinter sich zu lassen. Wir haben vier Praxistipps gesammelt.
1. Nicht unterdrücken, sondern wahrnehmen und analysieren
Wenn du neidisch bist, musst du das Gefühl nicht unterdrücken. Vielmehr kannst du dich nach der Ursache befragen. Willst du aus Prinzip einfach der*die Bessere sein oder ärgert dich vielleicht einfach nur die Art und Weise, wie die andere Person mit seinen*ihren Errungenschaften prahlt? Vergiss nicht, dass Neid menschlich ist und dir wichtige Hinweise darüber geben kann, in welche Bereichen du deine eigenen Fähigkeiten und Erfolge nicht richtig wertschätzt.
2. Missgunst in positiven Neid umwandeln
Jemand bekommt eine Gehaltserhöhung, obwohl du mindestens genauso hart arbeitest? Ein befreundetes Pärchen hat eine schwere Krise überwunden, während du mit deiner Beziehung haderst? Lass dich durch den Erfolg der anderen dazu motivieren, dass eigene Leben anzugehen. Vielleicht hast du noch gar keine Gehaltserhöhung eingefordert oder gehst Konflikten in deiner Partnerschaft konsequent aus dem Weg. Versuche, dich durch deinen Neid motivieren zu lassen. So gelingt dir vielleicht der erste Schritt auf dem Weg zu einem wichtigen Vorhaben.
3. Unrealistische Vergleiche loslassen
Wenn du merkst, dass dich die ständigen Vergleiche mit Social Media Sternchen unglücklich machen, dann hilft nur eins: radikal entfolgen! Was du nicht siehst, wird dich auch nicht weiter beeinflussen. Vielleicht kannst du dir auch bewusst machen, dass viele Influencer*innen etwas erreichen, dass dir persönlich gar nicht unbedingt wichtig ist. So kann Neid auch in Bewunderung verwandelt werden. Bewunderung setzt ein, wenn jemand etwas in einem Bereich geschafft hat, der für dich persönlich gar nicht relevant ist. Dann sind die Bilder vom Jetset-Leben zwar schön anzuschauen, machen dich aber nicht mehr unzufrieden.
4. Den Blick schärfen, für das, was man hat
Es ist kein Problem, auf das zu schauen, was andere haben. Wichtig ist, dass du dich selbst nicht abwertest. Werde dir bewusst, was du schon erreicht hast und blicke mit Dankbarkeit auf dein eigenes Leben. So entsteht automatisch mehr Selbstakzeptanz und Gelassenheit. Wenn es dir noch schwer fällt, etwas zu finden, wofür du dankbar bist, kannst du zum Beispiel ein Dankbarkeitstagebuch starten. Dort notierst du jeden Abend drei kleine Dinge, die dich am Tag erfreut haben.
Es macht keinen Spaß, Neid zu empfinden, allerdings ist es auch nicht schlimm. Jeder kennt das Gefühl, neidisch zu sein. Wichtig ist, dass man trotzdem Zufriedenheit für das eigene Leben empfindet und unnötige Vergleiche ruhen lässt. Achtsamkeit kann dabei eine große Hilfe sein, vor allem wenn einen das Gefühl von Neid belastet. Wenn wir den Fokus auf das lenken, was wir haben, können wir uns auch aufrichtig für andere freuen und lernen vor allem, Wertschätzung für das eigene Leben zu entwickeln.
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