Ich kenne viele Gründe, warum eine Fernbeziehung richtig ätzend ist. Aber auch sehr, sehr viele, die dafür sprechen!
Ein Hoch auf die Freiheit
Ich war sechs Jahre lang Single. Das ist eine lange Zeit. Meine einzig erwähnenswerte Beziehung war in vielerlei Hinsicht ein Beispiel dafür, wie man es wohl besser nicht macht.
Danach dachte ich, ich sei besser ohne Mann dran. Ich reiste viel, entdeckte die Welt, war frei von Verpflichtungen. Meistens fand ich es super. Ich konnte tun und lassen was ich wollte, musste niemandem zu nah sein, mich nie zu viel öffnen. Ich arbeitete viel, konnte mich 100 Prozent darauf konzentrieren. Ich lernte tolle Männer kennen, knutschte ab und zu gerne mal, hatte kurze Affären. Aber bloß nie etwas Längeres.
Natürlich hatte dieses Single-Glück auch seine Tiefen. Ich war felsenfest davon überzeugt, ich würde nie jemanden finden. Ich dachte, ich wäre nicht in der Lage zu echten Gefühlen. Dass mir das Gen dazu einfach schlichtweg von meinen Eltern (übrigens seit über 30 Jahren glücklich verheiratet!) nicht mit übertragen worden war. Ich war natürlich auch zu der Erkenntnis gelangt, dass ich inzwischen weitaus zu verschroben und „somehow strange” geworden war, als dass sich noch jemand mit mir arrangieren könnte. Mit Sicherheit gab es bei mir, da war ich mir sicher, zu viele niemals heilbare Macken. So lebte ich also mein Singleleben. Pärchen belächelte ich milde, fand sie meistens im Weg stehend – und beneidete sie nur in schwachen Momenten heimlich.
Meine Beziehungstheorie
Ich erkläre dies, weil, wie ich finde, es bei Beziehungsargumentationen immer Einblicke in die Beziehungshistorie und das jeweilige Gefühlsleben bedarf, um Perspektiven zu verstehen. Egal ob wir es wollen oder nicht: Wir tragen unsere Erfahrungen mit der ersten Liebe und vergangenen Beziehungen immer in unserem persönlichen Gefühlsrucksack mit uns herum – und eben auch in die neue Beziehung mit herein. In meinem Fall macht dies vielleicht verständlich, warum manchmal eine Fernbeziehung gar nicht so verkehrt ist.
Fern-Beziehung: allein das Wort macht schon auf die Widersprüchlichkeit, ja das Paradoxe dieses Formats aufmerksam. Eine Beziehung bedeutet eigentlich per se, dass man zusammen ist. Und so viel Zeit wie möglich zusammen verbringen möchte. Doch, laut Studien ist derzeit jede achte Beziehung in Deutschland eine Fernbeziehung. Das ist kaum verwunderlich: Wir sind immer mehr unterwegs, sowohl innerhalb Deutschlands als auch im Ausland. Viele der Fernbeziehungsopfer leiden darunter, dass sie aufgrund beruflicher, familiärer, geographischer oder sonstiger Umstände nicht zusammenziehen können. Doch dann gibt es auch noch diese wunderbaren neuen Freiheiten in unserer Gesellschaft – diese Freiheiten, die sich keinerlei Definition einer Beziehung unterordnen. In der es keinen vorgegebenen Rahmen gibt, wie eine Beziehung ausgestaltet werden muss, wer überhaupt mit wem zusammen ist, wie oft man sich sieht, wie oft man entscheidet sich zu sehen, wie sehr man sich zu lieben hat, wie exklusiv und für wie lange.
Eine Beziehung? Bist du verrückt?!
Viele mögen das nicht nachvollziehen können, aber in meinem Fall war die Fernbeziehung ein Wunschformat. Die Fernbeziehung hat mir die Existenz beziehungsweise das Überleben meiner Beziehung überhaupt gesichert. Sonst wäre ich, dessen bin sicher, vorher weggelaufen, in meine Alleinsein-Komfortzone geflüchtet.
Nach meinen oben beschriebenen Jahren der Beziehungs-Abstinenz passierte nämlich tatsächlich das Unerwartete, das mich aus meiner gewohnten Fahrbahn riss. Da war jemand, den hatte es erwischt. Der schien mich genauso zu akzeptieren wie ich war. Und mehr noch: Mich so zu lieben wie ich war. Meine Macken so schön Postkarten-Klischee-mäßig als „Special Effects“ zu sehen und nicht eben als Eigenarten, wie ich sie betrachtete.
Ich war verwirrt. Das Allerverrückteste war nun noch: Auch ich schien so etwas wie G-E-F-Ü-H-L-E in Echtform und Realzeit für diese Person aufzubringen. Ich hielt dies am Anfang nicht für möglich und wand viel Energie dafür auf, ihm zu erklären, wieso dieses Beziehungsunterfangen („das böse B-Wort“) wirklich ein netter Versuch war, aber bestimmt nicht funktionieren würde. Ich philosophierte darüber, dass die wahre Liebe eine Illusion sei. Und ich sei sowieso beziehungsunfähig (neues Lieblings-Entschuldigungs-Buzzword für meine Generation, der sich selbst diagnostizierenden Bindungsgestörten). Auch hatte ich mir erfolgreich eingeredet, ich bräuchte so viel Freiheit und Raum zu Atmen, dass da kein Sauerstoff für eine zweite Person bliebe. Meine gutgemeinte Empfehlung: Er solle sich vielleicht doch lieber jemand Unkompliziertes suchen?!
Erst einmal langsam herantasten
Zum Glück half es nicht: Es schien ihn nur in seiner Mission noch zu bestärken. Er wollte es, er wollte mich – er blieb. Und Himmel, es fühlte sich auch noch so gut, so richtig an. Leichtes bis dramatisches Panikgefühl. Was tun?
Was mir in meiner Beziehungsphobie extrem half, war, dass wir nicht in einer Stadt wohnten. So fingen wir langsam an. Da ich gerne abends noch arbeite (beste Zeit, keine Ablenkung!), war es für mich sehr erleichternd, meinen Wochenrhythmus nicht ändern zu müssen: Davor hatte ich Angst gehabt. Ich konnte weiterhin in der Woche so lange arbeiten wie ich wollte, oder eben meine Freunde treffen, oder zum Sport gehen, ohne dass jemand zuhause wartete. Ich lernte dafür aber auch, mir die Wochenenden komplett frei zu halten und wirklich nicht zu arbeiten. Entspannung am Wochenende, volle Konzentration in der Woche.
Eine Fernbeziehung bedeutete für uns aber auch: 50 erste Dates!
Jedes Mal, wenn wir uns Freitag oder manchmal schon Donnerstagabend Wiedersehen und in die Arme fielen, prickelte es. Wieder war es aufregend, wieder war es irgendwie neu. Wir lernten uns langsamer, vorsichtiger kennen – die „Beziehungs-light-Version”, statt ab Tag eins ständig aufeinander zu hängen und zwischendurch noch 1.000 Nachrichten zu schreiben.
Dafür gehörten kleine Aufwärmphasen zum Programm – man wundert sich, dass man schon nach fünf Tagen wieder ein wenig fremdelt. Doch wenn der Sonntag kam, hatten wir einmal mehr eine wunderbare Zeit erlebt. Wir in unserer Wochenende-Bubble, das war etwas ganz Besonderes. Wir tauchten ab in eine eigene Welt und es war egal, ob wir uns dafür bei ihm, bei mir oder irgendwo in der Mitte trafen.
Was ich gelernt habe: Es ist nur wichtig, keine allzugroßen Erwartungen an jedes Wochenende zu haben: Man darf keinen Druck aufbauen, nach dem Motto: Wir haben uns jetzt fünf Tage nicht gesehen und müssen unbedingt ein grandioses Wochenende verbringen – Nein. Wir tasteten uns langsam aneinander heran; mit viel Platz und Raum für alleine und zusammen. Perfekt für die Anfangsphase. Alles zu seiner Zeit, am jeweils auserkorenen Ort. Natürlich sind die Abschiede nicht toll, aber dafür gewinnt die Qualität über die Quantität.
Für uns war es genau der richtige Rhythmus
So konnten wir für uns und die Beziehung den besten Modus finden, das beste „wie viel“, das beste „wann“ und „wie“. Ich bin mit jedem Wochenende gereift, habe ein paar Schritte vor, ein paar weniger zurück und dann wieder welche nach vorn hin zur Beziehungskompabilität gemacht.
Wir überlegen nun langsam, den nächsten Schritt zu machen. Ganz langsam sehen, wann wir wie und in welcher Stadt unsere Lebensentwürfe entspannt übereinanderlegen und vereinen kann. Das wird der Schritt in eine neue aufregende Zeit. Alltag kann, so denke ich, eben auch wunderbar erfüllend zusammen sein. Er gibt uns die Chance, noch einmal 50 neue Dates zu haben. Und die finden dann Montagabend ganz gemütlich in unserer ersten gemeinsamen Wohnung statt. Oder Mittwochs beim gemeinsamen Sport. Oder Donnerstags beim Kinobesuch…
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