Wenn Partner, Gesellschaft und eigener Anspruch mitziehen, kann das mit der Vereinbarkeit klappen, schreibt unsere Gründerin Susann Hoffmann. Ihr Essay ist gerade im aktuellen Sonderheft „Working Women” unseres Medien-Partners „Emotion” erschienen.
Ein Paradebeispiel für Vereinbarkeit?
Es ist Sonntag. 22.21 Uhr. Die Deadline für diesen Artikel ist morgen. Ich werde sie nicht halten können. Denn nach einem Tag auf dem Spielplatz, im Tierpark und im Biergarten waren die Eindrücke für meinen elf Monate alten Sohn Caspar offenbar so stark, dass das Zubettgehen heute einfach mal zwei Stunden dauerte. Endlich auf dem Sofa angekommen, ist kaum daran zu denken, noch einen klaren Gedanken zu fassen. Ich bin müde. Ich will schlafen. Jetzt. Die Arbeit muss für heute mal warten. Eine Ausnahme. Denn ich bin Unternehmerin und Mama. Paradebeispiel für Vereinbarkeit. Vermeintlich. Aber mir fällt es weder leicht, noch habe ich das Gefühl, dabei besonders erfolgreich zu sein. Und das, obwohl ich EDITION F gegründet habe und quasi täglich daran arbeite, dass alles besser wird.
In der Schwangerschaft dachte ich: Alles kein Problem. Mein Freund und ich haben uns auf einen Fifty-fifty-Deal geeignet. Wir wollen unseren Sohn zu gleichen Teilen betreuen, Zeit mit ihm verbringen, ihm Liebe und Aufmerksamkeit geben und ihm zeigen, dass Mama und Papa beide für ihn da sind. Der Plan war: Sechs Monate wir beide, dann ab in die Kita. Ich bin ein Ostkind und war schließlich selbst ganz früh in der Krippe. Inzwischen sind elf Monate um, Caspar kommt in zwei Wochen tatsächlich in die Kita, und mir blutet das Herz. Und das, obwohl die Sehnsucht nach mehr Zeit für neue Ideen, fürs Unternehmen, mit dem Team und vor allem auch mit meiner Mitgründerin Nora so groß ist. Aber ebenso sieht es eben umgekehrt aus. Pünktlich nach Hause, um auch nach einem Arbeitstag noch zu spielen, gemeinsam zu essen, zu baden und ins Bett zu gehen. Das muss einfach sein.
Ich will mehr. Von allem – dieser verdammte Perfektionismus
Das letzte Jahr ist der bisher größte Spagat meines Lebens – dabei habe ich zwölf Jahre Rhythmische Sportgymnastik gemacht. Montag, Mittwoch und Freitag sind meine „Kindertage“, wie ich sie romantisiert in meiner Abwesenheitsmail nenne. Dienstag und Donnerstag dann die große Arbeitsoffensive. Volle Power, könnte man sagen. Aber ich rausche zeitgleich mit 180 Stundenkilometern und angezogener Handbremse durch den Tag. Denn an Durchschlafen ist seit September 2016 nicht mehr zu denken und dass es dabei manchmal anfängt zu qualmen, ist wohl kein Wunder. Nein, ich rauche nicht, sondern ich habe das Gefühl, mein Kopf platzt. Mein Herz zerreißt und das ewige schlechte Gewissen bohrt und bohrt. Scheiß Perfektionismus. Den habe ich mir jahrelang herangezüchtet. Das würde ich niemandem empfehlen. Denn die Realität ist störanfällig.
Nicht falsch verstehen: Ich genieße die Abwechslung und bin sicher, das Konzept Teilzeitmama und Teilzeitunternehmerin war die richtige Wahl. Das Problem ist nur dieser innere Anspruch. Ich will mehr, von allem. Ein Problem, das ich mit meinem Freund, der auch Unternehmer ist, teile und das uns oft vor eine doppelte Herausforderung stellt und das Streitpotenzial gesteigert hat. Wessen Termin ist wichtiger? Warum hast du mir den Termin nicht eingestellt? Warum fahre ich mit Kind zum Team-Offsite und wenn ich zurück bin, fährt er – ohne Kind – und ich kann nicht arbeiten? Dazu dann die üblichen Verdächtigen rund um Haushalt, Wäsche und nicht zu vergessen: Couple-Time. Me-Time fällt weitestgehend aus. Nur an einem wird nicht gerüttelt. Dem Wochenende. Denn das genießen wir zu dritt in vollen Zügen. Wenngleich der Blick auf’s Handy nie ganz zu vermeiden ist.
Zeit ist nur ein Teil des Vereinbarkeitsproblems
Würde ich tauschen wollen, das Rad zurückdrehen? Nein. Würde ich mir wünschen, dass es leichter ginge, es irgendeinen Hack gibt? Ja. Und was mich gerade in der öffentlichen Debatte am meisten stört, ist, dass wir beim Thema Vereinbarkeit nur über Zeit sprechen. Dabei ist die Zeit das kleinste Übel. Vielmehr geht es doch darum, mit sich selbst zu vereinbaren, was man möchte, was man überhaupt physisch und psychisch leisten kann – und wie das neue Leben als Unternehmerin oder auch als Angestellte und Mama oder eben Papa eigentlich aussehen soll. Zwischen Vollzeit-Mama und Rabenmutter liegt eine ganze Welt. Ich weiß meine privilegierte Rolle als Gründerin, die eben selbst entscheiden kann, zu schätzen, denn eine richtig freie Entscheidung gibt es für viele beim Thema Vereinbarkeit nicht: Elterngeld fördert nämlich kaum einen frühen Wiedereinstieg. Zu wenig bleibt von dem übrig, was man in Stunden ohne Kind erarbeitet. Dabei kann die Arbeit helfen, sich nicht in der Mutterrolle zu verlieren, von der man nach einem Jahr oft glaubt, dass sie alles ist, was einen ausmacht, dass sie alles ist, was man kann. Warum kann das Teilzeit-Fifty-fifty-Modell nicht ein neuer Weg für unsere Gesellschaft werden, indem es gefördert wird und Vätern ermöglicht, Teil des frühen Familienlebens zu werden, sowie Müttern den Ausstieg-Einstieg nicht so schwer macht. Nicht als Dogma, aber als Angebot. Und eines, das auch finanziell Sinn macht.
Inzwischen ist es Dienstag. Ich bin um 5.30 Uhr aufgewacht. Nicht gerade von selbst, aber glücklich. Denn vor mir saß ein quietschvergnügter kleiner Caspar, der Lust hatte, die Welt zu erobern. Auf dem Spielplatz oder sonstwo. Heute mit Papa, während ich hier diesen Artikel zu Ende schreibe. In Ruhe. Im Garten vom Büro. Ab und zu kommt ein Facetime-Anruf von meinen Männern, später vielleicht noch ein kurzer Besuch. Herrlich. Für mich steht fest: Kinder muss man nicht vereinbaren. Man muss sie wollen. Ihnen Platz geben. Nicht ständig mit sich und der Welt verhandeln. Und vor allem nicht so tun, als wäre es immer leicht. Es ist ein Abenteuer. Aber ein sehr Schönes.
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