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6 Thesen zur Zukunft des Journalismus

Verlage verkleinern Redaktionen, große Medien schrumpfen. Journalismus im Überlebenskampf? Sechs Thesen zur Zukunft der Branche.

 

Was passiert gerade mit dem Journalismus?

Die Zukunft des Journalismus – manchmal klingt diese Formulierung wie der blanke Hohn. In Zeiten, in denen 16-jährige YouTuber mehr Visits und Klicks generieren als die Top-Medien großer Verlagshäuser und alle in Deutschland ihren Blick in die USA richten.

Die Frage nach der Zukunft trägt sie dabei immer in sich: die Angst. Vor Veränderung, vor dem Niedergang des Traditionellen, vor dem Verlust der Umsätze, wie sie die klassische Printwelt gewohnt wahr. Aber es findet auch eine Friedensbewegung statt: Print- und Online-Redaktionen finden zusammen und machen sich Gedanken, wie sie sich zukünftig gemeinsam aufstellen können. Schlussendlich gilt noch immer: Content ist King. Das haben mittlerweile sogar große E-Commercler wie Net-A-Porter verstanden, die nun sogar auf ein Print-Magazin à la Vogue setzen.

Und auch wir, als junges journalistisches Startup, machen uns Gedanken. Wo geht die Reise hin? Ganz sicher haben wir dabei nicht die Weisheit gepachtet, aber wir haben Lust, einen kleinen Beitrag zur Diskussion zu stiften.

Sechs Ideen dazu.

1. Ideentreiber: Leidenschaft und Unabhängigkeit der Macher.

Wer lässt sich nicht gern mitreißen – von der Leidenschaft, die jemand für das empfindet, was er oder sie tut? Und Leidenschaft ist es auch, die viele neue Ideen entstehen lässt: oft aus einer persönlichen Erfahrung heraus. Weil man selbst zur Zielgruppe gehört oder weil ein Bedürfnis nicht abgedeckt wird. Daher ist es keine Überraschung, dass auch immer mehr Journalisten selbst gründen, eigene Medien und neue Formate entwickeln – egal, ob Krautreporter, das Block Magazin oder internationale Unternehmen wie Ozy und My Little Paris – oder wir mit EDITION F. Und das verlagsunabhängig. Weil es um persönliche Ideen geht, um Themen, um Zielgruppen – um eine Lücke im Markt – und den Wunsch, diese mit relevanten Inhalten zu füllen. Und so beflügelt die Krise des Journalismus vielleicht sogar ein wenig seine Kreativität. Die neuen Wilden erreichen zum Teil Millionen Leser, die sich über die inhaltlich-leidenschaftlichen Projekte nicht nur freuen und sie konsumieren, sondern sich mit ihnen identifizieren und die Idee weitertragen. Eine Marketingmaschinerie losgelöst von Mediabudgets.

2. Content hat Magnetwirkung. Content ist und bleibt King

Was lässt uns als Leser auf eine Internetseite gehen oder ein Magazin kaufen? Richtig, Themen und Artikel, die uns interessieren, begeistern, inspirieren oder amüsieren. Der richtige Content wirkt also wie ein Magnet – nämlich für die Zielgruppe, die einem am Herzen liegt. Ob karrierebewusste Frauen wie bei uns, sportbegeisterte Männer oder Freunde von Computerspielen. Mit dem passenden und relevanten Content schaffen es Medien, Beziehungen zu ihren Lesern aufzubauen und eine Marke zu entwickeln. Dabei sind die Zeiten von Mainstream vielleicht noch nicht vorbei – aber die Chancen für Nischen-Produkte mit sogenannter spitzer Zielgruppe größer als je zuvor. Hier gibt es Meinungen, Positionen und Perspektiven. Hier wird ausprobiert. Und eines ist klar: Wer möchte schon überall das gleiche lesen? 

3. Journalisten werden Marken. 

Aber diese neuen, mutigen journalistischen Wege und Perspektiven brauchen Köpfe: eine Tradition, die es in Deutschland, ganz anders als in Großbrittanien oder den USA, leider kaum gibt. Denn wenn man ehrlich ist, wer kann ad hoc schon seine drei Lieblingsjournalisten nennen, an deren Meinung man sich reibt oder unvoreingenommen zustimmt, über deren Texte man gern lacht oder deren Hintergründe immer neues Wissen vermitteln? Im Ausland sind Journalisten Menschenmarken – Leser wissen, wofür jemand steht und es gibt die Chance, Debatten entstehen zu lassen, die Chance für einen Austausch. Bei EDITION F versuchen wir, Autoren – egal, ob aus unserer Redaktion oder externe Journalisten oder Lesern – eine Plattform zu bieten und ein Gesicht zu geben. Und laden jeden ein, Themen vorzuschlagen oder selbst zu schreiben. Weil Inhalte so authentisch werden und Journalismus auch fern des reinen Nachrichtenwerts erlebbar wird. Dabei wird immer klarer, Journalisten sind wichtig, aber sie haben nicht mehr das Meinungsmonopol für sich gepachtet. Debatte entsteht in der Gesellschaft. Das schließt Leser und Autoren ein – dabei wechseln sich die Rollen gern immer wieder ab.

4. Leser werden Nutzer. Und Programmdirektoren.

Wenn man einmal ehrlich ist: Digitale Medien sind heute längst keine reinen Leseseiten mehr. Vielmehr geht es um multimediale Angebote, komplexe Geschäftsmodelle und viele Funktionen. Leser werden also Nutzer – denn sie interagieren mit den Angeboten und konsumieren nicht mehr nur. Deshalb sollte man sie umso ernster nehmen: vor allem ihre Bedürfnisse. Und Medien oder Produkte erschaffen, die sich an diesen orientieren. Ein Beispiel dafür ist Politico. Die Seite krempelte mit seiner aggressiven Berichterstattung den amerikanischen Politikjournalismus um. Weil sie das Bedürfnis nach ehrlichen Hintergründen und Reibungsfläche in der politischen Berichterstattung erkannt hat. Und wir haben uns gefragt, was Frauen für ihre berufliche Verwirklichung brauchen und eine Plattform konzipiert, auf der sie alles dafür finden. Medien müssen also immer mehr ein Umfeld, eine Atmosphäre schaffen, in der ihre Nutzer die Angebote als natürlich und für sich persönlich als relevant empfinden – so sind zum Beispiel Jobbörsen auf News-Seiten eher wenig attraktiv, denn wer ist schon in Stimmung für die Jobsuche, wenn man doch nur die neuesten Nachrichten checken will? Und wer Nutzer ernst nimmt, lässt sie mitbestimmen. Medium.com und andere User-Generated-Content-Seiten machen es vor. Und die zahlreichen Kommentardebatten unter den eigentlichen Artikeln zeigen, dass die Mitbestimmung hoch gefragt ist. Wer mitgestaltet, fühlt sich als Teil von etwas. Und bleibt länger auf der Seite eines Mediums.

5. Social Media ist die neue Home.

Das Konzept der klassischen Startseite in Gefahr: Denn immer mehr Nutzer gelangen über Google, über soziale Netzwerke und über Newsletter zu Artikeln oder anderen Inhalten. Die Klick-Maschinen wie Vice, Buzzfeed oder die Huffington Post machen es vor. In der Content-Flut entdeckt man die spannendsten Artikel im Facebook-Stream, im Twitter-Feed oder über einen Link von Freunden. Die Vorauswahl trifft also die Mehrheit der eigenen digitalen Netzwerke. Des erweiterten sozialen Kreises eines jeden. Die hohe Kunst: Nutzern dennoch eine Idee vom Gesamtkonzept und den weiteren Angeboten zu geben und sie auch langfristig für das eigene Angebot zu begeistern und sie zu halten.

6. Die Reichweite ist tot. 

Geld fließt dort, wo Nutzer sind. Aber eben nicht mehr die meisten, sondern die für die jeweiligen Kunden qualitativ attraktivsten. Die klassische Reichweite stirbt. Die Preise für Banner, CPCs und andere Onlinewerbung sinken. Nutzer fühlen sich gestört von blinkenden Produkten, die sie drei Minuten vorher noch bei Amazon gekauft haben und die Werbekunden merken, dass die Markenbindung in Massenmedien weit weniger stattfindet als gewünscht.  Die neue digitale Währung: der Mehrwert. Für Nutzer und für Kunden. Was auch zu einer längeren Verweildauer führen wird. Also keine Angst vor „Native Advertising“ – denn wo Mehrwert und spannende Geschichten, auch bei gesponsorten Inhalten, geboten werden, wird das honoriert. Transparenz muss natürlich sein. Aber letztlich geht es für Kunden – egal ob Werbekunden, Arbeitgeber oder Marken –  immer mehr darum, die passende Zielgruppe erreichen. Direkt. Mit den richtigen Inhalten, Angeboten und Botschaften. 

Ein Glück: Der Journalismus bleibt.

Beruhigend: Der Journalismus ist nicht tot. Sondern erlebt – wie schon oft zuvor – gerade neuen Auftrieb. Er lebt, verändert sich und schafft eine breite Autorenschaft – mit Journalisten, Experten, Nutzern. Interaktion statt Konsum. Und auch immer mehr Investoren glauben wieder an ihn: den guten alten Content. Das zeigen vor allem Modelle aus den USA. Darunter Refinery29, Business Insider, Bustle, Buzzfeed oder Vice. Unternehmen, die in den vergangenen Monaten Millionen von Investoren einsammeln konnten.

In diesem Sinne. Das Forum zur Debatte ist eröffnet.

 

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