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Gibt es das Recht auf ein eigenes Kind?

Wer ein Recht auf Fortpflanzung damit gleich setzt, dass man ein Recht auf ein eigenes Kind hat, irrt – schreibt Kinderwunsch-Coach Franziska Ferber. Sie hat sich Gedanken zu einem aktuellen Urteil in München gemacht.

 

Wir müssen die Debatte über Reproduktionsmedizion weiterführen

In München wurde vergangene Woche ein Urteil in einem Fall verkündet, bei dem eine Frau auf die Herausgabe der eingefrorenen Spermaproben ihres verstorbenen Mannes klagte. Ich bin keine Juristin, sondern Kinderwunsch-Coach, doch gerade, weil ich die Psyche wie auch die Rahmenbedingungen eines solchen Falles im Blick habe, mache ich mir so meine Gedanken zu diesem Urteil. Der Richter, der auf mich im Übrigen sehr abgewogen gewirkt hat, hat die Klage abgewiesen – die Frau wird also die Sperma-Proben ihres toten Mannes aller Wahrscheinlichkeit nach nicht bekommen.

Zunächst tut mir diese Frau von Herzen leid! Nicht nur, dass sie und ihr Mann sich sehnlichst ein Kind wünschten und sehr viel dafür in Kauf genommen haben, nun hat sie auch noch ihren Mann verloren. Sie ist Witwe. Eine kinderlose Witwe. Beides ist ganz sicher nicht ihr Wunsch gewesen – ganz im Gegenteil. Mein volles Mitgefühl gilt dieser Frau und ihrem Schicksal und ich wünsche ihr viel Kraft!

Über das Recht auf Fortpflanzung

Wir haben in Deutschland ein juristisch verankertes „Recht auf Fortpflanzung“. Und das ist auch gut so, denn somit besteht im weiteren Sinn auch die Möglichkeit, finanzielle Zuschüsse von den Krankenkassen zu reproduktionsmedizinischen Maßnahmen zu bekommen. Aus meiner eigenen Erfahrung als „Kinderwunschlerin“, aber auch als Kinderwunsch Coach sehe ich das „Recht auf Fortpflanzung“ jedoch kritisch. Es gibt – bei allen medizinischen Möglichkeiten im In- und Ausland – schlicht kein solches, einklagbares Recht auf Fortpflanzung. Das kann es gar nicht geben.

Viele von uns mussten erfahren, dass ihre Kinderwunschbehandlungen am Ende ohne den gewünschten Erfolg, ohne Schwangerschaft und ohne Wunschkind, verlaufen sind. Viele nehmen sehr, sehr viel für diesen Wunsch auf sich und strengen sich über alle Maßen an, nur um am Ende kinderlos zu bleiben. Ist das dann das Ergebnis von einem Recht auf Fortpflanzung? Ich glaube nicht.
Wir haben also (k)ein Recht auf Fortpflanzung. Die Kinderwunschärzte wissen selbst in letzter Konsequenz nicht, was schließlich zu einer Schwangerschaft und später zu einem gesunden Kind führt.

Kinderwunschbehandlung: es gibt Hilfe, aber kein Versprechen

Die Kinderwunschärzte, mit denen ich spreche, sagen unisono, dass sie viel tun können um einem Paar zur ersehnten Schwangerschaft zu verhelfen; viel mehr als noch vor ein paar Jahren. Aber sie sagen auch, dass sie es letzten Endes auch als Experten nicht in der Hand haben.

 Es bleibt ein Rest Unsicherheit, ein Rest Unberechenbarkeit, ein Rest Schicksal, ein Rest Glaube – alles Dinge, die auch mit allen medizinischen Mitteln nicht überwindbar sind. Am Ende kann nicht jedem Paar geholfen werden. Am Ende bleiben viele kinderlos. Die Statistiken zeigen es mit nüchternen Zahlen. Die „baby take home“-Raten sind immer noch niedrig; auch wenn so manch Einer das anders (weil kumuliert) bewertet.
Ich habe diese Unsicherheit, diese Unberechenbarkeit, dieses Schicksal am eigenen Leib erfahren und mit all meinen Kräften und meinem Glauben aushalten müssen.

Wer ein Recht auf Fortpflanzung damit gleich setzt, dass man ein Recht auf ein eigenes Kind hat, irrt. Nicht im juristischen Sinn, sondern im ethischen. Jedenfalls zeigt die Realität das, so schlimm es auch ist. Wir haben in Deutschland ein deutlich über 20 Jahres altes Embryonenschutzgesetz. Vieles von dem, was wir schützen, ist richtig wie ich finde. Aber vieles entspricht auch einfach nicht mehr dem Stand der Zeit.

Im Fall der Frau, die klagte, frage ich mich, ob es einen Unterschied gemacht hätte (ethisch, aber auch juristisch), wenn sie beispielsweise in Form einer Patientenverfügung den Willen des schwer erkrankten Mannes verankert hätten. Wenn belegt worden wäre, was sein Wille ist? Wenn sie besprochen hätten, ob es vertretbar ist, ein Kind zu zeugen, wenn der biologische Vater bereits verstorben ist. Sein menschliches Erbgut weilt (noch) in einem „Hochsicherheitstrakt“ in einer Kinderwunschklinik in einem, vermutlich durch Alarmanlagen gesichertem, „Kryo-Fass“ bei ca. minus 180 Grad und wird vermutlich vernichtet werden. Die Frau bleibt alleine zurück – ohne Mann und ohne Kind; und nun auch ohne Chance auf ein (gemeinsames) Kind.
Wir haben ein Recht auf Fortpflanzung. Juristisch ist das anders zu betrachten als menschlich und ethisch. Es gibt eine juristische Wahrheit und eine menschliche. Eine menschliche Wahrheit, die eines von sieben Paaren in unserem Land erleben und aushalten müssen.

Es gibt kein Recht auf ein eigenes Kind

Wenn wir glauben, ein Recht auf Fortpflanzung zu haben, dann erscheint es einem so als würde damit auch ein Recht auf ein eigenes Kind einhergehen.
Sechs Millionen Menschen in Deutschland wünschen sich ein Kind und werden nicht schwanger. Etwa 80.000 Kinderwunschbehandlungen werden Jahr für Jahr in Deutschland vorgenommen. Das sind 80.000 Fälle voll Hoffnung auf das Recht auf Fortpflanzung. Bei ca. zwei Millionen Menschen werden diese dauerhaft enttäuscht, denn sie haben keine Möglichkeit sich fortzupflanzen; trotz aller Bemühungen.

Wer weiß, wie viel Leid mit dem unerfüllten Kinderwunsch einher geht, wird diese Frau und ihr Schicksal aber auch ihren Wunsch nach Klärung und ihre Hoffnung vermutlich nachvollziehen können. Die juristische Betrachtung ist bis auf die Möglichkeit der Revision abgeschlossen. Für mich bleiben dennoch viele Fragen offen.

Müssen wir das Embryonenschutzgesetz ändern?

Es gibt Stimmen aus dem Bundesministerium für Gesundheit, die besagen, es gäbe keine Notwendigkeit, das geltende Embryonenschutzgesetz zu ändern, weil darin geltende Grundpfeiler für die Reproduktionsmedizin festgelegt worden wären. Nun, ich glaube, an diesen Pfeilern nicht zu rütteln, birgt vor allem auch die Sorge davor, dass dies mit einer sehr tiefen, wertegetriebenen gesamtgesellschaftlichen Betrachtung einhergehen müsste. Wie das aussehen kann, haben wir im Zuge der Debatten um die Patientenverfügung, der Sterbehilfe aber auch der Organspende erlebt. War das schlecht für unser Land, für unsere Gesellschaft? Ich glaube nicht.

Ich glaube hingegen, dass man vielleicht einfach froh ist, diese Pfeiler im Embryonenschutzgesetz zu haben, weil sie eine klare Richtung vorgeben. Eine Richtung, die wir irgendwann einmal verabschiedet haben. Weshalb also daran rütteln? Eine Debatte, so nötig ich sie finde, über eine Aktualisierung dessen, was vor über 20 Jahren und auf einem vollkommen anderen medizinischen Wissensstand festgelegt wurde, würde vermutlich auch eine gesellschaftliche „Unruhe“ bedeuten. Ich persönlich bin aber der Meinung, dass im Verlauf der letzten 20 Jahre viele neue Fragen (auch durch den medizinischen Fortschritt) aufgekommen sind und wir als Gesellschaft gut daran täten, diese für uns zu klären.

Ja, es sind sehr schwierige Themen, die sehr viel mit den eigenen Werten und dem eigenen Glauben zu tun haben. Aber das soll uns nicht scheuen. Wir brauchen den Diskurs – auch und vor allem über die ernsten, schweren Themen des Lebens. 

Österreich hat sich dieser Debatte gestellt und Neuerungen in Gesetzesform gegossen. Österreich hat sich dem Diskurs gestellt und so ist dort nun die Eizellspende erlaubt. Wie kann es sein, dass wir in Deutschland die Eizellspende nicht erlauben, aber gleichzeitig ermöglichen, dass kryo-konservierte befruchtete Eizellen – statt verworfen zu werden – an andere Paare gespendet werden dürfen? Ich befürworte beides. Jede Frau und jedes Paar muss das im Einzelfall für sich entscheiden. Aber möglich sein sollte es.

Reproduktionsmedizin: Sind wir schon am Ende der Debatte angekommen?

Weshalb stellen wir uns nicht auch dieser Debatte? Warum klären wir in unserem Land nicht, wie wir es mit der Eizellspende (vgl. den Gleichheitsgrundsatz; eine Spermaspende ist ja erlaubt – eine Eizellspende nicht), der Nutzbarkeit von Sperma über den Tod eines Menschen hinaus, der weiteren Fremdspermaspende und andere offene Fragen in unserer heutigen Gesellschaft, die sich ja durchaus in den vergangen 20 Jahren verändert hat, umgehen wollen?

Nicht falsch verstehen: Ich befürworte nicht die Grenzenlosigkeit der Reproduktionsmedizin; ganz und gar nicht. Aber ich möchte eine Debatte. Ich möchte, dass wir uns ernsthaft und mit der entsprechenden Zeit und Würde damit auseinander setzen, was wir bereit sind gesellschaftlich zu tragen – und was auch nicht. Ein über 20 Jahre altes Gesetz einfach weiterbestehen zu lassen, weil wir nicht diskutieren und Widersprüche aushalten möchten, das ist für mich keine Lösung.

Für die Frau geht jetzt ein kinderloses Leben ohne ihren Partner, als Witwe, weiter. Möge sie die Kraft finden, sich mit ihrem Schicksal zu versöhnen. Ich wünsche ihr von Herzen Kraft und danke ihr dafür, dass sie mit diesem Gerichtsverfahren einen Fokus darauf gelenkt hat, wie unterschiedlich das Embryonenschutzgesetz im Vergleich zur menschlichen Wahrnehmung ausfallen kann.

Es wird Zeit, dass wir über das diskutieren, was unser Land heute in Bezug auf die Reproduktionsmedizin erlauben möchte. Ergebnisoffen und wertschätzend. Mit Zeit, Güte und Werten. Ich finde: Wir müssen die juristischen, menschlichen und ethischen Fragen und Grenzen klären. Manches wird Bestand haben – anderes wird anders werden. Aber Hauptsache, wir klären das. Für uns Menschen in Deutschland.

Dieser Text ist zuerst auf Kindersehnsucht.de erschienen. Wir freuen uns, ihn auch hier veröffentlichen zu können.

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