Paula hat schon viele Babysitting- und Kinderbetreuungsjobs gemacht und fragt sich: Warum haben so viele Eltern kein Problem damit, ihre Kinder sofort und ohne Eingewöhnung völlig fremden Personen zu überlassen?
Den Kindern Zeit geben
In Kitas steht in Deutschland überhaupt nicht zur
Debatte, ob es eine Eingewöhnungszeit gibt oder nicht. Sie ist einfach vorgesehen. Es gibt verschiedene Modelle und Leitfäden, an denen man sich die Einrichtungen bei der Eingewöhnung orientieren können. Manchen bekannt ist vielleicht das Berliner
Eingewöhnungsmodell.
Das Berliner Eingewöhnungsmodell wurde vom Institut
für angewandte Sozialisationsforschung/Frühe Kindheit e.V., kurz
„Infans“, entwickelt. Wichtigste theoretische Grundlage ist die
Bindungstheorie nach John Bowlby. „Die Eingewöhnung dauert insgesamt ein
bis drei Wochen, wobei die individuelle Dauer einer Eingewöhnung immer
das Kind selbst durch sein Verhalten und seine Reaktionen bestimmt“, heißt es. Mehr dazu kann man hier nachlesen.
Leider machen Nannys oder Babysitter oft andere Erfahrungen: Dann wollen die Eltern in den meisten Fällen so schnell wie
möglich weg oder in die Arbeit. Ich finde es problematisch, wenn ältere Kinder von Familienangehörigen, Freunden oder Nachbarn, die man hier und da nur flüchtig gesehen hat, als Babysitter engagiert werden. Plötzlich sollen diese kleinen
Geschöpfe mit einer Person alleine bleiben, die sie kaum kennen.
Gedankenexperiment
Stellen
wir uns nun vor, wir sind um die drei oder vier Jahre alt. Wir gehen
eine Familie besuchen, die wir regelmäßig sehen und mit deren Kindern wir uns auch gut verstehen, zusammen mit unserem
größeren Bruder und unserer Mama. Diese Familie hat eine Nanny, die wir das letzte Mal vor einem
halben Jahr gesehen haben, für weniger als fünf Minuten, die vorherigen
Treffen liefen ähnlich ab. (So richtig „kennengelernt“ hatte uns
die Nanny vor über einem Jahr bei einem Besuch, aber das wissen wir nicht mehr. Und jeder, der mit Kindern zu tun hat, weiß auch, wie sehr sie sich verändern innerhalb eines Jahres.)
Wir können uns also kaum an sie erinnern, sie ist uns fremd, wie auch wir ihr fremd sind. Wir sollen zusammen mit ihr und dem
kleinen Baby zum Mittag essen, alle anderen sind hektisch, niemand
sagt uns aber, was passieren wird. Da wir sehr aufgeregt sind und müde,
wollen wir aber nicht essen, wir wollen sehen, was die anderen machen und
steigen vom Tisch. Da beruhigt uns unsere Mutter und legt uns zum Einschlafen in den
Wagen.
Mami ist weg!
Plötzlich wachen wir auf,
rufen nach Mama, doch statt der Mama steht diese fremde Frau vor
uns. Sie ist zwar nett, aber wir sind verunsichert, haben Angst. „Mami?“
schreien wir immer wieder. Die Nanny erklärt uns zwar alles, aber wir
verstehen es nicht. Sie holt uns aus dem Wagen, wir rennen los, reißen
jede Tür auf, schauen nach der Mami, schreien aus vollem Hals ihren
Namen, während wir fürchterlich weinen. Die Nanny versucht uns die Jacke
auszuziehen, wir schlagen wild um uns. Das Baby wacht auf, völlig erschrocken von unserem Gebrüll, fängt es auch an zu
weinen. Die Nanny versucht uns zu beruhigen, doch wir haben zu große
Angst, Panik. „Wo ist meine Mami? Ich kenne die Frau doch gar nicht.
Kommt meine Mami wieder? Warum hat sie mich nicht mitgenommen, als sie
ging, aber meinen Bruder schon? Hat Mami mich nicht mehr lieb?“ Das und
anderes würde uns allen im Kopf rumgehen, wenn wir an der Stelle des
Kindes gewesen wären. Alles andere als schön, oder?
Vertrauensbruch
Diese
Situation ist für die Nanny und vor allem für das Kind sehr belastend,
vom Baby ganz zu schweigen. Viele unterschätzen auch, was das bei einem
Kind anrichten kann. Als Erzieherin in einer Kita traf ich auf Eltern, die sich immer aus dem Haus schlichen, sobald das Kind in die Gruppe ging, ohne sich zu
verabschieden, da sie das Geschrei nicht ertrugen, das ein bewusster Abschied manchmal eben mit sich gebracht hätte. Irgendwann konnten sie das Kind
keine halbe Minute mehr alleine lassen, da das Kind immer Angst hatte, Mutter oder Vater würden wieder „verschwinden“. Für das Kind ist es ein
extremer Vertrauensbruch, auch wenn es das so nicht kommunizieren kann,
wenn Eltern sie einfach irgendwo „abladen“, bei Fremden ohne vorherige
Eingewöhnung oder Vorbereitung. Wenn man als Babysitter dann am Abend die Eltern auf das
Geschehene hinweist, wird es lapidar unter den Tisch gekehrt.
Wir vertrauen auch nicht gleich jedem, oder?
Warum
erwarten dann manche Eltern, dass ihre Kinder sich im Nullkommanix an
fremde Betreuungspersonen gewöhnen? Sind nicht wir Erwachsene diejenigen, die den Kindern immer wieder sagen: „Geh nicht mit Fremden
mit“? Aber wenn es uns Großen dann beliebt, dürfen und sollen die Kinder eine
Ausnahme machen? Nein, sie müssen sogar, da sie sich nicht wehren
können! Außerdem müssen sie auch damit klarkommen, dass die betreuende
Person ihnen an die Wäsche geht, um ihnen die Windel zu wechseln. Tolle
Vorstellung, nicht? Eine ganz fremde Person, die man kaum kennt, zieht
einen nackt aus!
Kinder funktionieren nicht, wie wir das wollen
Ich
war mal als Kinderbetreuerin auf einer Hochzeit, zusammen mit einer
zweiten Frau. In einem Zelt, in dem sich auch die Eltern der Kinder
aufhielten, sollten wir in einer Ecke die Kinder bespielen von 14 bis 22
Uhr. Dumm nur, dass die Erwachsenen ständig an dem Eck vorbeiliefen,
die Kinder ständig abgelenkt waren durch die Großen und das Geschehen um sie herum, und so ein Miteinander nicht entstehen konnte. Einen anderen
Raum gab es nicht, da die Hochzeit auf einem Bauernhof stattfand
(das alles wurde ganz, ganz toll von einer Nanny-Agentur organisiert!)
Lange Rede, kurzer Sinn: Die Braut, die selbst ein Kind hatte, das
von uns betreut werden sollte, beschwerte sich in einer unmöglichen
Lautstärke vor allen Gästen, was für besch….Betreuerinnen wir wären, sie
würde sich bei der Agentur beschweren, wir könnten ja nicht mal die
Kinder von den Erwachsenen fernhalten (damit sich diese in Ruhe unterhalten, tanzen und essen konnten.)
Ja, natürlich! Wir bauen am
besten eine unsichtbare Wand auf, damit ihr eure Kinder nicht ertragen
müsst. Ein kleiner separater Raum, in dem man die Kinder betreuen könnte, wäre ja zu viel verlangt. Da es regnete, konnten wir auch nicht raus, und wie ihr
euch vorstellen könnt, hatten die Kinder ihre besten Sonntagsoutfits an.
Ja, aber wir waren natürlich schuld, dass die Kinder (zehn Kinder zwischen eineinhalb und sieben Jahren) lieber mit den Eltern zusammen sein wollten, als mit zwei ihnen wildfremden Frauen in einem Eck eingepfercht über acht Stunden! So
funktionieren Kinder nicht! So funktioniert auch Kinderbetreuung auf einer Hochzeit nicht! In diesem Fall hätte selbst eine eins-zu-eins-Betreuung nichts
gebracht, also bitte. Diese Dame wird bestimmt noch ihren Enkeln davon
erzählen wie die schrecklichen Kinderbetreuerinnen ihre Hochzeit
ruiniert haben.
Nötige Zeit gewähren
Wie auch wir
Erwachsenen, brauchen Kinder Zeit, um Vertrauen zu fassen, den Menschen
kennenzulernen, um gern mit ihm Zeit zu verbringen. Es muss eine
Basis vorhanden sein, bevor wir sie wickeln, sie füttern, ihre Tränen
trocknen – all das eben, was eine Kinderbetreuerin so macht. Warum
verwehrt man den Kindern dieses Recht in einem privaten Haushalt? Oder
zu anderen Anlässen? Warum mutet man dem Kind so etwas zu? Ich hoffe, dieser
Beitrag hat einige zum Nachdenken gebracht. Wie handhabt ihr das mit
der Eingewöhnung mit dem Babysitter oder der Nanny?
Dieser Text erschien zuerst auf Paulas Blog. Wir freuen uns, dass sie ihn auch hier veröffentlicht.
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