Dominik Schneider war 15 Jahre in großen Konzernen tätig, insbesondere im Marketing-Leadership. Vor zwei Jahren kam er an einen Punkt, an dem er sich überlegte, was der nächste Schritt in seiner Karriere sein könnte. „Ich hatte Lust darauf, ein Thema zu finden, das ich für gesellschaftlich und branchenübergreifend hochrelevant halte, bei dem ich mit meiner Erfahrung und Persönlichkeit etwas beizutragen habe.“ Über einen längeren Reflexionsprozess stieß er auf das Thema „Beyond Alpha – wir Männer und unsere stereotypen Rollenmuster im Leadership“.
Warum hast du dich für dieses Thema entschieden, Dominik?
„Mich begleitete der Druck, mich als männliche Führungskraft in klassische Alpha Rollenmuster zu pressen, seit Beginn meiner Karriere. Ich selbst habe in meiner Laufbahn Sätze gehört wie: ,Dom, du musst härter werden!’, ,Du musst hier jetzt mal einen Punkt machen!’, oder ,Du musst Dir im Meeting mehr Redeanteil nehmen!’.
Daraufhin versuchte ich, mich in Meetings genauso zu verhalten. Ich wollte den Anforderungen entsprechen. Heute weiß ich, dass das – selbst wenn es kurzfristig erfolgreich war – gar nicht mein Modus ist und mir auch nicht gutgetan hat. Ich habe durch Gespräche mit anderen Männern mitbekommen, dass sie ganz ähnliche Erfahrungen machen.
Gleichzeitig verändert sich die Business-Welt: Männer sind mit ganz neuen, sich aus dem gesellschaftlichen Diskurs entwickelnden Anforderungen konfrontiert. Vielen fällt es schwer, ihre Rollenmuster, die sie so lange gut trainiert haben, zu durchbrechen.
„Vielen Männern fällt es schwer, ihre Rollenmuster, die sie so lange gut trainiert haben, zu durchbrechen.“
Dabei ist mir bei meiner Arbeit besonders wichtig, nicht mit erhobenem Zeigefinger zu agieren. Ich möchte Männer darauf hinweisen, dass in uns so viel mehr steckt als der immer starke, omnipotente, keine Gefühle zeigende Alpha Leader. Es geht darum, ein authentisches Leadership zu entwickeln, das gut für uns selbst ist und für die Menschen, mit denen wir arbeiten.“
Diese Arbeit ist ja auch mit einem gewissen Risiko verbunden – du rüttelst da zum Teil an festen Glaubenssätzen. Welche Fragen stellst du, damit sich die Menschen, mit denen du arbeitest, öffnen?
„Ich habe gemerkt, wie wichtig es ist, die richtige Sprache zu finden. Wenn ich Männern mit einem Negativ-Narrativ begegne, dann machen sie sofort zu. Mir ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass wir alle diese Glaubenssätze haben, die uns einreden, wie wir Männer als Führungskraft zu sein oder nicht zu sein haben.
Die größte Öffnung erreiche ich dann, wenn wir uns über konkrete Erlebnisse aus dem Businessalltag austauschen. Über diese Verbindung der gemeinsam erlebten stereotypen Situationen beginnt ein offener Diskurs. Viele meiner männlichen Gesprächspartner kennen zum Beispiel den Druck, als Chef im Meeting immer die beste Antwort haben zu müssen.
Kann es aber nicht auch Vorteile haben, wenn ich zugeben kann, dass ich etwas nicht besser weiß?“
Was ist denn Männlichkeit für dich? Und was hat sich für dich persönlich verändert?
„Gesellschaftlich gesehen gibt es häufig die Erwartungshaltung an Männer, welche durch männlich normierte Eigenschaften beschrieben werden kann: Seid stark, diszipliniert und durchsetzungsstark! Mehr oder weniger subtil wird uns seit Kindheitstagen, in Kinderbüchern, in der Werbung, durch traditionelle Rollenmodelle etc. mitgegeben, wie wir als Jungen und Männer zu sein oder nicht zu sein haben.
„Um authentisch zu leben und im Businesskontext zu agieren, ist es meiner Meinung nach wichtig, diese Kategorien, diese Normen und dieses binäre Denken in männlich-weiblich aufzulösen.“
Für mich ist Männlichkeit viel mehr: Auch in uns sind vielfältige Eigenschaften und Emotionen angelegt. Oft haben wir allerdings keinen Zugriff zu unseren Emotionen, weil wir viele davon schlichtweg ignorieren oder sie uns durch Erwartungshaltungen der Gesellschaft abtrainieren. Um authentisch zu leben und im Businesskontext zu agieren, ist es meiner Meinung nach wichtig, diese Kategorien, diese Normen und dieses binäre Denken in männlich-weiblich aufzulösen.“
Du wirst auf dem FFF Day eine Masterclass zum Thema „Beyond Alpha – Wie wir alle von einer Veränderung männlicher Führung profitieren“ machen. Männliche Führung: Was ist das überhaupt und: Warum muss sie verändert werden?
„Ich differenziere da zwischen drei Ebenen:
In der ersten geht es um die Männer selbst. Zunächst steht fast immer der eigene Zugewinn im Fokus. Hier sprechen die Zahlen für sich: Männer haben ein fast dreifaches Herzinfarktrisiko, Depressionen bleiben bei Männern oft unentdeckt, die Suizidrate ist bei ihnen deutlich höher als bei Frauen.
In der zweiten Ebene geht es um Teamführung und Unternehmenskultur, denn veraltete männliche Rollenmuster wirken auch hier negativ.
Und schließlich die dritte Ebene: Wir haben einen extremen Nachwuchsmangel und wenn ein Unternehmen, das männlich geprägt ist, seine Hausaufgaben in moderner Führung nicht macht, wird es auch nicht die besten Köpfe rekrutieren. Studien, z.B. von McKinsey, zeigen, dass diverse Arbeitskulturen und offene, angstfreie Räume deutlich innovativer und erfolgreicher sind.
Ich erzähle in der Masterclass meine persönliche Geschichte und lasse einen Reflexionsraum entstehen: Welche Erfahrungen sind hier versammelt? Wie können wir das Thema weitertragen? Mein Anspruch ist, möglichst viele Menschen zu erreichen.“
Die Zeichen dafür stehen gut: Wir sehen gerade viele Neuveröffentlichungen von Männern, die zeigen, wie wir alle unter dem Patriarchat leiden – auch Männer.
„Solche Themen entwickeln sich immer aus dem gesellschaftlichen Diskurs. Bücher werden geschrieben, es gibt eine ARD-Themenwoche, o.ä. Interessant ist, dass das Business eine lange Zeit immun gegen diese Debatte war. Wir stehen, denke ich, noch vor der Welle, und das ist für mich auch die Herausforderung:
Es tut sich etwas – Stück für Stück. Männer sind es häufig noch nicht gewohnt, den Status Quo zu hinterfragen; das macht den einen Angst, die anderen agieren bereits. Es wird spannend werden.“
Du schreibst auf deiner Website, dass du Netzwerken früher überhaupt nicht leiden konntest, dass sich das jetzt geändert hat. Woran macht sich das bemerkbar?
„Ich dachte immer, dass diese Form des Netzwerkens und in Kontakt bleiben, irgendwie nicht mit meiner Person zusammenpasst. Ich bin jemand, der tiefe Freundschaften pflegt und ganz ernsthaft an Menschen interessiert ist. Beides erschien mir als Widerspruch – auch das war so ein Glaubenssatz, den ich verinnerlicht hatte.
„Mittlerweile gehört das Netzwerken zu einer meiner größten Freuden.“
Inzwischen habe ich meine Community gefunden und muss das total revidieren, weil ich durch mein Thema die letzten eineinhalb bis zwei Jahre so viele tolle Menschen kennengelernt habe und sich da immer wieder Türen zu Themen und Freundschaften öffnen.
Mittlerweile gehört das Netzwerken zu einer meiner größten Freuden. Ich liebe es, immer wieder neue Menschen kennenzulernen, die an meinem Thema interessiert sind und meistens bereichert man sich gegenseitig.“
Wer bist du heute im Vergleich zu dem Dominik vor 15 Jahren?
„Ich bin auf jeden Fall viel mehr bei mir. Vor 15 Jahren hätte ich diese Arbeit nicht auf diese Art und Weise machen können, da vieles meines jetzigen Wissens auf Erfahrungen der letzten Jahre beruht. Gleichzeitig hatte ich auch nicht den Mut, mich mit diesem Thema zu beschäftigen und vor allem nicht, mich damit ,raus’ zu wagen. Die Arbeit, die ich jetzt mache, ist das Ergebnis meiner eigenen Reflexionsreise, mir meiner Stärken bewusst zu sein und über diese arbeiten zu können.“
Die Gen Z möchte anders arbeiten, da prallen gerade Welten aufeinander. Wird es den totalen Clash geben? Oder birgt das auch Chancen für uns alle?
„Ja, ich glaube, das birgt riesige Chancen, gerade auch für uns Männer. Wenn wir in den Dialog mit dieser Generation treten, dann hören wir Forderungen, die sehr menschlich und natürlich sind. Die neue Generation möchte sich ein Stück weit von den Mustern, die ich beschrieben habe, befreien, weil sie in dieser Erschöpfungsarbeit mit 80 Stunden pro Woche keine Befriedigung sieht.
Was ich spannend finde, ist, dass es da noch mal eine andere Seite gibt, wenn man in die Startup- oder die Tech-Branche schaut. Dort die sind die Rollenmuster, diese Unbesiegbarkeits-Alpha-Mythen, nach wie vor sehr vital. Hier bleibt es zu beobachten, inwieweit sich die Rollenmuster durchbrechen lassen.
„Die neue Generation möchte sich ein Stück weit von den Mustern, die ich beschrieben habe, befreien, weil sie in dieser Erschöpfungsarbeit mit 80 Stunden pro Woche keine Befriedigung sieht.“
Grundsätzlich ist es wichtig, hinzuhören, miteinander zu sprechen, und zu verstehen, dass es gesunde Antriebspunkte gibt.“
Auf LinkedIn schreibst du: „Stereotype männliche Prägungen hat nicht nur der schreiende Chef, sondern auch du und ich, wenngleich wir uns für modern halten.“ – Das ist ja eigentlich der Kern. Blicken wir auf das Gesundheitssystem, der männliche Körper ist die Vorlage für die medizinische Forschung. Oder blicken wie auf die Stadtplanung. Das sind tief in der Gesellschaft verankerte Strukturen. Insofern bleibt dein Thema (leider) wohl noch sehr lange Zeit aktuell.
„Ja! Ich finde es im ersten Schritt wichtig, Männer überhaupt mal darauf hinzuweisen: Wir profitieren sehr von den bestehenden Strukturen. Es ist notwendig, sich der eigenen Privilegien bewusst zu werden. Viele sind sich dieser Punkte noch nicht bewusst, aber jetzt ist die Zeit, sich damit zu beschäftigen und dann in einem anderen Denken und Agieren anzukommen – da müssen wir Stück für Stück alle zusammen in die Auseinandersetzung gehen.
Am Ende müssen wir als Alliierte die Zukunft mitgestalten.“
Danke für das schöne Schlusswort, Dominik.
Der FEMALE FUTURE FORCE DAY 2023
Dominik Schneider wird auf dem FFF Day die Masterclass „Beyond Alpha – Wie wir alle von einer Veränderung männlicher Führung profitieren“ anbieten. Hier spricht der Leadership Coach & Consultant über das unternehmerische und menschliche Potenzial, das die Überwindung von männlichen Führungskraft-Stereotypen innehat. Wenn ihr dabei sein wollt, sichert euch ein Ticket HIER. Die Masterclasses könnt ihr kurz vor dem Event dazu buchen.