Ein Arbeitsvertrag über zwei Monate, verlängert um noch einmal zwei, übergehend in eine Elternzeitvertretung und im Anschluss ein halbes Dutzend weitere Befristungen – alles bei einem einzigen Unternehmen. Eine Ausnahme? Nein, leider der Regelfall – zum Schaden von Mitarbeiter*innen und Arbeitgebern.
Von Befristung zu Befristung
Wenn es ein Merkmal unserer Generation gibt, dann das der Ordner mit den Arbeitsverträgen oft dicker ist als der mit den Verdienstabrechnungen. Zumindest für Geisteswissenschaftler ist es der Normalzustand, dass nach dem Studium eine Befristung die nächste jagt. Ein Zweijahresvertrag gilt schon als Luxus. Das betrifft nicht nur Krankheits- oder Elternzeitvertretungen, sondern dehnt sich auch auf normale Beschäftigungsverhältnisse aus. Rein rechtlich ist das verboten: Ohne sachlichen Grund darf ein Vertrag nur dreimal innerhalb einer Zweijahresfrist verlängert werden. Viele Unternehmen finden aber Mittel und Wege, das zu umgehen oder ignorieren es schlicht – und gerade Berufsanfängern bleibt oft keine andere Wahl, als sich auf das Spiel einzulassen. Doch warum nutzen Unternehmen die wiederholte Befristung überhaupt? Für mich steht fest: Langfristig schadet es den Unternehmen, ihren Mitarbeitern immer wieder neue Verträge zu geben.
1. Zwischen zwei Stühlen
Das Absurde an Arbeitsverträgen, die nur ein paar Wochen dauern, ist: Man unterschreibt sie und muss zeitgleich beim Arbeitsamt melden, dass man wieder arbeitssuchend ist. Denn wer keine Nachteile beim Arbeitslosengeld I bekommen will, muss sich mindestens drei Monate vor Vertragsende beim Arbeitsamt melden. Der Kopf kann nicht bei einem Projekt sein, wenn der Hinterkopf sich schon um Bewerbungen und Papierkram mit dem Arbeitsamt kümmern muss. In der Folge heißt das: Viele Mitarbeiter sind so oft hintereinander befristet, dass sie zwar mehrere Jahre bei einem Unternehmen angestellt, aber dauerhaft arbeitssuchend gemeldet sind. Wer konzentrierte Mitarbeiter haben will, sollte ihnen eine Perspektive bieten.
2. Verlust von Wissen für das Unternehmen
Insbesondere im ersten halben Jahr muss ein Unternehmen eine neue Mitarbeiterin oder einen neuen Mitarbeiter erst einmal einarbeiten. Bis man alle Abläufe und Strukturen in einem Unternehmen kennt, dauert es eben. Und gerade erfahrene Mitarbeiter sind wertvoll für ein Unternehmen. Gehen sie schnell wieder, verschwindet auch viel Expertise. Chefinnen und Chefs sollte klar sein: Winkt Mitarbeitern irgendwo ein Vertrag, der unbefristet ist oder wenigstens auf mehrere Jahre befristet ist, verlassen sie den Job für den, der ihnen mehr Sicherheit bietet.
3. Unsicherheit auch im Privatleben
Eine Wohnung zu mieten ist fast aussichtslos: Vermieter wollen feste Verträge sehen. Und: Wo sollte man überhaupt eine Wohnung mieten, wenn eh nicht klar ist, wie lange man noch in dem Stadtteil oder der gar der Stadt arbeitet? Aus dem Koffer zu leben und nach der Arbeit noch nach weiteren Zwischenmietlösungen suchen, zerrt an den Nerven. Von Arbeitnehmern wird gerade bei kurzfristigen Verträgen verlangt, innerhalb von ein bis zwei Wochen die neue Arbeitsstelle anzutreten. In Großstädten wie Hamburg, Berlin, Köln oder München – also da, wo besonders viele Jobs im atypischen Beschäftigungsverhältnis sind – wartet der Wohnungsmarkt nicht gerade auf Neuankömmlinge ohne festen Job. Es ist deswegen keine Seltenheit, dass man wochenlang bei Freunden auf dem Sofa schlafen muss – übernächtigte Mitarbeiter mit mangelnder Privatsphäre bringen sicher nicht die kreativsten Ergebnisse.
4. Planung? Ja, bis zur nächste Woche
Arbeitsverträge, die so kurz sind und keinerlei private Planung zulassen, haben für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weitreichende Konsequenzen: Oft umfasst etwa der Urlaubsanspruch nur wenige Tage, so dass ein längerer Urlaub am Stück unmöglich wird und irgendwann die Kraft für die Arbeit zur Neige geht. Das kann man kurzfristig durchhalten, aber nicht über Jahre. Schwierig wird es vor allem für Paare, noch schwieriger für Paare in Fernbeziehungen. Und wer nicht weiß, ob er im nächsten Monat noch einen Job hat, denkt erst recht nicht an Kinder. Klar, dass qualifizierte Mitarbeiter dann schnell das Weite suchen, auch wenn es ihnen grundsätzlich im Job gefällt.
5. Fehlende Wertschätzung der Mitarbeiter
Wertschätzung ist für viele Arbeitnehmer eine größere Motivation als das Gehalt. Bei kurzen Verträgen kommt sie aber viel zu kurz. Hier habe ich schon alles erlebt: Erste Arbeitstage, ohne dass ein Schreibtisch vorhanden war oder eine Mail-Adresse eingerichtet wurde. Einarbeitungsrunden, an denen nur Festangestellte teilnehmen, weil die Projektmitarbeiter schlicht vergessen wurden. Arbeitsverträge, die erst einen Monat nach Beginn des Arbeitsverhältnisses vorlagen. Was bleibt, ist ein fader Beigeschmack, nicht gut behandelt worden zu sein – nicht gerade förderlich für den Ruf eines Unternehmens, gerade in Zeiten, in denen Nachhaltigkeit groß geschrieben wird.
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