Der Islam wird immer wieder als manifestierter Antifeminismus gesehen und dargestellt. Frauen mit Kopftuch gelten als unterdrückt und der Prophet Mohammed als frauenfeindlich. Dass dem allerdings nicht so ist, zeigt Lana Sirri eindrücklich mit ihrem Buch „Einführung in islamische Feminismen“.
Die überhebliche Vorherrschaft des weißen Feminismus
Für einige Menschen scheint die Verbindung der Worte „Islam“ und „Feminismus“ schier unmöglich, eine lebende Antithese, allen voran Alice Schwarzer. Für die Frau, die ihre Auslegung des Feminismus für maßgebend hält, stellen besonders Kopftuch tragende Musliminnen ein Problem dar. Denn das Kopftuch ist laut Schwarzer ein „eindeutig politisches Symbol und ein Mittel der Unterdrückung“ oder auch „die Flagge des weltweiten, militanten Islamismus“, wie sie nicht müde wird, in Texten und öffentlichen Auftritten zu erzählen.
Schwarzer bevorzugt es allgemein über und nicht mit Musliminnen zu sprechen, wie man es zu Hauf in ihrem „Emma“-Magazin nachlesen kann. Dabei scheint ihre Meinung über den Teil unserer Bevölkerung, der an die Offenbarungen Allahs an Mohammed glaubt, bereits zementiert zu sein. In Schwarzers Weltbild scheinen Musliminnen nur Opfer zu sein, gesichtslose Frauen, die erst ihrem Vater und dann ihrem Ehemann gehorchen müssen. Dabei können sie eines ganz besonders nicht sein: selbstbestimmt.
Mit diesem Bild ist Schwarzer in den feministischen Kreisen nicht allein. Die immer wieder in der Kritik stehende feministische Gruppe „Femen“ ist nicht nur für ihre Protestaktionen mit bemalten Brüsten bekannt, sondern auch für ihre immer wiederkehrende Islam- und Kopftuchkritik. Laut eines Berichts von „Vice“ bezeichnete die Femengründerin Kopftücher sogar mal als „Konzentrationslager“. Und auch wenn sich mittlerweile ein feministisch muslimischer Gegenverein gegründet hat, in dem muslimische Frauen betonen, sie müssten nicht befreit werden, wird Femen nicht müde vor Moscheen und in Islamkonferenzen zu protestieren.
Selbst der ansonsten hochangesehene Menschenrechtsverein „Terre des Femmes“, der sich den Slogan „Gleichberechtigt, selbstbestimmt und frei“ auf die Fahne geschrieben hat, hat eine klare Haltung gegenüber gläubigen muslimischen Frauen und Mädchen. Deutlich wurde dies in der letzten Vollversammlung des Vereins, in dem ein Kopftuchverbot für Minderjährige Mädchen gefordert wurde. Dieses Verbot solle mit Geldstrafen und polizeilichem Eingreifen durchgesetzt werden. Verbildlicht bedeutet diese geplante Vorgehensweise, dass Polizisten mehr oder weniger jungen Mädchen den Hijab vom Kopf reißen dürfen. Die „Süddeutsche Zeitung“ bezeichnete diese Forderung und die dazugehörige Argumentation, als „bestenfalls antiliberal und teilweise nahe am Rechtspopulismus“.
Von der Korandeutung zu queeren Musliminnen
Genau dieser Weltansicht möchte Lana Sirri, Genderforscherin und Junior-Professorin zu Gender und Religion an der Universität Maastricht, etwas entgegensetzen. Nicht nur mit ihrer Forschung, sondern allen voran mit ihrem Buch „Einführung in islamische Feminismen“, das gerade im Verlag w_orten & meer erschienen ist. So schrieb sie in einem Gastbeitrag in der „Welt“, dass es „eine der wichtigsten Aufgaben“ des islamischen Feminismus sei, „nicht nur patriarchale Unterdrückungsverhältnisse infrage zu stellen, sondern gerade auch die überhebliche Vorherrschaft des weißen Feminismus zu bekämpfen“.
In ihrem Buch, das ein Vorwort der Netz-Aktivistin Kübra Gümüşay enthält, räumt sie mit den gängigen frauenverachtenden Klischees des Islams auf. Sie verdeutlicht, wie die heiligen Schriften, ja es gibt mehr als den Koran, zustande gekommen sind, wie schwierig bis fast unmöglich es ist von DEM Koran zu sprechen und welche Mittel der Neuinterpretation zur Verfügung stehen. Dabei können die Leserinnen und Leser einen neuen Horizont dieser Religion erfassen.
Wie leben Musliminnen in Deutschland?
Zur Verdeutlichung und Vereinbarung von Islam und Feminismus unterteilt Sirri ihr Buch in drei Teile. Zuerst erklärt sie die islamischen Feminismen, danach beschreibt sie, wie der Koran feministisch gelesen werden kann, welche Probleme sich einem dabei in den Weg stellen können und zuletzt beschreibt sie wie sich das Leben als Muslimin in Deutschland anfühlt.
Für den letzten Teil gibt sie dem Leser nicht nur ihre eigene Lebensrealität zur Hand, sondern befragt muslimische Frauen verschiedener Orientierungen. Zum einen kommen die Queer Muslim_a*s zu Wort, die bekannte deutsch-muslimische spoken-word Poetin Fatima Moumouni und Dr. Nahed Samour, Rechts- und Islamwissenschaftlerin. Sirri macht in einem Vorwort des Kapitals noch einmal deutlich, dass „jeder Mensch für eine ganz eigene, komplexe Lebensrealität“ steht und auch in ihrem Buch nicht alle Perspektiven zu Wort kommen können.
Allerdings vereint diese Frauen, die ihren Glauben in Deutschland, mal mehr, mal weniger in ausleben, eines: Diskriminierung. Denn alle Frauen haben die Erfahrung gemacht, dass ihnen entweder Erleichterung entgegengebracht wurde, wenn sie kein Kopftuch getragen haben oder offen gezeigte Ablehnung, wenn sie es doch taten oder noch tun.
Weibliche Vorbeterinnen waren die Norm
Besonders eindrücklich an dem Buch fand ich, als jemand der selbst eine Zeit lang Islamwissenschaften studiert hat, Sirris Herangehensweise an bestimmte Hadithe. Diese sind Berichte und Überlieferungen der Lehren, Aussprüche und Handlungen des Propheten Mohammed. Da der Koran in mancher Hinsicht nicht ganz eindeutig ist, werden eben diese Hadithe benutzt, um zu verdeutlichen, was genau gemeint sein könnte. Das Problem ist allerdings, dass die Hadithe noch teilweise Jahrzehnte nach Mohammeds Ableben gesammelt wurden und somit ihre Richtigkeit vorerst nicht überprüft werden konnte.
Durch dieses Manko, ist es durchaus möglich, Hadithe zu verbreiten, die frauenfeindlich sind. Einer dieser frauenfeindlichen Hadithe ist der folgende von Abu Bakra: „Niemals werden Leute erfolgreich sein, die eine Frau zu ihrem Herrscher machen.“ Noch bis zur heutigen Zeit hat dieser Hadith großen Einfluss auf das untergeordnete Bild von Frauen in manchen muslimischen Kreisen.
Allerdings gibt es eine wissenschaftliche Herangehensweise, die glaubwürdige Überlieferungen von unglaubwürdigen unterscheiden soll und in islamischen Kreisen hochanerkannt wird. Nicht nur beschreibt Sirri diese Methode, sie macht auch Gebrauch von ihr, unter anderem an dem Beispiel von dem genannten Hadith. Damit beweist sie, dass der Islam keine starre Religion ist, sondern eine, die durchaus immer wieder überprüft werden sollte. Außerdem hebt sie Sirri hervor, wie wichtig und hoch angesehen Frauen zu Mohammeds Zeiten waren. Denn wer hätte gewusst, dass es zu Zeiten der Offenbarungen, anders als heute, eine weibliche Vorbeterin, keine Seltenheit, sondern die Norm war.
Ich möchte dieses Buch jedem, der sich weiter mit dem Thema beschäftigen möchte und eigentlich noch mehr denjenigen, die es nicht möchten, ans Herz legen. Denn so bauen wir nicht nur in unserer Mehrheitsgesellschaft Vorurteile ab, sondern können gemeinsam an einem offeneren Religionsverständnis arbeiten, das uns alle näher zusammenbringt, statt uns zu entfernen.
Lana Sirri: „Einführung in islamische Feminismen (axion)“, w_orten & meer, 2017, 176 Seiten, 11,00 Euro
Artikelbild: Jim Rhodes | flickr | CC BY-ND 2.0
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