Wolfgang Gründinger ist Aktivist für Generationengerechtigkeit. Wir haben mit ihm über sein Buch „Alte-Säcke-Politik“ gesprochen und gefragt, was sich in Deutschland ändern muss.
Sorry for the inconvenience, but we are trying to change the world
Zu wenige junge Menschen entscheiden in Deutschland mit, findet Wolfgang Gründinger, Jahrgang 1984, der für sein Buch „Alte-Säcke-Politik“ gerade mit dem Preis „Das Politische Buch des Jahres“ ausgezeichnet worden ist. Darin analysiert er die aktuellen politischen Konzepte auf ihre Zukunftsfähigkeit hin und kritisiert, dass die Interessen jüngerer Menschen dort zu wenig stattfinden. Kurzum: Sie sind nicht langfristig durchdacht, denn die Chancen von jungen Menschen jetzt zu beschränken hindert eben diese daran, die Zukunft zu gestalten.
„Deutschland ist ein Land, das längst vergangene Stadtschlösser wieder aufbaut und gleichzeitig Jugendclubs schließt.“
Wir haben mit Wolfgang, der aktuell als Referent Digitale Transformation beim Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) arbeitet, SPD-Mitglied ist und im Vorstand der Stiftung Generationengerechtigkeit mitwirkt, darüber gesprochen, was sich ändern muss, damit es in Deutschland gerechter zugeht und junge und ältere Menschen gemeinsam an Ideen für eine gute Gesellschaft arbeiten.
Du hast ein Buch geschrieben, dass sich „Alte-Säcke-Politik“ nennt. Wie viele wütende alte Säcke schreiben dir jetzt täglich E-Mails oder bei Facebook, um sich darüber aufzuregen?
„So viele sind es gar nicht. Der Titel ist ja auch zwar frech, aber nicht bösartig gemeint. Und wer es liest, der merkt recht schnell, dass es nicht um plattes Alten-Bashing geht, sondern was wir tun können, damit die junge Generation in einer älter werdenden Gesellschaft nicht unter den Tisch fällt.“
Wen genau meinst du denn mit den „alten Säcken“?
„Politiker und Manager, die unsere Zukunft verspielen – und genügend von uns Bürgern, die sie tatkräftig dazu treiben oder jedenfalls untätig gewähren lassen. Meist über 50, männlich und saturiert. Allerdings können auch Junge schon die bildlich gesprochenen ,alten Säcke’ sein, wenn sie lieber Barrikaden um die Gegenwart errichten, als diese Barrikaden niederzureißen.“
Sind Angela Merkel und Martin Schulz auch alte Säcke?
„Offensichtlich, wenngleich in unterschiedlichen Nuancen. Angela Merkel thront als Garantin des Status Quo über einem eingeschlafenen Land. Ihr Wahlversprechen lautet solide Trägheit, und bloß nicht zu viel Reformeifer. Große Projekte hat sie nicht, geschweige denn eine Vision. Kein einziges Reformprojekt hat sie zu Ende geführt: Bildungsrepublik, Regulierung der Finanzmärkte, Energiewende, Elektromobilität oder digitaler Wandel: Überall regiert die Kanzlerin so vor sich hin und sonnt sich in alternativloser Beliebtheit. Sie bedient die Sehnsucht nach Vertrauen und Sicherheit, und simuliert Aktivität und Handlungsmacht, ohne aber aktiv zu sein oder zu handeln. Angela Merkel als Mutter aller deutschen Porzellankisten wird schon dafür sorgen, dass auch morgen das Essen auf dem Tisch steht. Weckrufe wollen wir keine, eher ein Weckglas, in dem die Gegenwart für immer luftdicht verschlossen und eingelagert werden kann. Martin Schulz hat wenigstens noch den Drang, das Land ändern zu wollen und nicht alles beim Alten zu belassen. Aber auch er hat zu wenig Gespür für so manche Zukunftsfrage, beispielsweise die digitale Transformation.“
Wirst du in Gesprächsrunden, wie zum Beispiel in Talkshows, in denen du immer mal wieder zu Gast bist, ernstgenommen?
„Häufig werde ich belächelt als der junge Unwissende, oder aber attackiert als der junge Schnösel, der den Alten ihre wohlverdiente Rente wegnehmen will. Das war früher sogar noch schlimmer. Je älter ich werde, desto mehr werde ich als Gesprächspartner respektiert. Das ist eine sehr traurige Beobachtung, dass man erst 30 sein muss, um für voll genommen zu werden.“
Findest du deine eigenen Forderungen radikal – oder triffst dieses Label die Ideen von jungen Leuten viel zu schnell?
„Weder würde ich mich mit 32 Jahren noch unbedingt als jung bezeichnen, noch bin ich sonderlich radikal. Ich möchte nur gemeinsam darüber sprechen, wie wir diese Gesellschaft enkeltauglich machen können, damit auch die Stimme der jungen Generation nicht im Getöse der Interessengruppen untergeht.“
Wolfgang Gründinger fordert Jugendquoten für alle Bereiche: Parteien, den Rundfunkrat etc., damit die Interessen junger Menschen dort verhandelt werden können. (Bild: pexels)
Der jungen Generation wird oft vorgeworfen, sie würde jammern und sei gleichzeitig faul. Woran machst du die Kluft zwischen den Generationen genau fest?
„Was davon stimmt: Meine Generation ist, alles in allem, in materiellem Wohlstand aufgewachsen. Ich musste nie hungern, hatte immer ein Dach über dem Kopf, und Internet, seit ich 15 bin. Dennoch erben wir keine schöne heile Welt. Wir spüren die Probleme nur noch nicht, die sich zwar unter der Oberfläche, dafür aber umso massiver zusammenballen. Die auf Kurzatmigkeit geeichte Politik verwaltet den Stillstand, auf dass sich die Gegenwart auf ewig verlängere. Deutschland ist ein Land, das längst vergangene Stadtschlösser wieder aufbaut und gleichzeitig Jugendclubs schließt; das über Nacht zig-milliardenschwere Rentenpakete schnürt, aber zugleich Förderprogramme für Kitas auf Eis legt, weil angeblich die Kassen leer sind; das Umgehungsstraßen baut, aber beim Ausbau von Glasfaser-Internet auf der Stelle tritt; dessen Schüler Latein und Altgriechisch lernen müssen, nicht aber Programmieren und Informatik; kurzum: das in der Vergangenheit schwelgt statt von der Zukunft zu träumen. Und das muss sich ändern.“
Du sprichst auch vom „Generational Pay Gap“, was sich wiederum darauf auswirkt, was jüngere Menschen überhaupt als Vermögen ansparen können. Was bedeutet das für jemanden, der heute 30 ist?
„Diese Lohnlücke zwischen Jung und Alt gibt es tatsächlich, und sie driftet immer weiter auseinander. Vor vierzig Jahren erhielten junge Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer noch etwa 12 Prozent weniger Lohn als ältere, heute sind es schon knapp 25 Prozent. Auch das Vermögen konzentriert sich immer stärker bei den Alten: Damals besaßen die Älteren pro Haushalt noch zweimal mehr als die Jungen, heute schon viermal mehr. Niedriglöhne und unsichere Beschäftigungsverhältnisse betreffen vor allem die Jungen, die teilweise sogar vom Mindestlohn ausgenommen sind. Wer nicht gerade in ein wohlhabendes Elternhaus geboren wurde, hat es schwerer als früher, sich eine Existenz aufzubauen.“
Und wie löst man das? Frauen wird ja beim Gender-Pay-Gap immer geraten, mehr Gehalt zu fordern.
„Mehr Souveränität bei Gehaltsverhandlungen ist auf jeden Fall angezeigt. Eigentlich müsste der demografische Wandel und der daraus resultierende Fachkräftemangel ja die Verhandlungsposition der Jungen stärken. Aber die sind zu bescheiden und fürchten, zu viel zu fordern und dann abgelehnt zu werden. So oder so muss aber auch die Politik handeln und beispielsweise auch junge Menschen unter 18 in den Mindestlohn einbeziehen und sachgrundlose Befristungen abschaffen. Und die Gewerkschaften müssten darauf pochen, dass die Einstiegsgehälter steigen.“
Und mal ein handfester Tipp von dir: Was ist denn die beste Strategie gegen Altersarmut, wenn ich heute anfangen will?
„Einen gut bezahlten Job haben und möglichst früh mit wenigen Unterbrechungen in die Rentenkasse einzahlen. Dann hast du auch die Garantie auf eine einigermaßen gute Rente. Dazu möglichst noch privat vorsorgen, entweder durch Kauf einer Wohnung oder durch Aktien oder Riesterrente. Andere Optionen wären, reich zu erben oder reich zu heiraten. Alle drei Optionen sind freilich nicht so einfach umzusetzen.“
Wer reich erbt, ist fein raus. Und der Rest? (Bild: pexels)
Wenn man sich die demografische Verteilung der aktuell Wahlberechtigten anschaut, kann man für die Bundestagswahl in diesem Jahr zu dem Schluss kommen: Menschen unter 40 haben auf das Ergebnis nur bedingt Einfluss. Wer uns in Zukunft regiert, wird von den Alten entschieden. Stimmt das?
„Das ist die Hauptthese meines Buches: Die Demografie prägt die Demokratie. Wenn ein Drittel des Wahlvolkes, ein Drittel der Gewerkschaftsmitglieder und die Hälfte der Parteimitglieder über 60 ist, kommt die Lebenswelt der Jungen kaum noch vor. Wer wiedergewählt werden will, der muss sich an den Alten orientieren. Und die haben bisweilen – nicht immer! – andere Lebensanschauungen und andere Interessen als viele Jüngere. Das führt zu Konflikten um Wertefragen und Ressourcen. Das ist normal, aber darüber müssen wir uns ehrlich streiten.“
Du forderst Jugendquoten – in allen gesellschaftlichen Bereichen. Aber um noch mal bei den Parteien zu bleiben: Wo sind denn die Jüngeren in den Parteivorständen? Wo sind die jungen Abgeordneten? Wollen sie nicht? Werden sie ausgegrenzt?
„Nur 2,5 Prozent der Mitglieder in den Volksparteien sind unter 30 Jahre alt. Die auf den Ortsverein zugeschnittenen Parteistrukturen passen nicht mehr in eine Welt, in der von den Jungen ständig unterwegs sind, dass sie an unterschiedlichen Orten inklusive dem Ausland studieren und Praktika auf der ganzen Welt machen sollen. Auch Inhalte und Kultur in den Parteien sind oft nicht das, was sich junge Menschen wünschen, und so bringen sie sich eben anderswo ein. Zugleich können die wenigen Jungen in den Parteien es nur dann nach oben schaffen, wenn sie es sich mit den Alten nicht verscherzen – und so im vorauseilendem Gehorsam das tun, von dem sie glauben, dass die Älteren das so wollen. Deswegen sind viele Jungpolitikerinnen und Jungpolitiker von den alten gar nicht zu unterscheiden, so wie sie sich kleiden und wie sie reden.“
Der Tod eines älteren Mannes, Frank Schirrmacher, hat mich damals sehr getroffen, weil ich ihn als eines der wenigen Bindeglieder zwischen den Generationen wahrgenommen habe, insbesondere im Themenfeld der Digitalisierung. Welche Intellektuellen oder anderen oder Vorbilder siehst du, die wichtige intergenerationelle Arbeit leisten?
„Frank Schirrmacher ist in der Tat ein schwerer Verlust. Es schmerzt mich, dass unsere traditionelle intellektuelle Elite bei den großen Zukunftsfragen unserer Zeit so versagt, insbesondere auch bei der Digitalisierung. Zum Glück gibt es einige, gerade auch junge Menschen, die in der Debatte ihre Spuren hinterlassen. Felix Finkbeiner ist so jemand, der schon mit neun Jahren anfing, die erfolgreichste globale Kinder-Klimaschutz-Organisation der Geschichte aufzubauen. Diana Kinnert ist eine Vordenkerin, die das Konservativsein in der CDU neu definiert. Oder Waldemar Zeiler, der Unternehmertum sozial und nachhaltig buchstabiert. Unter den Älteren waren oder sind es Menschen wie Bernie Sanders oder der inzwischen leider verstorbene französische Resistancekämpfer Stéphane Hessel, die junge Menschen begeistert haben. Ich würde nicht von Vorbildern sprechen, das klingt so überhöht. Aber das alles sind Menschen, die mich immer wieder inspirieren und anspornen, weiterzumachen.“
Jung vs. Alt ist nicht die einzige Konfliktlinie in unserer Gesellschaft. Diskriminierung existiert auch nach wie vor aufgrund des Geschlechts, der Herkunft, der Hautfarbe. Wie fließt das in deine aktivistische Arbeit ein?
„Der primäre Konflikt unserer Gesellschaft ist vermutlich der Konflikt zwischen Arm und Reich. Du sagst richtig, es gibt auch Konflikte zwischen Männern und Frauen, Schwarzen und Weißen, und anderen Gruppen der Gesellschaft. Das sind die so genannten ,Mehrfachbetroffenheiten‘, die man in jeder Analyse immer berücksichtigen muss. Wer jung ist und reich erbt, um den sorge ich mich nicht. Der hat nämlich im Zweifelsfalle mehr als genug Geld und Netzwerke, um sich durchzusetzen. Ich sorge mich eher um die knapp 20 Prozent Kinder in Deutschland, die in Armut aufwachsen. Diese Kinder haben keine Perspektive im Leben, keine Hoffnung auf sozialen Aufstieg. Hier müssen wir entschieden und beherzt handeln. Aber der Satz ,Kein Kind darf zurückbleiben‘ ist eben schneller gesagt als getan.“
Wolfgang Gründinger: „Man stelle sich vor, jede und jeder unter 35 wäre in einer politischen Initiative“. (Bild: Jerry Kiesewetter | unsplash)
Hast du eine Forderung an deine eigene Generation?
„Wir müssen uns besser organisieren. Man stelle sich vor, jede und jeder unter 35 wäre in einer politischen Initiative, einer Gewerkschaft oder einer Partei aktiv – nicht unbedingt mit Amt und Würden, aber mit Herzblut. Man stelle sich vor, ein Verein wie die Digitale Gesellschaft oder die Stiftung Generationengerechtigkeit hätte hundertmal oder tausendmal mehr Unterstützer. Und nun stelle man sich vor, das könnte tatsächlich wahr werden – das würde Gewaltiges in Gang setzen.“
Was motiviert dich, weiter aktiv für Generationengerechtigkeit zu sein?
„Meine Freundinnen und Freunde, die Unglaubliches erreichen. Ein Beispiel: Zwei Aktivisten, Martin Speer und Vincent-Immanuel Herr, haben die EU überzeugt, jedem jungen Menschen zum 18. Geburtstag ein Interrail-Ticket zu schenken. Und da sage noch einmal wer, man könne nichts verändern.“
Du forderst ein Wahlrecht für Kinder. Was macht die Analyse der gesellschaftlichen Situation denn aktuell mit dir: Lieber keine Kinder in diese Welt setzen oder ganz viele bekommen, damit sie von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen können, sobald das Kinderwahlrecht da ist?
„Unter Kinder und Jugendlichen bekommt die Tierschutzpartei deutlich mehr Stimmen als die AfD. Insofern kann es gar nicht genug Kinder geben.“
Das Buch von Wolfgang Gründinger „Alte-Säcke-Politik: Wie wir unsere Zukunft verspielen“ ist im Gütersloher Verlagshaus erschienen (224 Seiten, 17,99 Euro).
Mehr bei EDITION F
„Warum seid ihr in die Politik gegangen?“ Fünf Frauen aus fünf Parteien haben geantwortet. Weiterlesen
Peter Tauber: „Demokratie ist oft mühsam und manchmal auch nervig. Aber genau das macht sie aus“. Weiterlesen
Altersarmut: Das sind die größten Fehler, die Mütter in Bezug auf Geld und Beruf machen können. Weiterlesen