Die Welt wird schnelllebiger, die Anforderungen an Mitarbeiter in Unternehmen steigen. Gleichzeitig gewinnt das Trendthema Achtsamkeit auch in der Wirtschaft an Bedeutung und erfordert neue Kompetenzen.
Meditierende Manager?
Das Deutsche Zukunftsinstitut hat zu Beginn des Jahres eine Prognose über die Megatrends der kommenden Jahre veröffentlicht. Einer davon ist – man höre und staune – Achtsamkeit, ein Begriff aus den universalen Weisheitslehren aller Kulturen. Matthias Horx, Leiter des Instituts, spricht es aus, und auch die Wirtschaft ist schon vor einiger Zeit auf diesen Zug ausgesprungen. Es ist eine Bestätigung des Zeitgeistes und eine Reaktion auf die vielfältigen Anforderungen an das menschliche Bewusstsein im digitalen Zeitalter. Das ist gut. Es führt dazu, dass die urmenschliche Reflexionsfähigkeit und der Blick nach innen jetzt offiziell in der Wirtschaft Fuß fassen dürfen.
Achtsamkeit hat eine schnelle öffentliche Karriere hinter sich. Googeln Sie „Mindfulness“, erhalten Sie 34 Millionen Treffer. Achtsamkeit prangt auf den Titelseiten großer Magazine (z.B. Cover des „Time Magazine“) und in vielen großen Unternehmen verdrängen derzeit Achtsamkeits-Trainer die klassischen Effizienz-Berater. So beschrieb es eine große deutsche Tageszeitung: „Wenn selbst Mercedes seinen Mitarbeitern Mail-Zwangspausen verordnet, dann ist das Thema Achtsamkeit in der Mitte der Wirtschaft angekommen. Der Pharmakonzern Genentech startete unlängst ein ehrgeiziges Mindfulness-Programm für seine Mitarbeiter. Intel und SAP erhöhten mit einem Achtsamkeits-Trainig die seelische Zufriedenheit ihrer Mitarbeiter. Bei diesen Programmen geht es nicht nur um Yoga oder Rückengymnastik. Es geht um die kognitive Selbst-Wirksamkeit. Wir dürfen gespannt sein, wann Google vom Googeln abrät. Schon heute propagiert ja Larry Page das Abschalten des Mobiltelefons beim Essen.“
Ein neues Selbstverständnis von Führung im digitalen Zeitalter
Mit der öffentlichen Wahrnehmung von Achtsamkeit wird mein Arbeits-Credo „Führung fängt bei sich selbst an“ neu betont. „Wie führen Sie sich selbst durch diese komplexen, digital überladenen Zeiten voller paradoxer Anforderungen?“, das ist meine erste Frage an Manager, die ich berate.
Die rationale Seite des Managements ist allen sehr bekannt, die persönliche, das tiefere Verständnis vom menschlichen Verhalten, oft weniger. Und darüber müssen wir sprechen. Wenn beide Aspekte zusammen kommen, haben wir die Ausgangsbasis für Veränderung.
Aber konkret: Welche Führungskompetenz braucht eigentlich ein Manager, der sich den vielfältigen Anforderungen einer schnelllebigen Welt gegenüber sieht?
Im oberen Management großer Unternehmen beobachte ich folgende notwendige Zukunftskompetenzen:
– Ergebnisoffene Prozesse gestalten
– Sinnhaftigkeit und Gesamtbild von Arbeit vermitteln
– Offene Wahrnehmung & soziale Intelligenz (Beziehungsfähigkeit)
– Schnelles Reaktionsvermögen
– Globale innere Ausrichtung (Diversity, Zeit, Flexibilität)
– Reflexionsfähigkeit
– Und als Basis von allem:
Self-Leadership Agility, also Achtsamkeit.
Die schöne eingedeutschte Self-Leadership Agility bezeichnet in der Business-Sprache die kontinuierliche persönliche Weiterentwicklung. Sie basiert auf der zugrunde liegenden Fähigkeit, innere Präsenz und damit Reflexionsfähigkeit für sich zu halten. So kann man beispielsweise mit ergebnisoffenen Situationen entspannt umgehen und flexibel reagieren.
Das oben angesprochene Verständnis vom menschlichen Verhalten beginnt bei sich selber – mit der Praxis der Achtsamkeit – und öffnet dann Türen für unerwartete Potenzialentfaltung.
Achtsamkeit erlernt man langsam
Und Achtung: Neurowissenschaftlich gesehen ist es naiv zu glauben, dass man nach zwei Tagen Seminar mit Druckbetankung langfristig sein Verhalten ändert. So warnen führende Neurowissenschaftler. Und das stimmt. Horx schreibt: „Anders als Wellness und Nachhaltigkeit ist Achtsamkeit nicht so einfach korrumpierbar. Achtsamkeit ist Handlung – ein innerer Prozess mit vielen Konsequenzen und Bedingungen. Und mit harten Ausgangslagen.“ Und das beschreibt es exakt.
Ich bezeichne Führung und Achtsamkeit immer als Praxis. Die kann (und muss) man trainieren wie einen Muskel.
Die vernetze Welt befindet sich in einem gesamtgesellschaftlichen Suchprozess, der nicht nur Unternehmen und Führungskräfte betrifft.
Menschen sind qua Evolution Bindungswesen. Der technologische Wandel macht uns jedoch zunehmend glauben, wir könnten Bindung durch Technologie ersetzen. Und das ist fatal, denn es ist im wahrsten Sinne des Wortes (und wert-frei gemeint) un-menschlich.
Achtsamkeit heißt in die Wirtschaft übersetzt, in einer überfüllten, überreizten, überkomplexen Welt zu lernen, uns auf neue Weise auf uns selbst zu besinnen.
Und gleichzeitig birgt der Begriff der Achtsamkeit die tiefere Erkenntnis, dass die Welt gar nicht wirklich über-füllt, über-reizt, über-komplex ist.
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