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Regretting Parenthood – weil das Leben als Eltern kein Kinderspiel ist

Die Studie „Regretting Motherhood“ der israelischen Soziologin Orna Donath trat erste Diskussionen los, jetzt schaltete sich ein Vater mit seinem Geständnis ein.

 

Wie? Die Gesellschaft soll schuld sein? 

Da ging also mal wieder ein Ruck der Empörung durch Deutschland: Ein Vater hatte es gewagt, öffentlich zuzugeben, dass er die Vaterschaft bereue. Kaum noch Freizeit, bemängelte er unter anderem. Ein gefundenes Fressen für die Bloggerwelt und jede Menge Diskussionsstoff. Es schien aber keiner auf die Idee zu kommen, dass die Gesellschaft selbst daran schuld ist, dass solche Menschen ihre Elternschaft bereuen. 

Angeblich weiß doch jeder, auf was er sich mit Kindern einlässt! Aber ist das wirklich so? 

Im Fernsehen wird das Muttersein glorifiziert über alle Maße, sodass viele Frauen irgendwann glauben, nur die Rolle der Mutter würde sie tatsächlich zu einem glücklichen Leben führen. Der Vater hält sich dabei dezent im Hintergrund, die Frau hat ja schließlich alles im Griff und balanciert gekonnt zwischen ihren Rollen als Karriere-, Haus- und Ehefrau sowie Mutter. Keine Frage, dass das Styling dabei immer makellos ist, und die Väter immer ein entspanntes Lächeln auf den Lippen haben. 

Bei diesen Anforderungen, die an Mütter gestellt werden, wundere ich mich ehrlich gesagt nicht, dass so viele Frauen mit postnatalen Depressionen diagnostiziert werden. 

TV-Welt vs. Realität

Bei Filmgeburten sieht das Baby schön und rosig aus – die wenigsten wissen, dass es meist ein bis zwei Monate alte Säuglinge sind, die man da zeigt. Wer selbst schon eine Geburt live mitverfolgt hat, weiß, dass die kleinen süßen Babys am Anfang noch weit von diesem rosige Aussehen entfernt sind: Manche haben eventuell noch einen verformten Kopf von der Geburt, sind leicht bläulich oder von Käseschmiere überzogen. 

Ob wir beim ersten Kontakt mit dem eigenen Kind immer von Liebe auf den ersten Blick reden können, ist also fraglich.

Wie viele Eltern kennt ihr? Durch meinen Beruf kenne ich einige und habe schon etliche Erstlingseltern betreuen dürfen. Aller Anfang ist schwer. Es braucht einfach Zeit, bis man miteinander vertraut und auf das kleine Wesen eingestellt ist. Die ganz große Liebe von der ersten Sekunde, von der alle reden, gibt es zwar – ist aber mit Sicherheit nicht bei allen so. 

Das Kind schläft vermutlich kaum durch, trinkt schlecht oder braucht im schlimmsten Falle medizinische Betreuung. Das zerrt an den Nerven der Eltern. Niemand gibt dann offen zu, überfordert zu sein mit der neuen Rolle. Und wenn doch, darf man sich auf den nächsten Shitstorm und Verurteilungen freuen. Deswegen schweigen die meisten und machen gute Miene zum bösen Spiel.

Mehr Schein als Sein

Wir müssen die Wahrheit anerkennen: Ein Kind läuft nicht mal nebenbei, auch wenn man manchmal das Gefühl suggeriert bekommt. Die Partnerschaft leidet, der Job leidet und ja, das Leben verändert sich schlagartig. Darauf bereitet einen niemand vor. 

Alles sieht immer so einfach aus. Mütter übertreffen sich mit ihren „Wunderkindern“ selbst. Das Kind schlafe schon mit drei Monaten durch, laufe schon mit zehn Monaten und ist mit anderthalb Jahren trocken…Herzlich Willkommen bei der Olympiade! Außerdem ist die Partnerschaft toll und der Haushalt ein Kinderspiel – und das sind nur ein paar Beispiele, mit denen sich Mütter gegenseitig unter Druck setzen. Die wenigsten trauen sich, die Wahrheit auszusprechen. Wie soll man da nicht eine verklärte romantische Sicht auf die Elternschaft bekommen? 

In meiner Tätigkeit als Nanny konnte ich oft hinter die Kulissen blicken und ich kann euch beruhigen: Es ist meist mehr Schein als Sein. Und bei den „Supermuttis mit Superkindern“ leidet vielleicht der Ehemann im Stillen, da die Partnerin nun nur noch Übermutter ist und vergessen hat, dass er auch noch existiert. 

Ein Leben mit Kinder? Alles easy!

Wie viele Frauen kennen Sie, die nach der Geburt Probleme haben wegen ihres Aussehens? Ich persönlich kenne ein paar. Anscheinend hatten einige davon den Irrglauben, der Körper würde sich durch eine magische Hand in den Urzustand verwandeln. Mag bei einigen der Fall sein, aber eben nicht bei allen. Etliche brennen irgendwann aus, schließlich ist ein perfekter Haushalt, ein perfektes Aussehen und ein perfektes Kind, diese ganze ach-so-perfekte Kulisse auf Dauer sehr mühsam, aufrecht zu erhalten ist. 

Fragt man befreundete Elternpaare nach ihren Sprösslingen, ist meist immer alles easy, die Kleinen folgen brav und es herrscht unentwegt strahlender Sonnenschein. Machtkämpfe, Machtlosigkeit und Überforderung? Mit keinem Wort erwähnt.

Wie soll man also einen klaren Blick dafür bekommen, wie ein Leben mit Kindern sein wird?

Schließlich suggerieren die meisten, ein Familienleben wäre das Einfachste der Welt und man kann so weiter leben, als wäre nichts passiert. In Wahrheit versuchen genau diese Eltern auf Biegen und Brechen den Lifestyle zu wahren, den man bereits vor dem Kind hatte. Und die Magazine unterstützen dieses Traumbild weiterhin: Strahlende Eltern, alles relaxed. Neben Beruf und Kindern bleibt immer noch genug Zeit zum Bloggen, für Pinterest-Seiten mit tausendundeins DIY-Projekten, für die Selbstständigkeit. Mit Kindern erscheint alles möglich. 

Für mehr Ehrlichkeit

Der Fokus liegt auf „erscheinen“, eben mehr Schein als Sein. Natürlich sind nicht alle Eltern so, das ist klar. Doch wir sollten bitte aufhören, andere zu verurteilen, nur, weil sie auf dem harten Boden der Realität angekommen sind. In einem Blog ging eine Mutter sogar so weit, diesem besagten Vater einzutrichtern: „Kinder sind nicht schuld, dass du nun nicht deine Egonummer durchziehen kannst!“Natürlich sind die Kinder nicht schuld. Ich glaube auch, dass diese Eltern – auch, wenn sie die Elternschaft bereuen – durchaus gute Eltern sein können, die ihre Kinder lieben. Nur hatten sie schlichtweg falsche Vorstellungen von einem easy-peasy Leben als Eltern – dank unserer Gesellschaft. 

Daher plädiere ich für mehr Ehrlichkeit, mehr Offenheit, mehr Verständnis und weniger Shitstorm. Wir verzweifeln alle mal an gewissen Situationen, niemand ist perfekt.


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