Zugegeben: Ohne die unerwiderte Liebe wäre unsere Welt um eine Unzahl wesentlicher Kulturgüter ärmer. Andererseits ist kaum etwas so lästig, wie anhaltendes Liebesleid. Ze.tt plädiert dafür: Lassen wir das doch einfach!
Die Sache mit der Liebe
„Mich zu verlassen ist dein gutes Recht, warum ich liebe, weiß ich selbst nicht recht.“
– William Shakespeare
Ach ja, die Liebe! Mit ihr ist es so eine Sache. Selten ist sie perfekt, meist recht kompliziert und erschreckend häufig unausgeglichen bis unerwidert. Das dann zuweilen jedoch für eine erstaunlich lange Zeit. Aber warum hängen viele Menschen eigentlich so sehr an denen, die sie gar nicht wollen? Oder zumindest nicht so ganz. Oder eben nur manchmal. Wäre es nicht wesentlich klüger und außerdem emotional gesünder, ab einem gewissen Leidenspunkt ein selbstschützendes „Okay, dann nicht. Schade-Danke-Tschüss!“ vorzubringen und in eine ungewisse, aber freie Zukunft zu schreiten? Stattdessen leiden wir lange und ausdauernd und stürzen uns mit unbelehrbarem Feuereifer in die Flamme, an der wir uns wieder und wieder verbrennen.
Herz oder Hirn? Beide!
Eine nicht unerhebliche Mitschuld trägt offenbar unser Gehirn. Ablehnung und Zurückweisung stimulieren die Hirn-Areale, die unter anderem für Motivation, Belohnung und Sucht zuständig sind. Das hat das Team amerikanischer Wissenschaftler um die Bio-Anthropologin Dr. Helen Fisher 2010 in einer Studie herausgefunden.
„Die Sehnsucht nach dem Endorphin-Rausch bringt uns dazu, immer wieder potentielle Beziehungspartner anzusteuern, die eine echte Herausforderung für uns darstellen“, erklärt auch der Beziehungsforscher, Buchautor und Diplompsychologe Professor Andreas Hejj (Traumpartner: Evolutionspsychologische Aspekte der Partnerwahl (German Edition)).
Zusammengefasst lässt sich sagen: Die armen Probanden von Frau Dr. Fisher waren also zumindest aus Hirn-Perspektive drogenabhängig, nur halt von Henry oder Emma statt Heroin. Und jeder weiß, dass sich so eine ordentliche Sucht nicht einfach mit ein wenig gutem Willen bezwingen lässt.
Optimale Gene, maximales Leid
Auch die Evolution hat ihren Teil zu diesem Verhalten beigetragen: „Die Evolutionspsychologie lehrt, dass der moderne Mensch von seinen steinzeitlichen Vorfahren die Verhaltensweisen geerbt hat, die (…) ein Überleben und die Weitergabe eben dieser überlebensfördernden genetischen Muster in die nächste Generation gesichert haben“, sagt Professor Hejj.
Es sei enorm wichtig gewesen, jemanden „mit möglichst guten Erbanlagen zu bekommen, da der Überlebenserfolg der eigenen Kinder nur so abgesichert werden konnte“. Darum hätten unsere Vorfahren eben diejenigen besonders attraktiv gefunden, die dem gefühlten Partnerwert glichen oder ihn überstiegen.
Aber: Ist die oder der eine attraktiver, schlauer und allgemein großartiger als man selbst, würde sie oder er sich rein evolutionsbiologisch wohl auch lieber an jemanden mit größerem genetischen Erfolgsversprechen halten.
Selbst schuld? Ja, auch das
Die Hauptverantwortung für unangemessen langes Klammern an Menschen, die uns nicht ganz so knorke finden, lauert jedoch in unserer individuellen Psyche. Mangelndes Selbstvertrauen, komische Kindheit, furchtbare Erfahrungen in Liebesdingen und gelernte Dummheiten sind allesamt Zutaten für unseren persönlichen Unglücks-Mix.
„Bleibt ein Erwachsener auf der Stufe von unerreichbarer Schwärmerei stecken, ist es durchaus sinnvoll zu prüfen, ob er des eigenen Wertes sicher ist und sich zutraut, auch einer tatsächlichen Beziehung Stand zu halten“, meint zum Beispiel Professor Hejj. Solange eine Beziehung nicht wirklich ernst werde, könne man sein kümmerliches Selbstbewusstsein noch recht gut vertuschen, sagt auch die Beziehungs-Expertin Nina Deissler. „Einen Menschen attraktiv zu finden, der unerreichbar ist, schützt davor, tatsächlich eine Beziehung eingehen zu müssen“, erklärt sie. Dadurch vermeide man Verletzungen und Enttäuschungen. Dauerndes Sehnen als Herzpanzer – so grausam kann man nur zu sich selbst sein.
Danke, Mama!
Außerdem spielen Mutti, Vati und Sigmund Freud ebenfalls eine Rolle in der Entwicklung fataler Beziehungsmuster. Gelinge es den Kindern in der ödipalen Phase nicht, die aussichtslose Begierde für das gegengeschlechtliche Elternteil durch die Identifikation mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil zu überwinden, verfolgten die armen Seelen zeitlebens dieses vertraute Muster der unerreichbaren Partnerin oder des Partners. „Je derber die Enttäuschungen, desto heftiger der Wunsch, es endlich einmal doch noch zu schaffen“, sagt Professor Hejj.
Nicht zu vergessen unser auf Konsum und Leistung getrimmtes Umfeld. „Eine der am meisten verbreiteten Grundursachen ist das ‚etwas verdienen müssen’“, sagt Nina Deissler. „Wir sind so sehr mit den Prinzipien der Leistungsgesellschaft identifiziert, dass es uns schwerfällt, das Prinzip der Liebe zu akzeptieren. Es besagt, dass wir uns Liebe eben nicht verdienen können. Wir können nur um unserer Selbst willen geliebt werden.“
Das sollte aufhören, echt jetzt!
Unsere Hirne sind also abhängig von Zurückweisung; wir suchen uns fortpflanzungsbedingt immer um Klassen tollere Partner aus; wir verstecken unsere zerbrechlichen Egos und Herzen; wir versuchen unbewusst, Mama oder Papa dazu zu bringen, uns doch zu lieben, und glauben gleichzeitig, dass wir diese Liebe nicht verdienen. Ein Wunder, dass es überhaupt Menschen in Beziehungen gibt, oder?
Der Schlüssel sei, sich Menschen auszusuchen, die emotional erreichbar seien. Denn erfüllte Beziehungen gebe es ja durchaus, betont Professor Hejj. Ein Schritt in die richtige Richtung sei beispielsweise, sich bewusst zu machen, welche Art Partnerschaft man sich wünsche, welche Merkmale, Eigenschaften und Verhaltensweisen wichtig wären und welche nicht. Der Beziehungsforscher rät, sich vor dem Taumel des Verliebtseins folgende drei Dinge zu fragen:
Ist dieser Mensch von seiner gesellschaftlichen und psychischen Gesamtsituation überhaupt in der Lage und bereit, eine Beziehung einzugehen?
Wünsche ich mir Nähe, Geborgenheit, Sex, Verbindlichkeit – und alles, was mir sonst wichtig ist – mit diesem Menschen?
Ist mein Gesamtangebot in etwa gleich attraktiv für ihn oder sie wie seins oder ihrs für mich?
„Lautet die Antwort dreimal Ja, ist die gröbste Enttäuschungsgefahr gebannt“, so Professor Hejj. Natürlich ist das noch lange keine Garantie für lebenslanges Glück, aber die gibt’s ohnehin nie. Nina Deissler fasst den Kern des Problems so zusammen: „Er muss mit mir zusammen sein wollen. Will oder kann er das nicht, ist er nicht der Richtige.“
Der Originaltext von Jessica Wagener ist bei unserem Kooperationspartner ze.tt erschienen. Hier könnt ihr ze.tt auf Facebook folgen.
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