Am 29. Juni startet mit „Axolotl Overkill“ die Verfilmung von Helene Hegemanns Debütroman in den Kinos. Wir haben mit ihr und Schauspielerin Jasna Fritzi Bauer über den Film gesprochen.
Axolotl Overkill: Ein Film über das Suchen, die Liebe und Entfremdung
Wie findet man sich in einem Leben zurecht, in dem alle nur auf sich selbst schauen, jeder ganz alleine auf sich selbst gestellt ist? Und das in einer Phase im Leben, in der man selbst eigentlich noch gar nicht so genau weiß, wer man ist und wohin man gehört, in der man Anker bräuchte, die so verwehrt bleiben? Genau mit diesem Zustand schlägt sich die 16-jährige Mifti in „Axolotl Overkill“ herum, der Verfilmung von Helene Hegemanns Debütroman „Axolotl Roadkill“, die am 29. Juni in den Kinos gestartet ist.
Hegemann hat aber nicht nur die Romanvorlage geliefert, sondern nun auch selbst Regie geführt und damit die Chance ergriffen, nach den Plagiatsvorwürfen um ihren Bestseller, mit den Stoff noch einmal etwas ganz Eigenes zu machen. „Aber es war weniger der unbedingte Wunsch, noch einmal an den Stoff ranzugehen als vielmehr die Angst, wieder missverstanden zu werden. Ich konnte das nicht in fremde Hände geben.“, erzählt sie, während sie es sich auf einem Sofa im Hotel Oderberger gemütlich macht. Hat sie denn nach der Rezeption ihres Debütromans Sorgen vor den Kritiken, liest sie die überhaupt noch? „Nein, weder die guten noch die schlechten Kritiken. Von den Guten sollte man sich aber noch weniger abhängig machen.“, sagt sie bestimmt. In dem Fall könnte sie es aber durchaus noch einmal wagen, denn Axolotl Overkill überzeugt, nimmt mit und lässt einen mit vielen Gedanken über die, die wir sind und wie groß die Entfremdung voneinander ist, zurück.
Bild: © 2017 Constantin Film Verleih GmbH| Lina Grün
Der Film erzählt von aufgehobenen Grenzen und einem Leben im Exzess, der weniger aus der Lust am Leben entsteht, sondern eher aus einem Überleben. Auf der Suche danach, wo es hingehen könnte, nach Verhältnissen, die Halt versprechen – nicht nur für Teenager Mifti, sondern auch für die Erwachsenen im Film, die es nicht vermögen (oder verweigern), Verantwortung für jemand anderes als sich selbst zu übernehmen. Für Helene Hegemann ist das eine realistische Skizze unserer Gegenwart. „In der bisherigen Rezeption des Filmes wird davon ausgegangen, dass der Film eine kaputte Szene zeigt. Das finde ich interessant, denn meiner Meinung nach ist das gar nicht so oder zumindest ist es keine übertriebene Darstellung der Verhältnisse. Ich glaube, der Film spiegelt gut wider, wie Menschen derzeit miteinander umgehen und wie sie gezwungen sind, sich auf sich selbst zu konzentrieren. Und das ist eher eine Beobachtung als eine Kritik.“
Und doch zeichnet der Film mit einer toten Mutter, einem mehr als egozentrischen Vater und Freunden, die mehr Übergang als Konstante sind, ein extremes Bild von einer Einsamkeit, die grundsätzlich jedoch viele junge Menschen in unterschiedlicher Ausprägung in ihrer Pubertät spüren. Jung sein, ist nicht immer eine schöne Angelegenheit, findet Helene Hegemann: „Als Teenager ist man auf jeden Fall irre, eine furchtbare Zeit. Dass Jugend immer so glorifiziert wird, ist mir ein absolutes Rätsel.“
Liebe ohne den Hollywood-Anstrich
Auf dieser Suche nach sich und nach Menschen, denen man ohne Misstrauen begegnen kann, geht es auch um die Liebe, die Mifti für die 30 Jahre ältere Alice empfindet – eine Affäre, die weder Exklusivität, noch eine Zukunft verspricht, ihr aber kleine, intime Momente der Nähe beschert. Man könnte sagen, es ist keine klassische Liebesgeschichte, und doch eine Geschichte, die von Liebe erzählt. „Ich finde, im Film gibt es die permanente Erfahrung von Liebe. Aber das ist nicht die Liebeserfahrung, die uns irgendwann mal von Hollywood-Filmen vorgeschrieben wurde. Es gibt im Film Liebe in Momenten, die nichts mit der Aussicht auf eine lebenslange Beziehung zu tun haben, sondern mit dem Ausreizen von einem sinnlichen Moment.“, sagt Hegemann. Aber was will Alice eigentlich von der 16-jährigen Mifti? „Alice findet Mifti einfach scharf. Das gibt’s doch immer wieder, dass man unabhängig vom Alter, dem Geschlecht oder der sozialen Schicht ein ähnliches Wesen erkennt, das man um sich haben will, das einfach da sein soll. Ob man mit diesem Menschen nun wandern geht, arbeitet oder Sex hat.“
Bild: © 2017 Constantin Film Verleih GmbH
Gespielt wird Mifti, die gerade ihre Mutter verloren hat und in eine WG mit ihren Halb-Geschwistern eingezogen ist, von Jasna Fritzi Bauer. Die 28-jährige Schauspielerin schlüpft nicht zum ersten Mal in die Rolle des schwierigen Teenagers. Hatte sie dennoch Respekt vor der Rolle? „Ich habe mir da ehrlich gesagt gar nicht so Gedanken darüber gemacht. Aber die Rolle hat sich schon abgehoben. Eigentlich hatte ich zu der Zeit keine Lust mehr, einen Teenager mit sozial schwachem Background zu spielen, was Mifti ja in dem Fall auch nicht wirklich ist, aber die Rolle hat mich dann doch angelacht, weil Mifti irgendwie anders ist als das was ich schon kannte.“
Auf die Frage, welche Rolle sie denn mal wirklich reizen würde, überlegt sie etwas und sagt dann lächelnd: „Einen Mafia-Boss vielleicht!“ Wie ist das Arbeiten, wenn die Regisseurin auch zeitgleich die Autorin ist, gibt es da noch mehr Vorgaben für die Schauspieler als gewöhnlich? „Sie hat uns viel machen und auch mal improvisieren lassen. Klar hat sie auch mal Sachen inszeniert, aber das war keine diktatorische Angelegenheit.“, erzählt Jasna Fritzi Bauer. Ein Ausprobieren, dass den teils emotional brutalen Szenen sicherlich gut getan hat. „Es gibt viele Szenen, in denen man kurz stockt“, sagt die Schauspielerin.“ „Oft deshalb, weil die Figuren einfach überhaupt nicht wissen, wie sie miteinander umgehen sollen.“
Und auch Helene Hegemann, die mit 16 Jahren das erste Mal Regie bei dem Kurzfilm „Torpedo“ führte, erzählt davon, dass eine Art Versuchsmentalität am Set wichtig für ihr Arbeiten ist. „Einerseits arbeite ich sehr impulsiv, andererseits geht das aber nur, wenn ich exakt über das, was wir da verhandeln wollen, Bescheid weiß und mich mit der Materie auskenne. Denn während andere Regisseure gerne behaupten, dass sie genau wissen, was sie da tun, weiß ich eigentlich nie, was ich will – ich versuche das am Set gemeinsam mit den Schauspielern herauszufinden.“ Das ist ihnen gelungen – „Axolotl Overkill“ ist ein Film, der berührt.
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