Wenn du eine Essstörung hast, können Familienfeste besonders stressig sein. Wir haben Tipps, damit es dir auch während dieser Tage möglichst gut geht – und weitere für Freund*innen und Familie, damit ihr unterstützen könnt.
Weihnachten geht auch wieder vorbei
Für über zwei Millionen Menschen gehört allein in Deutschland eine Essstörung zum Alltag – vielleicht erst seit einigen Monaten, vielleicht schon seit über zehn Jahren. An den Tagen, an denen es viel um Essen, Erwartungen an das perfekte Fest und Harmonie geht, kann eine Essstörung besonders belastend sein. Was für die einen Geselligkeit bedeutet, ist für die anderen Stress. Auch für Familien und Freund*innen stellen sich vor Weihnachten und anderen Familienfesten vielleicht die Fragen: Wie gehe ich mit jemandem um, für den Essen nicht einfach ist? Was kann ich tun, um die Zeit angenehmer zu gestalten und keinen zusätzlichen Druck aufzubauen?
Wir haben für euch zusammengetragen, was ihr tun könnt, damit ihr, wenn ihr eine Essstörung habt – unabhängig davon ob ihr schon professionelle Hilfe bei der Genesung habt oder nicht – gut durch die Feiertage kommt und Tipps für Freund*innen und Angehörige, wie ihr am besten für Familienmitglieder und Freund*innen da sein könnt (Wenn ihr Angehörige seid, könnt ihr unten weiterlesen. Wir empfehlen aber alles zu lesen, damit ihr euch besser einfühlen könnt.)
Unsere Tipps können keine Therapie ersetzen. Eine erste Anlaufstellen, die auch Onlineberatung anbieten, sind Anad oder auch die BZgA.
Wenn ihr an den Feiertagen in eine tiefe Krise fallt oder ihr sogar Suizidgedanken habt, wendet euch sofort an eine professionelle Anlaufstelle. Hier findet ihr eine Übersicht der Krisendienste in Deutschland. Die Telefonseelsorge ist außerdem rund um die Uhr für euch erreichbar.
Welche Probleme können an Feiertagen aufkommen, wenn du eine Essstörung hast?
– Andere achten sehr genau darauf, was du isst oder kommentieren sogar, wie und was du isst. Du fühlst dich beobachtet und kontrolliert.
– Sie kommentieren die Größe der Portion oder, welche Nahrungsmittel du isst.
– Sie versuchen dich zu ermutigen, mehr/weniger zu essen oder Lebensmittel zu essen, die du normalerweise nicht isst oder vor denen du Angst hast.
– Mit deiner Familie oder generell vor anderen zu essen, bedeutet für dich Stress.
– Die Personen, mit denen du deine Zeit verbringst, verhalten sich dir gegenüber komisch und wissen nicht, wie sie mit dir umgehen können.
– Es wird darüber gestritten, was und wie viel du isst.
– Es wird darüber geredet, wie du aussiehst und was du wiegst, oder deine Verwandten reden über ihre Figur, ihre Diäten oder was sie über andere im Bezug auf Essen und Körper denken.
– Freunde*innen oder Verwandte sagen dir, dass du gut aussiehst, weil sie denken, dass es jemandem, der gerade gesund wird, gut tut – du aber verstehst es als eine Art zu sagen, dass du zugenommen hättest.
– Die Mahlzeiten sind gehetzt, weil es Anschlusstermine gibt, oder sie dauern sehr lang – beides kann dich unter Druck setzen.
– Die Familienmitglieder, die gekocht haben, äußern sich enttäuscht, weil du wenig gegessen hast.
– Ein Besuch bei deiner Familie bedeutet für dich eine große Belastung, die du versuchst über dein Essverhalten auszugleichen.
Was du für dich tun kannst, wenn du eine Essstörung hast
Versuche, Weihnachten mental vorzubereiten – ohne jedes Detail zu planen. Wenn du eine große Sache in kleine Schritte unterteilst, ist sie gedanklich leichter zu bewältigen. Löse dich von dem Gedanken, dass es in einer bestimmten Weise verlaufen muss oder „alles so sein wird wie immer“. Die folgenden Fragen machen dir zunächst einmal die kleinen Schritte bewusst, was für dich schwierig ist, und wo du kleine Dinge verändern kannst.
Die Feiertage gedanklich vorbereiten:
– Ab wann hast du Urlaub? Arbeitest du über die Feiertage? Musst du etwas für die Uni vorbereiten? Hast du Pläne, wie zum Beispiel dich ehrenamtlich zu engagieren?
– Wann beginnt deine Ausbildung/Uni/Arbeit wieder?
– Mit wem verbringst du Weihnachten?
– Wenn du Weihnachten woanders verbringst: Wann fährst du nach Hause? Wann fährst du wieder zurück?
– Denke über das letzte Jahr nach: Was wünscht du dir, wie die Zeit in diesem Jahr sein soll?
– Was magst du an Weihnachten? Was nicht?
– War Weihnachten in der Vergangenheit für dich schwierig? (Ja/Nein)
– Welche Dinge empfandest du als schwierig? (Gemeinsame Mahlzeiten, das Zusammentreffen mit bestimmten Menschen etc.)
– Was hat dir schon einmal geholfen, damit umzugehen? (Freund*in anrufen, einen Spaziergang machen etc.)
– Wie können die Menschen, mit denen du Weihnachten verbringst, dir helfen?
– Was hilft dir, damit dir das Essen leichter fällt?
– Mit wem kannst du über dein Problem reden, damit du Unterstützung bekommst? Wenn du bislang mit niemandem darüber gesprochen hast, versuche eine Person einzuweihen, der du vertraust – auch wenn dir das schwerfällt.
Weihnachten kann auch bedeuten: Zeit für lange Spaziergänge im Schnee. Quelle: Unsplash
Mache dir bewusst, dass Weihnachten nur ein kleiner Abschnitt des Jahres ist
– Mache dir klar, dass es wahrscheinlich Momente geben wird, in denen du dich emotional überwältigt fühlst oder die Kontrolle verlierst. Das ist okay und es geht wieder vorbei.
– Es kann dir helfen, wenn du dir sagst: „Es sind nur drei Tage. Danach beginnt wieder mein Alltag.“
– Versuche, dass der Gedanke an Weihnachten dein Essverhalten nicht schon jetzt bestimmt. Nimm dir vor, dich auf den Moment einzulassen und so zu essen, wie die letzten Wochen. Was Weihnachten passiert, siehst du dann.
– Wenn du schon professionelle Unterstützung hast, besprich deine Ängste dort.
– An Weihnachten geht es nicht ums Essen. Versuche dir bewusst zu machen, was die positiven Seiten sind und welche Dinge du allein oder mit anderen tun kannst, bei denen essen keine Rolle spielt.
– Wenn es dir emotional schwerfällt, zuhause zu sein und es für dich sehr stressig und vielleicht einengend ist, bemühe dich darum, Kontakt „nach draußen“ zu halten. Nimm dir Zeit, um zu telefonieren, Nachrichten zu schreiben, jemanden zu besuchen, nach draußen zu gehen und etwas abseits deiner Familie zu unternehmen.
– Wenn du aktuell eine tägliche Routine oder einen Essensplan hast, versuche eine Balance zu finden, damit dir das über die Feiertage Stabilität gibt, du aber auch ein wenig flexibel sein kannst.
– Fange nicht an, das Essen zu vermeiden, denn so bekommst du vielleicht eher einen Essanfall. Mache dir einen groben Plan und sei stolz darauf, dass du das geschafft hast.
– Frage dich: Was brauche ich, damit es mir gut geht und ich keine Panik bekomme?
– Wer weiß von deiner Essstörung in deiner Familie? Kontaktiere diese Person vorab, und sag ihr, wie sie dich unterstützen kann.
– Wenn du das kannst: Sprich ehrlich mit Freund*innen und Familie darüber, wie du dich fühlst.
– Versuche, nicht zu viel zu erwarten – weder von dir, noch von anderen. So kann die Enttäuschung nicht zu groß werden.
– Setze dir kleine Ziele, die du auch erreichen kannst. Du kannst nicht ändern, was in der Vergangenheit passiert ist, aber versuchen, das positiv zu verändern, was noch kommt.
– Frage deine Familie, ob du mitkommen kannst, Essen einzukaufen. So fühlst du dich als Teil der Vorbereitungen und deine Familie muss nicht raten, was du essen wirst und was nicht. Und du kannst die Angst reduzieren, dass es Essen gibt, das dir Angst macht.
– Gehe nicht in die Küche, während das Essen vorbereitet wird, denn sonst denkst du noch mehr darüber nach. Nutze die Zeit für andere Dinge, die dir helfen, zu entspannen.
– Lade dich nicht von Feierlichkeiten aus. Alle freuen sich, dass du da bist. Dass es dort vielleicht Essen gibt, ist nicht dazu da, damit du dich unwohl fühlst. Wenn es dir hilft, nimm etwas mit, das du essen kannst. So kannst du am Zusammensein teilnehmen und die Gespräche genießen, ohne dich vom Essen bedroht zu fühlen.
– Sorge für dich. Wenn es dir zu viel wird, zieh dich zurück.
– Es ist völlig okay, Weihnachten nicht mit deiner Familie zu verbringen, wenn du befürchtest, dass es dich verletzt und dein Gesundwerden beeinträchtigt. Manchmal muss es sogar sein, den Kontakt völlig abzubrechen. Familie definiert sich nicht durch Verwandtschaft. Wenn es besser für dich ist, verbringe die Feiertage mit Menschen, die dir gut tun – oder sogar allein (wenn das für dich aushaltbar oder sogar entspannter ist).
Was du als Freund*in oder Familienmitglied tun kannst:
Vielleicht ist deine Freund*in abweisend – aber sie braucht dich. Quelle: Artur Rutkowski – unsplash
Wichtig für dich zu wissen: Essstörungen müssen von außen nicht erkennbar sein. Du kannst nicht am Gewicht einer Person erkennen, ob sie krank ist. Es gibt verschiedene Formen von Essstörungen: Magersucht, Bulimie und Binge-Eating sind die bekanntesten, daneben gibt es jedoch noch viele atypische Essstörungen. Nicht nur junge Frauen erkranken daran – sehr viele Menschen sind davon betroffen. Niemand sucht sich aus, krank zu werden. (Mehr über Mythen über Essstörungen.)
Wie du helfen kannst
– Wenn du den Verdacht hast, dass jemand eine Essstörung hat, sprich die Person nicht beim Essen darauf an. Sage ihr, dass du dir Sorgen machst, versuche aber nicht, die Therapeut*in zu ersetzen. Baue keinen Druck auf, sondern zeige der Person vor allem, dass du sie gern hast. (Mehr Tipps.)
– Wenn du von der Essstörung weißt: Frage deine Freund*in/Schwester/Bruder etc., was sie oder er braucht, damit es ihr oder ihm möglichst gut geht.
– Mache dir bewusst, dass die Krankheit nicht das Gleiche ist, wie die Person. Die Essstörung macht, dass sie sich anders verhält, es ist weder Absicht noch Schuld der Person.
– Erwarte nicht, dass sie sich „zusammenreißt“, weil es ein besonderer Tag ist.
– Mische dich nicht ein und verzichte auf Kommentare zu ihrem Essverhalten.
– Verzichte auf alle Kommentare zum Aussehen und zum Gewicht – auch auf dich selbst bezogen oder das anderer Familienmitglieder. Sage insbesondere nicht Dinge wie: „Das Essen von heute kann ich im nächsten Jahr wieder abtrainieren.“ Und ja: Man kann auch die Großmutter dafür sensibilisieren, dass sie auf Kommentare wie „Du bist aber gut im Futter“ verzichten soll.
– Bei Familienzusammenkünften lassen sich Streit und Diskussionen nicht vermeiden. Versuche, solche Gespräche jedoch nicht während des Essens zu führen. Es kann helfen, wenn du Gesprächsthemen anregst, die nicht zu Streit führen.
– Höre zu. Aus deiner Perspektive ist es vielleicht schwierig nachzuvollziehen, dass Essen für andere ein Problem sein kann. Versuche, besser zu verstehen, was für die andere Person schwierig ist – dann kannst du sie besser unterstützen, ohne sie durch gut gemeinte Ratschläge unter Druck zu setzen.
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