In den ersten Wochen nach der Geburt sollen sich Frauen von den Strapazen der Schwangerschaft und der Geburt erholen – das nennt man Wochenbett. Als ob Stillprobleme und ein schreiendes, neues Baby nicht genug wären – warum schafft es unsere Autorin trotzdem nicht, beim Stillen ihr Smartphone aus der Hand zu legen?
Geburtsverletzungen, Stillprobleme, Hormonchaos
Sowohl in der medizinischen Fachliteratur als auch in einschlägigen Mütterforen im Netz wird für das Wochenbett typischerweise ein Zeitraum von sechs bis acht Wochen empfohlen. Während dieser Zeit soll sich die Mutter von den Strapazen der Schwangerschaft und Geburt erholen. Die hormonell verursachte Berg- und Talfahrt der Gefühle in dieser Zeit wäre eigentlich schon genug zu stemmen. Dazu kommen aber oft noch Geburtsverletzungen, und gleich nach der Geburt wartet für viele Mütter die nächste Herausforderung, nämlich eine schmerzfreie Stillbeziehung zum Baby aufzubauen. Keine Selbstverständlichkeit. Und dann?
Zwischen Gefühlsduselei und dem Bedürfnis nach einer gut gemanagten To-do-Liste
Nachdem ich das alles nun erfolgreich hinter mich gebracht habe, frage ich mich, warum es mir so schwerfällt, mich in Ruhe meinem verdienten Wochenbett hinzugeben und mich umsorgen und pflegen zu lassen – sofern das im frühen Wochenbett mit zum Teil viertelstündlichen Stillen überhaupt möglich ist. Stattdessen „hirne“ ich regelrecht vor mich hin und suche mir Aufgaben, die fernab von hormonellen Höhenflügen sind.
Dazu gehört zum Beispiel Organisatorisches wie die Korrespondenz mit meiner Krankenkasse, genauso wie freundliche E-Mails an die Kita-Leitungen, um uns als frischgebackene vierköpfige Familie in Erinnerung zu bringen,damit wir in einem Jahr die beiden Kinder in die Wunsch-Kita nahe des neuen Wohnorts schicken können.
Geradezu sinnbildlich für meine Rastlosigkeit: wenn ich unser Baby stille. Nach anfänglichen Stillschwierigkeiten sind wir nun glücklicherweise ein eingespieltes Team. Wenn das Baby also nun wieder nach Trinken zumute ist, ist es mir jedes Mal ein Bedürfnis, mein Smartphone zur Hand zu haben. Blöde Vorstellung, bis zu 20 Minuten mit dem Baby im Arm zu verharren, ohne Kontakt in die Außenwelt zu haben und ohne die Möglichkeit, E-Mails zu bearbeiten, auf Instagram zu scrollen und mich medial ein bisschen berieseln zu lassen.
Anpassungsstörungen
Erst vor drei Wochen kam unser jüngstes Familienmitglied zur Welt. Ein Wunder – so eine Schwangerschaft, die Geburt an sich und der hormonelle Rausch, der mich schon zu Beginn der Schwangerschaft mit seinen Übelkeitsattacken aus der Balance gebracht hat. Wieso fällt es nun so schwer, mich in dieser emotional aufgeladenen Zeit des Wochenbetts einfach mal dem guten Gefühl hinzugeben, dass die natürliche Geburt allein und die neun Monate der Schwangerschaft Grund genug dafür wären, sich mal zu entspannen und sich im Mutterglück zu suhlen?
Phänomen unserer effizienzverliebten Zeit
Liegt es einfach nur an unserer Zeit, in der Fragen des effizienten Zeitmanagements und der Leistungsorientierung über allem thronen und ich deswegen gleich wieder neue Ziele anpeile und alte Aufgaben erledigen möchte? Oder zumindest über die sozialen Netzwerke beobachten möchte, wie sich die Welt draußen weiterdreht? Wieso fällt es mir so schwer, innezuhalten und den Moment zu genießen? Überall werden heute vermeintlich moderne Werte wie Achtsamkeit und Dankbarkeit gepredigt und auch ich kann dieser Entwicklung sehr viel Positives abgewinnen. In der Theorie bin ich absolut überzeugt davon. Nur in der Praxis tue ich mich mitunter schwer, innezuhalten oder einfach nur zu beobachten, was da ist. Aber vielleicht ist die Auseinandersetzung mit der Tatsache, dass es eben so schwerfällt, auch ein Akt der Achtsamkeit.
Vorbild Mompreneurs
Beinahe neidisch verfolge ich dabei das aufgeregte Leben sogenannter Mompreneurs, die ihr meist junges Business und das Mutterleben mit scheinbarer Leichtigkeit meistern. Nun entstamme ich dem klassischen Angestelltenverhältnis und musste mit Beginn des Mutterschutzes mein Arbeitsmaterial wie Firmenlaptop und Handy abgeben. Ob diese Maßnahme heutzutage noch zeitgemäß ist, wäre eine eigene Diskussion. Aber es bringt natürlich die Chance und gleichzeitig die Herausforderung mit sich, mal ein Jahr beziehungsweise einen gewissen Zeitraum völlig aus dem Businessleben auszuscheiden und sich auf andere Themen zu fokussieren.
Doch leichter gesagt als getan: Die Elternzeit bringt zwar auf dem Papier zunächst Unmengen an freier Zeit mit sich und an mancher Stelle wird ja immer noch – ob aus Versehen oder aus Unwissen – von „Eltern- oder Mutterurlaub“ gesprochen. Dass diese Zeit einer enormen Fremdbestimmung unterliegt, erfährt man dann sehr schnell. Eine bittere Pille, die viele Mütter und Väter als selbstbestimmte und engagierte Berufstätige so gar nicht gewohnt sind und erst mal schlucken müssen.
Hier findet also ein enormer Anpassungsprozess statt. Eben noch im stressigen Job mit wichtigen Meetings, inspirierenden Networking-Events und einem erfüllten Freizeitleben, befindet man sich insbesondere als stillende Mutter fast schlagartig in einem absoluten Abhängigkeitsverhältnis. Ab Tag X der Geburt hat das hungrige Baby oberste Priorität. Was folgt, ist ein Prozess der Akzeptanz und ein Aushandeln und Erarbeiten von kleinen Freiheiten und Auszeiten vom Babyalltag.
Days are long, years are short
Immer wieder kommen mir in diesem Zusammenhang diese Zeilen in den Sinn, wenn es um das Phänomen Elternzeit beziehungsweise die ersten Jahre mit Kind geht. Die Tage in Elternzeit können wirklich unendlich lang und auch langweilig sein. Nervenzehrend die Stunden, in denen man endlich den heiligen Schlaf des Kindes herbeisehnt, um anschließend die kostbare Freizeit für sich nutzen zu können. Und schläft das Baby endlich, ist man zu müde, um überhaupt noch irgendeines der Vorhaben umzusetzen. Dann die täglichen Routinen – ich habe dabei oft den Vergleich zu Sisyphos-Tätigkeiten gezogen. Wickeln, Füttern, Schlafen, Einkaufen, Wäsche waschen – eben das alltägliche Chaos jeden Tag aufs Neue bewältigen. Ohne wirkliche soziale Anerkennung. Als einigermaßen geselliger Mensch auch ein sehr einsames Geschäft, wenn man kein Freund von Krabbel- oder Pekipgruppen ist.
Und dann ist plötzlich auch schon das erste Jahr vorbei und man fragt sich, wo die Zeit geblieben ist. Genauso rasend scheinen dann auch die ersten Jahre zu vergehen, die uns einerseits erste graue Haare und zusätzliche Falten bescheren und gleichzeitig auch unbezahlbare Momente schenken. Die Baby- und Kleinkindzeit ist einfach wahnsinnig intensiv – und das gilt für beide Extreme. Diese Zeit ist zermürbend, nervenaufreibend und lässt uns an die Substanz gehen, und gleichzeitig erleben wir die größten Momente des Glücks und der Zufriedenheit mit dem, was ist. Denn es ist wie es ist, und wie es schon zigfach auf Mama-Blogs publiziert wurde: Es ist erstaunlich, mit welcher Leichtigkeit es ein Kind dann doch schafft, uns gestresste und abgebrühte Eltern auch an den miesesten Tagen zum Lachen zu bringen und unsere Herzen weich werden zu lassen. Und ja, das ist es wert.
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