Wann wäre die Bundeskanzlerin gefordert, klare Worte zu finden, wenn nicht jetzt? Doch zur den Krawallen in Heidenau und einer neuen Flüchtlingspolitik hat sie bisher nichts gesagt.
Es gibt so viel zu sagen – und zu tun
„Warten auf Angela Merkel“ ist das Stück, das im Sommerloch
2015 sein Publikum irritiert, verunsichert und langsam richtig wütend macht.
Das Besondere an diesem Sommer ist nämlich, dass die Medien die sonst meist
ruhigere Zeit im Jahr, wenn der Bundestag sich in eine mehrwöchige Pause
verabschiedet, nicht mit ausgebüchsten Krokodilen füllen muss, die am Baggersee
in Luftboote beißen.
Die Dichte relevanter Nachrichten ist so hoch, dass es
eigentlich verwundern muss, dass auch die politischen Talkshows der öffentlich-rechtlichen
Sender noch nicht aus dem Urlaub zurückgekehrt sind, denn es gäbe so viel zu
diskutieren. Während das dritte Hilfspaket für Griechenland ein Ereignis eines
ständigen Hintergrundrauschens ist, was mal Bürger erzürnt und mal egal ist, da es
sie spürbar nicht betrifft, ist das bei der Einreise geflüchteter Menschen
nach Deutschland anders.
In vielen Kommunen und Städten gehören die
Neuankömmlinge bereits ein Stück weit zum Alltag, viele Menschen engagieren
sich, organisieren Initiativen für Flüchtlinge und spenden – vor allem aber
sprechen sie darüber mit Freunden und Bekannten oder schreiben in Blogs und
soziale Netzwerke, was sie sehen und was sie bewegt. So wie Mareice Kaiser, die
sich in Berlin bei der Bürgerinitiative „Moabit hilft“ engagiert, um die Menschen zu
versorgen, die gerade vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales seit Tagen
ausharren und auf ihre Registrierung warten. Mareice schreibt:
„Ich weiß nicht, wie es ist, mit einem gehbehinderten 4-jährigen Kind flüchten zu müssen, ohne Kinderwagen. (…) Ich weiß nicht, wie sich echter Hunger anfühlt. Das alles weiß ich nicht – aber ich habe es gesehen. (…) Ich habe noch nie so viel Ungerechtigkeit an einem Ort gesehen, wie in diesen Tagen vor dem Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales. Ich weiß nicht viel. Ich weiß nur, dass etwas getan werden muss.“
Wir sehen in der Tagesschau
Flüchtlinge in Mazedonien oder auf Booten vor der italienischen Küste, doch
auch in Deutschland ist die Situation von geflüchteten Menschen, die es bis
hierher geschafft haben, weit davon entfernt akzeptabel zu sein. Sie ist offen
gesagt ein Elend und etwas, für das ich mich schäme, ganz besonders, weil ich
mir nicht vorstellen kann, dass eine Großstadt wie Berlin weder den Willen,
noch die Mittel und das Personal hat, teils Kranke, Erschöpfte, Schwangere,
Kinder und all die anderen, die sicherlich nicht zum Vergnügen auf der Flucht
sind, unterzubringen und ihren Hunger und Durst zu stillen. Das ist das Berlin,
das im Prinzip von sich denkt, jederzeit die Olympischen Spiele zu beherbergen.
Sicher ist es selbst in Deutschland nicht
Wer LaGeSo gesehen hat, mit einem traumatisierten Flüchtling
spricht oder nur seine Geschichte liest, denkt eigentlich schon, schlimmer
könne es nicht kommen. Doch Gewalt begegnet ihnen auch hier. Am Morgen brannte
in baden-württembergischen Weissach eine Unterkunft aus, in die bald
Flüchtlinge ziehen sollten, die rechtsextremen Krawalle in Heidenau, die darauf
abzielten, dass die Menschen ihr temporäres Zuhause erst gar nicht beziehen
sollten, sind angsteinflößend – nicht nur für die Flüchtlinge.
Das Gefühl in meinem Magen ist deshalb so flau, weil es mir
dieses Mal nicht reicht, dass in meinem Freundeskreis alle die Anschläge auf
Flüchtlingsunterkünfte verurteilen, sich viele für Asylsuchende und gegen
Rechts engagieren und dass nun mehr und mehr Medien der abstrakten
„Flüchtlingsdebatte“ viele Geschichten und Gesichter an die Seite stellen und
die Debatte damit auch menschlicher und nahbarer machen. Alle sind gefühlt auf
der richtigen Seite, nur eine schweigt.
Warum schweigt Merkel?
Dass die Kanzlerin noch immer keine klaren Worte gefunden
hat, macht mich fassungslos. In dieser Situation ist Zögern nicht entschuldbar.
Angela Merkel braucht keine Berater, um die klügste Taktik zu finden. Dieses
Ausmaß rechter Gewalt und offenem Rassismus bedarf keiner Abwägung, wie sich
ein Statement auf die nächste Wahl auswirken würde. Dass Merkel schweigt, ist
zum einen ein herzloses Signal an die geflüchteten Menschen. Zum anderen zeigt
es jedoch auch, dass sie vermutlich nicht einmal weiß, wie sie sich das Land
vorstellt, in dem wir – egal von wo wir gekommen sind – gemeinsam leben
wollen. Worte von Merkel werden gegen den Hass von Rechts nicht reichen, sie könnten das Engagement dagegen aber durchaus verstärken.
Bundesinnenminister Thomas de Maizière nannte in der Bild am Sonntag
den „Anstieg von Hass, Beleidigungen und Gewalt gegen Asylbewerber (…) für
unser Land unwürdig und unanständig“. Dass Merkel schweigt, ist einer Kanzlerin
unwürdig.
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