Ein Nagelstudio mit Kinderbetreuung? Wer kleine Kinder hat, findet diese Idee gar nicht so abwegig. Stephanie und Shirley wollen einen Ort für Familien schaffen, der Spiele für Kinder und Wellness für Erwachsene vereint.
Als Expat und Mutter in Berlin
„We’re hustlers, we’re from New York“, lacht Stephanie von Behr, die sich gerade um Funding für ihr Herzensprojekt kümmert, „There is no fun in funding.“ Ich treffe sie und ihre Geschäftspartnerin Shirley Erskine-Schreyer in einem Café, Shirley hat ihre eineinhalbjährige Tochter dabei, weil sie krank ist. Sie sitzt während des Gesprächs auf ihrem Schoß und kuschelt sich ein. Ich mag diese neue Selbstverständlichkeit, Kinder zu Terminen mitzubringen – auch wenn Shirley sich entschuldigt. Das ist aus meiner Sicht überflüssig, und das nicht nur, weil es bei der Business-Idee der beiden Expat-Frauen um Familien geht. Mit ihrer Idee laufen die beiden genau in das Messer des Latte-Macchiato-Mütter-Klischees, das gerade erst wieder ein Text einer Karriereberaterin bei „Spiegel Online“ bediente: Angeblich verweichlichten Mütter in der Elternzeit und orientierten sich beruflich in eine Welt, die bitteschön niemandem wehtun solle – getäuscht von einer Onlinewelt mit plüschigen DIY-Stores und Mama-Blogs, suchten vor allem Mütter in der Selbstständigkeit rund um schöne Dinge und Kleinkinder ihre berufliche Erfüllung. „Frauen können so viel mehr als Innendekoration und Milch schäumen,“ heißt es da. „Say what?“, denke ich, und mir fällt dazu aber auch der wichtige Satz der Journalistin Lara Fritzsche ein, die zeitgleich zum Erscheinen des Bullerbü-Textes im SZ-Magazin über Erwartungen an den Aufstiegswillen von Frauen und die gleichzeitig unbeweglichen Unternehmenskulturen schrieb: „Frauen müssen jetzt Karriere machen. Wollen müssen sie unter diesen Bedingungen aber nicht.“
Stephanie und Shirley – beide Mitte 30 – haben in ihrer Elternzeit festgestellt, dass sie etwas anderes machen wollen als vor dem Kind. Das geht vielen Müttern so, von Vätern höre ich das selten, aber die sind nun einmal auch nach wie vor sehr selten in Elternzeit oder wenn nur kurz, so dass für die Sinnfrage nicht ganz so viel Zeit bleibt. Shirley, die gebürtig aus Kanada kommt und neben ihrer kleinen auch schon eine 19-jährige Tochter hat, und Stephanie erzählen ihre Geschichte jedoch anders: Ihre Geschäftsidee entstand, als sie sich das erste Mal trafen und feststellten, dass sie über eine ganz ähnliche Sache nachgedacht hatten. „Ich hab mich nach der Geburt meiner Tochter oft einsam gefühlt“, erzählt Stephanie, die vor etwa zwei Jahren für die Liebe von New York nach Berlin gezogen ist. In Krabbelgruppen fand sie keinen Anschluss, schließlich ging sie auf ein „Mom-Date“ – mit Shirley, der es als Expat-Mutter in Berlin ganz ähnlich ging. Seither sind die beiden beste Freundinnen, der Altersunterschied ihrer Töchter beträgt nur wenige Monate.
Ein Entspannungsort für Eltern
Die Idee, die sie dann gemeinsam entwickelt haben, basiert auf den Erfahrungen in der Elternzeit und soll jungen Müttern Unterstützung bieten: das Wunderhaus. Sie nennen es „Stylish Family Wellness Center“ – klar klingt das erst mal nach dem Wirklichkeit gewordenen „Baby- trifft-Interior-trifft-Food-trifft-Yoga-Blog“ – also eher ein wenig realitätsfremd und mit einem besserverdienenden Publikum vor Augen. Es soll dort ein Café mit gesundem Essen geben, einen Raum für Kurse wie Yoga und Pilates, eine Beautybar für Massagen und Maniküre und natürlich eine Spielfläche für Kinder, wo die Kleinen auch bis zu zwei Stunden von Babysittern betreut werden können, damit das Elternteil in der Zeit etwas anderes machen kann. Die Vision der beiden ist es jedoch nicht, eine Durchlaufstation für Mütter zu sein, die ihr Kind kurz abgeben wollen, um einen Termin wahrzunehmen, Shirley und Stephanie wollen auch einen Ort schaffen, an dem Eltern sich kennenlernen können.
Als Frau, die bis vor einigen Monaten selbst in Elternzeit mit dem ersten Baby war, treffen die beiden bei mir emotional einen Nerv: Ich kenne die Einsamkeit, die sie ansprechen – alle Freundinnen und Freunde arbeiten tagsüber, die Familie ist weit weg, mit den Frauen im Rückbildungskurs hat man oft nicht viel mehr gemeinsam, als den Geburtsmonat des Babys. Ich habe mich dann irgendwann im letzten Winter zumindest mit dem Baby in irgendein Café gesetzt, um ein wenig unter Menschen zu sein – und weil ich dort Essen bestellen konnte. Denn auch da erzählt Stephanie, die einen Master in Fine Arts hat und zunächst Künstlerin war, etwas, das so viele neue Mütter kennen: Das Leben mit dem Baby ist so fordernd, dass die erwachsene Person das Essen vergisst, die Zeit fehlt, gesund zu kochen und man sich dann auch oft einfach nur von Toast, Schokolade und Tiefkühlpizza ernährt. Von den Vitaminen, die der Körper jetzt bräuchte, träumt man nur.
Das harte erste Jahr mit Baby
Manchmal spinne ich mit meinen Freundinnen herum, dass wir gern zusammen einen Hof in Brandenburg beziehen würden, nur wir und die Kinder, die ein paar von uns haben – einige der Frauen sind schon alleinerziehend, bei den anderen kriselt es immer mal wieder – wie eben bei den meisten jungen Eltern. Und da selbst bei den modernsten Paaren oft die Mutter in den ersten Monaten vorrangig für die Versorgung des Kindes zuständig ist und sie sich von der Schwangerschaft erholt, bleiben viele Themen irgendwie Frauensache – und die Sorgen eben auch. Die Autorin Elisa Albert fasste das für einen sehr persönlichen Essay im „Guardian“ auf eine Art und Weise zusammen, die ich nachempfinden kann:
“It took me a long time to regain my
confidence. The state of early motherhood was in many ways a state of crisis,
and although my husband was characteristically stalwart and kind, a full
partner in every sense, it was the women who calmly, lovingly took my hand and
led me through. It turned out I didn’t have to feign invulnerability
whatsoever. The more vulnerable I remained, the clearer my vision became, and
what I could see, at long last, was a circle of woman comrades, offering me fortitude
and nourishment when I was bereft of all. My gratitude only grows with time.”
„It takes a village“ ist der altbekannte Spruch, der auch im Konzept für Wunderhaus zu lesen ist: „Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen“. Gerade für Menschen in der Großstadt, die fern ihrer eigenen Geburtsorte leben, ist dieses Dorf dann am ehesten eine Kita, in der das Kind bis in den Nachmittag von anderen Erwachsenen umsorgt wird – aber auch erst dann, wenn die Eltern wieder im Berufsleben stehen. Einen Ort zu schaffen, der für Kinder und Eltern gedacht ist und dabei sowohl Gemeinschaft stiften soll als auch entlasten, ist eine ziemlich tolle Idee – aber auch keine neue. Der Senat in Berlin fördert schon eine Weile so genannte Familienzentren, von denen es teils sogar mehrere pro Bezirk gibt. Das Wunderhaus wird Mitgliedsbeiträge erheben, die sich an den Preisen für gehobene Fitness- oder Yogastudios orientieren, die Familienzentren in Berlin werden von unterschiedlichen Trägern wie etwa der Arbeiterwohlfahrt oder der Diakonie finanziert und sind für Familien kostenlos oder mit nur kleinen Beiträgen verbunden.
Ich muss gestehen, dass ich erst beim Schreiben dieses Textes von den Familienzentren erfahren habe, als ich vergleichbare Angebote suchte. Das nächste zu meinem Zuhause ist etwa eine halbe Stunde entfernt, aber auf der Website wird gleich ersichtlich, was im Vordergrund steht: Interkulturelle Begegnung, Inklusion und Unterstützung beim Sprachen lernen – sogar ein Angebot, das sich speziell an Kinder von Geflüchteten richtet, ist aktuell dabei. Es gibt einen Kurs „Spielraum nach Emmi Kipler“, Rückbildungsyoga, einen Austausch über interreligiöse Erziehung und Beratung für Kitagutscheine. Ob ich da mal vorbeigehe? Mein Problem wie bei vielen anderen Kursen für Eltern und Babys: Die Zeiten richten sich an Menschen, die in Elternzeit sind, halbtags arbeiten oder gar nicht. Für Berufstätige, die eher am späten Nachmittag oder am Wochenende Kontakt mit anderen Eltern suchen, sind keine Angebote dabei.
Das irritiert mich auch im Gespräch mit Shirley und Stephanie: Sie sagen, dass sie sich vor allem an Mütter richten, die sich gerade vorrangig der Erziehung ihrer Kinder widmen oder in Teilzeit arbeiten, was zwar besonders auf Mütter im ersten Jahr nach der Geburt zutrifft – aber was ist danach?
Wer andere treffen will, braucht freie Zeit
Die Angebote für Babys und Eltern, die ich bislang kenne, orientieren sich an einem sehr traditionellen Familienbild: Die Mütter haben von montags bis freitags bis zum Nachmittag Zeit, mit ihren Kindern Kurse zu besuchen – dann geht es nach Hause, um das Abendessen vorzubereiten. Wochenende ist Familienzeit. Eltern, wie mein Partner und ich es sind, die beide in Vollzeit arbeiten, bleiben von diesen Angeboten oft ausgeschlossen. Die Berliner Bäder bieten keinen Babyschwimmkurs an, der am Samstag oder Sonntag stattfindet, es gibt zwar ein paar private Initiativen, die Baby- und Kinderschwimmen auch an Samstagen anbieten, sie sind jedoch dann auch gleich drei Mal so teuer. Stephanie und Shirley erzählen, dass sie – irgendwann, wenn es das Wunderhaus tatsächlich gibt und vielleicht noch weitere Ableger – auch gern ein Schwimmbad für Kinder hätten.
Ist das ein Luxusproblem, dass ich als Mutter Angebote für das Baby und mich vermisse? Ja, vielleicht. Aber wenn die Förderung des Kita-Ausbaus vor allem deswegen gewünscht ist, um mehr Inklusion zu schaffen und Kindern soziale Kontakte zu ermöglichen, sollten wir ihre Eltern und Erziehungsberechtigten nicht vergessen und ganzheitlich auf Familien gucken und überlegen, wie wir sie unterstützen können, so dass gute Kontakte entstehen und sich dort soziale Netze entwickeln, wo sie bislang fehlen: Weil man die Nachbarn nicht kennt, neu in der Stadt oder neu im Land ist und die Angehörigen weit entfernt leben.
Dass der Senat in Berlin Familienzentren fördert und neue Angebote für Familien entstehen, die sie vernetzen und entlasten, ist in jedem Fall gut. Sie erfordern wiederum auch Engagement, Zeit und Geld von Menschen, und die Konzepte dafür werden sicherlich am besten, wenn viele verschiedene Perspektiven eingebracht werden und die Orte mit den Bedürfnissen und Ideen von Kindern und Angehörigen wachsen können. Ob das in Berlin-Mitte dann ein Mütterzentrum ist, in dem es grüne Smoothies und Maniküre gibt, wird sich zeigen. Per Crowdfunding versuchen Stephanie und Shirley gerade noch, eine Anschubfinanzierung für das Wunderhaus zu bekommen.
Kann Stephanie sich eine Rückkehr in die Kunstwelt vorstellen, wenn ihre Idee nicht klappt, frage ich. Sie will es nicht ausschließen, aber ihr Gesichtsausdruck verrät, dass sie die berufliche Veränderung sehr ernst meint. Ihr Entschluss, etwas anderes zu machen, rührte unter anderem daher, dass die Branche ihr oft zu oberflächlich war. Kurz bevor sie nach Deutschland zog, bekam sie in New York von einem Museum für Kinder einen Job angeboten. Vielleicht kann sie Kunst und Kinder nun bald in Berlin vereinen.
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