Foto: Yoori Koo | Unsplash

Ich habe es geschafft, die Selbstoptimierung im Urlaub zu vergessen – und es war grandios!

Einfach mal faulenzen im Urlaub, womöglich allein und sich dabei auch noch wohl fühlen? Geht das überhaupt? Unsere Community-Autorin hat einen Selbsttest gemacht.

 

Es war Zeit für absolute Ruhe 

Darf man das? Im Urlaub einfach mal nichts tun und ganz allein für sich sein? Mal ehrlich, nicht so wirklich, oder? Deshalb hatte ich einen einwöchigen Urlaub im Bayerischen Wald auch erst mal als Schreib- und Leseurlaub tituliert –hauptsächlich, damit ich nicht von Wandern sprechen musste. Alles, was ich mir erhoffte, war, eine ganze Woche lang einfach nur meine Ruhe zu haben, vor allem und jedem, inklusive Beziehung, Familie und Arbeit sowieso. Aber wem kann man schon sagen, dass man sich eine komplette Auszeit nehmen will, weil man sonst wahnsinnig wird oder zumindest einen unkontrollierten Schreikrampf bekommt? 

Nun, meine Partnerin hat es in der Tat verstanden, mich sogar noch bestärkt – und das nicht etwa, weil wir gerade eine schwierige Phase haben, im Gegenteil. Dafür hat sie meine uneingeschränkte Bewunderung. Sogar meine Mutter konnte sich mit der Aussage „Ich brauche einfach mal Zeit nur für mich“, anfreunden. Immerhin! Die letzten beiden Jahre hatten mir privat und beruflich einiges abverlangt, und die seltenen Urlaube waren eher Wochenendtrips mit Coaching und Weiterentwicklung oder Städtereisen mit strammen Programm. Erholung sieht anders aus – zu sich selbst finden ebenfalls.

Ein Hotel sollte es also sein 

Immerhin hatte ich davon Abstand genommen, mir allein eine einsame Hütte zu buchen, die übrigens für eine Woche für eine Einzelperson ungefähr genauso teuer gekommen wäre, mit dem Nachteil, dass ich selber hätte kochen und mich sonst wie hätte versorgen müssen. Den entscheidenden Ausschlag gab dann, dass ich sowohl auf die Hütte als auch ins Hotel meine Katze mitnehmen konnte. Die 4-Sterne waren dazu gut, dass ich ein gemütliches Zimmer haben würde, in dem ich einen größeren Teil meines Urlaubs schreibend verbringen wollte, und dessen genaue Größe ich mir zu diesem Zweck auch mitteilen ließ.

Das Wellness- und Sauna-Angebot nahm ich zum Zeitpunkt der Buchung als nettes Beiwerk wahr. Nur die Randnotiz, dass ein Aktivprogramm auch QiGong-Kurse im Angebot hatte, erreichte immerhin meine eingeschränkte Aufmerksamkeit. Soweit, so freakig vielleicht? Ich sah schon, dass mir der Ruf als einsame Katzenlady vorauseilen würde, die die meiste Zeit mit einem Buch oder Laptop auf dem Zimmer oder in einer Ecke sitzen würde. Blicke von anderen Gästen. Getuschel des Hotelpersonals. Und hätte ich das Werbevideo des Hotels mit der Aussage des Inhabers, dass sein Konzept auf Pärchen ausgelegt sei, vor meiner Buchung gesehen, ich hätte es mir wohl noch einmal überlegt. Aus dem weiteren Teil des Videos ging zwar hervor, dass er Pärchen im Gegensatz zu kompletten Reisebus-Gruppen meinte, aber dennoch. Ich reagierte leicht verschnupft, als ich das Video schlussendlich sah. 

Letztendlich war es mir dann aber egal. Ich musste die Woche sogar noch einmal verschieben, weil eine nicht zu verschiebende berufliche Verpflichtung dazwischenkam. Mittlerweile kam ich so auf dem Zahnfleisch daher, dass ich keine Rücksicht auf irgendwelche Blicke oder Wertungen von anderen nehmen konnte.

Nichts musste, alles durfte

Doch schon die Hotelmitarbeiter straften meinen Befürchtungen Lügen. Die Buchung ließ sich vollkommen unkompliziert verschieben und die Katze war nun wirklich gar kein Problem. Auf meinen Anruf am Anreisetag, dass ich verspätet ankommen würde, schlug man vor, mir ein kaltes Abendessen aufs Zimmer zu bringen. Und als ich den Zimmerservice am nächsten Morgen bat, die Tür immer zu schließen, damit die Katze nicht weglaufen würde, kamen sie erst mal verzückt an, um nach ihr zu sehen, fragten worauf sie sonst noch Rücksicht nehmen sollten. 

Ich war platt! Und so langsam kam ich an, an diesem etwas verregneten Urlaubsort in den Ausläufern des Bayerischen Waldes. Den ersten Tag verbrachte ich mit Schlafen, Lesen und ja, dem Wellness-Bereich. Nichts musste, alles durfte. Schon bei der Abfahrt hatte ich mir geschworen, dass ich mir nicht einmal mit dem Schreiben Stress machen würde. Ich hatte meine sämtlichen elektronischen Gimmicks von Laptop über Handy und Kindle dabei, mehrere Fachbücher über Psychologie, Trivialliteratur, die Passwörter für mein Online-Studium. Sogar meine Malutensilien. Mein gesamtes Spielzeug sozusagen, für den Fall der Fälle, sollte ich auf irgendetwas Lust bekommen. Nur ein paar Bücher blätterte ich am ersten Tag durch, am Spätnachmittag lockte mich das sich aufklarende Wetter nach draußen, und ich fuhr an die Donau hinunter, um ein paar Schritte am Ufer lang zu laufen.

Beim Abendessen ging der Inhaber von Tisch zu Tisch, fragte, ob alles zu meiner Zufriedenheit wäre, und was ich heute getan hätte. Ich muss ihn etwas perplex angesehen haben, denn er strahlte mich an und sagte: „Nichts?“ – Ich entspannte mich und lächelte ihn an: „Genau, und das war auch der Plan!“

Die Erlaubnis, nichts zu tun

Damit hatte ich mir sozusagen endgültig die Erlaubnis erteilt, nur das zu tun, wonach mir tatsächlich war. Ich erlaubte mir, es stündlich oder minütlich zu ändern. Wollte ich in die Sauna oder doch nicht? Wollte ich gar nichts? Sogar der einzige Termin des Tages zu einer im Preis inbegriffenen Massage irritierte mich, denn ich musste dafür die Uhr im Auge behalten. Ab und an bekam ich ein schlechtes Gewissen, dass ich das alles ganz allein genoss. Ohne meine Partnerin, der ein paar Tage Erholung sicher auch gutgetan hätten, die aus diversen Gründen aber nicht mitkonnte. Ich dachte an meine Mutter, der es nach dem Tod meines Vaters auch nicht gut ging. Manchmal dachte ich sogar daran, dass ich mir das alles leisten konnte, während andere kaum wussten, wovon sie die Miete bezahlen sollten.

Doch so langsam schob ich all das beiseite, erinnerte mich an mein Versprechen an mich selber: Kein Druck. Sei gut zu dir, sei nett zu dir, du hast es dir verdient. Du musst nicht mit Erfolgsmeldungen zurückkommen, es gibt nichts, das in dieser Woche liegenbleiben würde – und wenn, dann konnte es ein paar Tage auf mich warten. Und genauso langsam stellten sich die Kreativität und die Lust am Tun ein. 

Ich sah mir ein Video meines Psychologiestudiums an, überlegte, was ich überhaupt mit diesem Studium, das ich aus reinem Interesse begonnen hatte, und das nun in Stress auszuarten drohte, anfangen sollte. Ich schrieb mir Beobachtungen und Einfälle auf, plötzlich kamen mir neue Definitionen zu Worten wie Erfolg in den Sinn. Eigene Definitionen, keine angelesen. Manchmal erstaunlich einfache. Ich schrieb mir alles auf, aber sobald es mir zu viel wurde, klappte ich den Laptop zu, legte mich aufs Bett, ging eine Runde schwimmen oder in die Sauna. Und ich schrieb sogar extrem viel in den paar Tagen. Es machte mir Spaß, ich kam in einen Flow. Ich las auch viel – und wild durcheinander. Die Malutensilien hingegen blieben vollkommen unbeachtet liegen, was ebenfalls völlig in Ordnung war.

Selfness – Was soll das denn sein?

Übrigens sah mich niemand schräg an. Ja, ich war die meiste Zeit die einzige alleinreisende Frau. Aber das führte auch dazu, dass ich nicht einmal beim Essen gesellschaftliche Verpflichtungen hatte. Ich musste niemanden unterhalten, mit niemanden reden. Aber ich konnte, wann immer ich wollte. Oder ich las ein Buch, im Kindle, im Handy. Ich setzte mich sogar ein paar Mal in den verglasten Aufenthaltsraum oder auf die Terrasse, um zu schreiben. Oder einfach nur, um verträumt in die Landschaft zu schauen. Da unten, hinter dem Bergzug lag irgendwo die Donau, grub sich durch das Tal.  

Ich nahm völlig zwanglos an einem Einführungskurs für Qi Gong teil, auch etwas, das mich gefangen nahm, inspirierte. Der Trainer war ausgezeichnet, ich an zwei Tagen seine einzige Schülerin. Es machte mir nichts aus. Er versicherte mir, es habe ihm sehr viel Spaß mit mir gemacht. Er hat mir übrigens auch den neumodischen Begriff Selfness erklärt – aktiv für sich und seinen Körper und Geist zu sorgen, statt für sich sorgen zu lassen. Ich denke, die meisten von uns glauben, dass sie das ständig tun würden, für sich sorgen. Doch in Wahrheit haben wir längst vergessen, auf uns zu hören. Wir rennen Terminen und Verpflichtungen hinterher – oft übrigens selbst gewählten – ohne jemals zu hinterfragen, wie es uns damit wirklich geht, und ob wir wirklich wollen, was wir so unbedingt versuchen zu haben oder zu erreichen.

Meine Katze ist mein Vorbild 

Dieser Urlaub war für mich eine vollkommen neue Erfahrung. Und obwohl ich das Alleinsein und Fürmichsein herbeigesehnt hatte, war mir doch etwas bange, ob ich es auch wirklich durchhalten würde, ob ich mir vielleicht doch komisch vorkommen würde oder einsam. Nichts davon traf ein. Ich war ja nicht einsam, sondern hatte nur die Möglichkeit, den Rückzug zu wählen, wann ich das wollte. Ich hatte mich von Freunden und Familie abgemeldet, aber natürlich mit der Option, zu schreiben, wenn mir danach war. Nur eben ohne inneren Zwang, ohne Verpflichtung. Ich hoffe, dass diese Schwingung, einfach alles einmal zuzulassen, ohne sofort auf ein wie auch immer geartetes Ergebnis zu zielen, ein wenig anhält. 

Meine Katze hat im Hotelzimmer inzwischen alle Schlupflöcher gefunden, in denen sie sich verstecken kann, ohne von mir sofort gefunden zu werden. Sie hat sich hier ihren ganz eigenen Abenteuerspielplatz organisiert. Und ich denke mir, dass ich mir öfter etwas von ihr abschauen könnte. Sie will sich nicht ständig selbst verbessern, hat – soweit ich das beurteilen kann – nichts an sich auszusetzen. Sie macht keine Termine und hat auch kein Problem, einfach mal über mich drüber zu trampeln, wenn sie das für richtig hält, nur um mich im nächsten Augenblick anzuschnurren oder sich streicheln zu lassen. Ab und an sollten wir einfach mal alle Katze sein. Die kann nämlich ganz gut und aktiv für sich sorgen.

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